Rembobinage (10)

Die beiden Schwestern pflügen durch die Neuheiten, nichts will ihnen zusagen, die Bücher – überflogen, abgelehnt – fallen flappend zurück. Ein ums andere Mal sticht mich die Frage:
„Haben Sie’s gelesen?” Es hat etwas Garstiges.
Am nächsten Tag kommt die ältere der beiden, sanft: „Habe ich Sie verletzt?”
Der Spielplatz wirbelt manchmal Kinder herbei, sie kommen auf Inlinern herangeschossen, spielen mit dem Kartenständer Karussell, stoppen ihn jäh, picken konzentriert eine Postkarte heraus, kommen damit hereingestakst, artig. Das Geld krümeln sie in kleiner Münze hin, dann schnappen sie sich ihre Beute und fliegen davon.
Ein alter Herr, der gar nicht alt wirkt, blättert in einem vergriffenen Buch über Rabbiner in Berlin und hält auf einer Seite inne, auf der die Synagogen und Gemeindehäuser der Stadt verzeichnet sind.
Er fährt sie mit dem Finger ab:
„Gibt es nicht mehr. – Gibt es nicht mehr. – Gibt es noch. – Gibt es nicht mehr.”
Ich spreche ihn auf die Synagoge in der Joachimsthaler Straße an. – „Die ist ja orthodox!”, sagt er.

Die Energie gehört der Arbeit. Abends mache ich nichts. Ich trinke Tee, Kaffee, klicke mich durch Twitter.
P. hat mir eine DVD mit Lubitsch-Stummfilmen gegeben.
Ossi Oswalda, auch so ein Name.
Ich gehe um zwei Uhr schlafen.
Ich stehe um acht Uhr auf.

[Besuch beim Bildungsbürgertum, 18.9.2015]

Mit diesem Beitrag beschließe ich meine kleine Rückblicksreihe.

4 Kommentare zu „Rembobinage (10)“

  1. Wirklich sehr literarische, kraftvolle Miniaturen, Miniwelten geradezu, sympathisch ichbefreit, gerade weil strikt aus der Ich-Perspektive erzählt, ehrlich, Erzählen auch im besten Sinne, da nicht von Homer und Cervantes herkommend, sondern vom Zählen der Stunden und der Möglichkeiten, die jene, sich umkehrend gegen das Zukünftige, mit sich ins Vergehen reißen.

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  2. Wäre es noch üblich, mit der Hand zu schreiben, könnte ich Dir diesen Kommentar natürlich abschreiben und zusenden — oh, warte! Ich könnte meinen Sohn bitten, es zu tun! Ich glaube, Kindern sieht man derlei undigitales Verhalten noch nach?! Jetzt muss ich nur noch irgendwo unbedrucktes Papier auftreiben …

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    1. Mit der Hand schreiben – schöne Sache, als Kulturtechnik leider gefährdet.
      Wenn der Paketbote montags in die Buchhandlung kommt, unterschreibe ich mit einem Finger auf einem Display. Dann fragt er mich, was da steht und ist zufrieden. Als Fingerschrift hat die Handschrift also vielleicht eine Zukunft: in Verbindung mit dem Digitalen – ergibt doch Sinn!
      Ich glaube, wenn die Leute mehr Muße hätten, würden sie vielleicht auch wieder anfangen, mit der Hand zu schreiben.
      Leider gibt es heute auch schon Maschinen, die Handschriften nachmachen können. Man muss den Brief, den man erhält, also gut unters Licht halten, um seine Echtheit zu überprüfen.
      Heute, morgen, Montag und Mittwoch habe ich frei. Da könnte ich mal schreiben, in der Tat. Briefmarken habe ich da, und (sage und schreibe) zwei Kolbenfüllfederhalter: einen mit breitem, und einen mit feinem Strich – Geschenk der Firma.
      Du brauchst Dein Kindchen nicht zu bemühen, ich schreibe das selber ab ;-p

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