Kävele Wetten Wemb en Kleef

Mit Sommersprossen auf der Nase bin ich von meinem einwöchigen Ausflug zum Niederrhein zurückgekehrt. Für die ersten beiden Übernachtungen bin ich im World House Wetten untergekommen (ein ehemaliges Kloster der Dominikanerinnen. „Als das Kloster im März 2004 geschlossen wurde, lebten in dem Haus noch elf Schwestern. Einige waren als Erzieherinnen im Kindergarten tätig, andere in der Krankenpflege, zum Beispiel Schwester Martha”, heißt es in einem Artikel der Rheinischen Post von vor dreizehn Jahren), danach konnte ich im Gästezimmer einer Freundin bleiben, in Weihrauch City, wie zu meiner Zeit die Schüler sagten, nicht alle.
Den Weg vom Bahnhof Kevelaer zu meiner ersten Bleibe habe ich bei sonnigem Wetter zu Fuß zurückgelegt, da wochenends keine Busse fahren, oder nur bis samstags mittags, da war ich zu spät. Irgendwann stoppte ein Auto neben mir, dessen Fahrerin sich aus dem heruntergekurbelten Fenster heraus mit Namen vorstellte; sie erbot sich, mich zu fahren: sie hatte mich im Vorbeifahren als Mitglied der Großfamilie identifiziert, der ich in der Tat entstamme.
Das World House (warum der englische Name? Die Eigentümerin ist Niederländerin, da hätte Wereldhuis doch besser gepasst) ist schön gelegen, ich fand allerdings die Gärten und Wiesen rundherum einladender als das Gebäude selbst, wo ich Montag als einziger Gast bei einem üppigen Frühstück saß.

Im großen und ganzen habe ich alles gemacht, was ich mir vorgestellt hatte: Ich traf zwei meiner drei niederrheinischen Brüders (der dritte fuhr gerade nach Berlin), den Freund und die Freundinnen vom Lesekränzchen, die Steinbildhauerin mit ihren Männern (Ex- und neu, aber neu ist auch schon alt), meinen ältesten Freund – wir kennen uns seit 1979, schätzungsweise -, der Lehrer für Erdkunde und Musik ist. Ich hab Schwedische Apfeltorte bei Nederkorn gegessen, Eis bei Europa (seit 1974, jetzt in dritter Generation, INH. LUCA GAVAZ), Pfannkuchen bei Hollandia, und im Teefreund Tee getrunken, mit Scones, klar, das meiste in Gesellschaft. (Der Teefreund ist schwanger und sucht eine Nachfolge.)
Bei der Töpferin las ich die Todesanzeigen, darunter eine von einem, der genau am selben Tag geboren wurde wie ich, war aber wer anders. Wie in alten Zeiten machte sie Cappuccino, streute Zimt über die zart knisternde Milchschaumhaube. Auf die Bank setzten wir uns so, dass das durch die Planken rankende Pflänzchen nicht zerdrückt wurde. Neben der Terrassentür brütete eine Amsel, über dem Vogelhaus.
Eine Freundin lieh mir ihr überzähliges Rad, mit dem ich über die Felder fuhr, Schravelen, Sonsbeck. Zu Hause war Kirmes.
Der gastgebenden Freundin, die es sich verbeten hatte, dass ich ihr wahlweise die Alben von Rosalía oder Caroline Polachek schenkte, bekam stattdessen Small Things Like These, das zwar um die Weihnachtszeit spielt, aber ich dachte, es würde ihr gefallen. Außerdem verschenkte ich zwei Mal Das Gefühl zu denken.

Wenn ich noch einmal am Niederrhein wohnen sollte, dann wahrscheinlich nicht in Kevelaer, das – außer man unterhält sich mit den richtigen Leuten – wenig Anregung bietet, sondern eher in Kleve.

Rembobinage (3)

Drei niederrheinische Einträge: Kleine Radtour (18.9.2014), An die Maas, 2007 (9.5.2015), Rheinischer Hof (19.11.2018). Die ersten beiden waren wohl zuerst bei Facebook zu lesen und liegen zeitlich vor 2013. Rheinischer Hof besteht, einschließlich der Überschrift, aus den Namen von Kevelaerer (→ Kevelaer) Hotels und Gaststätten und deren Betreiberfamilien. Kaum etwas davon hat die Zeiten überdauert. Vielleicht stehen noch die Häuser, oder die Fassaden.
Zum Goldenen Löwendas Hotel ist allerdings noch da, und ist auch nach wie vor ein Hotel, mit schönem Jugendstil-Entrée. Die eine oder andere Lesung fand dort statt, vielleicht ließe sich das wiederaufnehmen.

Kleine Radtour

Kleine Radtour zum Neuen Jahr. Ich kam mir vor wie in einem holländischen Landschaftsgemälde des 17. Jahrhunderts, die schönen Wolken, das Licht zwischen Gelb und Braun, die Gänse mit ihrem Ruf, in Schürhakenformation. Später die Biogasanlage des Barons, die B9 (schwach befahren). Modder. Am Wegrand ein Raubvogel höhlte eine Taubenbrust aus, flog auf. Kurz daneben gefedertes Gras. Matsch. Wiesen, wassersatt.

An die Maas, 2007

Ausflug an die Maas, südwestlich von Well. Spaziergang im scharfen Wind. Der Acker flussnah, Trecker sind darüber gefahren. Vorbeituckernde Schiffe, Schubkähne, alle getauft, alle ungläubig.
Apfelkuchen → appelvlaai.
Provinz Limburg, Tante Jet. Ausgeschildert ab Blitterswijk.

Rheinischer Hof

Zum Goldenen Löwen
Zum Schwarzen Pferd
Zum Schwarzen Raben
Zum Blumenkranz

Zum Tannenbaum
(Linden- Palm-)
Zu den drei Hufeisen
Zu den drei Scheren

St. Sebastianus (Geschw. Schülter)
St. Augustinus (Therese Mürtz)

Janssen
Verhasselt
Pesch
Voss

Zur Goldenen Kugel
Zum Goldenen Faß

Kläuenpitter

Eine Leserzuschrift:
„Da ich noch ein paar Jahre älter bin, erinnere ich mich an die Lumpensammler: Lumpen, Eisen, Papiiiiiier! Haaaaaaderlumpen, Haaaaaderlumpen! – oder ist es nur Einbildung und versetzte mich die Phantasie dorthin? Schöne Erinnerungen, immerhin […]. Die Gemüsehändlerrufe mag ich auch sehr, so mit innigem Ernst und mitunter weniger addressiert und eher irgendwie gebetet.”

Ich hab (schwach) eine ärmliche Gestalt im Kopf, den Kläuenpitter. Das war ein alter Mann, im Rückblick eher mittelalt, der eine zweirädrige klapprige Karre hinter sich herzog oder vor sich herschob und die Gegend nach brauchbaren Sachen abklabasterte. Die Karre stand dann da am Straßenrand, während er sich in Hausnähe zu schaffen machte, wo vielleicht ein Brett lag oder ein Nagel. Der rief aber nichts, der kam einfach stumm die Straße lang. Er zog dann weiter Richtung Nord, Paul Klee-Straße, Weezer Straße, In de Kull.
Der Kläuenpitter war kein Bettler, sondern ein Sammler. Ich glaube nicht, dass er klaute. Und wer nannte ihn eigentlich so? Heute wäre er vorstellbar als einer von den Männern, die auf dem Bahnsteig zwischen den Wartenden her zu den Mülleimern laufen, das Feuerzeug anratschend, hineinleuchtend auf der Suche nach Pfandflaschen (manche haben auch eine Taschenlampe). Ich könnte solche Arbeit nicht tun.

Und was hat das Leben sonst zu bieten? Seit zwei Wochen habe ich eine Geranie. Neuerdings steht sie auf meinem Schreibtisch (Nierentisch), von wo sie nach draußen blicken kann. Gleich neben ihr reckt sich eine vom Sommer übriggebliebene Tomatenpflanze in die Höhe – jetzt, wo ich ihr angeknackstes Gelenk mit Tesafilm umwickelt habe, erst recht aufstrebend. Tomaten wird sie nicht mehr hervorbringen, sie darf trotzdem wohnen bleiben.
Morgens gehe ich auf die Terrasse, zwei Weckgläser in der Hand. Meine Haustiere sind scheu, aber verlässlich.
Mein eigenes Frühstück besteht aus schwarzem Kaffee. Später kaufe ich auf dem Kottbusser Damm ein Käsebrötchen. Der Käse ist ein blasser Industriekäse; das Salatblatt und die Tomatenscheibe werden wohl echt sein.

Liewe ***!

Rees, denn 1. Märt 1987

Liewe ***!

Ek hebb Ouw Buuk met de Wört in Kävels Platt geläse, dörgekeeke. Dat es een guije Saak, wat Gej dormet för ons alde Modertaal gedon hätt. Männige Wört hebb ek gesükkt äwer nij gefonde. Weche dat Bükske nej dröcke lot, koßgej de Wört jo dorin opneme.
Enn paar Wört, fond ek, wasse nij rechteg:

Schloop, schloope gohn – nitt Schlaap
Klapp – nitt Kläpp
Kennemelk (Kännemelk) – nitt Kernemelk
Schloff – nitt Schluff
(Pantoffel, Pantoffelheld, langsamer Mensch)
Kläpp gev et ok: De Blage hange mej an de Kläpp (Schöße)

Nauw komme de Wört, de ek nij gefonden hebb:

Achterdör – hintere Tür
Bandel – Reifen
bandele – Spiel mit Reifen
Bökske – kl. Hose, Kinderhose
Dörpel – Stufe vor der Haustür
hooge Dörper – entw. mehrere Stufen / hohe Steinstufe
Gätske – kleine Gasse
Hunsdag – Mittwoch
Dratz – Kaffeesatz
Donderdag – Donnerstag
fette Donderdag – Donnerstag vor Fastnachten
Gonda – Adelgunde
Henn – Heinrich
Hennohme – Onkel Heinrich
Hüßdör – Haustür
Kelderkamer – Zimmer über dem Keller
Klapphut – Zylinder
Kabüffke – kl. Zimmer
Kläpp – Schöße
Knursch – Knorpel
Känn – Buttermaschine
kwatze – antragen, verraten
Kerßmess – Weihnachten
Ländchen – kl. Land, Spiel mit Messern
Lievfrouwendag – Tag Maria Empfängnis
Ssuckerplaaslievfrouwendaag
(es wurden an dem Tag in allen Wirtschaften Zuckerplätze gedoppelt)
Lechmess – Maria Lichtmess
Möpp, fiese Möpp – unangenehmer Kerl
Möppke – kl. Plätzchen
Ohme, Oome – Onkel
Pitt – Peter
pösele – essen
Quasselsterrt – einer, der viel redet
quassele – drauflosreden
schongele – handeln, herunterhandeln
Schollmester – Lehrer
Schollblage – Schulkinder
schofel – gemein
Stüppke – kleine Stufe, niedrige Stufe
schandaleg – schlimm
Schamieske – Bäffchen mit Kragen, Oberhemd vortäuschend
schalunz – falsch, Eigenschaft eines Menschen, dem man nicht trauen kann
verknuse – nicht leiden können
de kann ek nij verknuse

Hebb ek äwer en Wort översien, vergett et ma.

hartlijke Grut

enne Kävelse on alde Bekende van frugger

[Abschrift der Kopie eines original maschinenschriftlichen Briefs an den Herausgeber eines Mundartwörterbuchs.]

Übersetzung des Briefanfangs:

„Ich hab Dein Buch mit den Wörtern in Kevelaerer Platt gelesen, durchgeguckt. Das ist eine gute Sache, was Du damit für unsere alte Muttersprache getan hast. Manche Wörter habe ich gesucht, aber nicht gefunden. Wenn Du das Büchlein nachdrucken lässt, kannst Du die Wörter ja darin aufnehmen.
Ein paar Wörter, fand ich, waren nicht richtig […].“

Kunst braucht mehr Zähne (Mäzene)

„Sehr geehrter Herr ***,
Ihre Nachricht haben wir erhalten.
Zum Status Ihrer aktuellen Mitgliedschaft können wir Ihnen leider nichts sagen. Die Mitgliedschaft bei der *** endete zum [Datum von vor zwei Jahren]. Weitere Daten zu Ihren Beschäftigungen liegen uns nicht vor.”

A. lieh mir ihr Fahrrad, nannte mir die Zahlenkombination des Ringschlosses und warnte mich, dass die Vorderbremse kaputt sei und die Rücktrittbremse verzögert funktioniere. An der B9 musste ich an einer murksig geschalteten Ampel halten.
Ich sagte der Frau hinter dem Empfang Bescheid. Sie nickte, und als ich im Warteeck Platz genommen hatte, stand sie auf und verschwand hinter einer Milchglastür.
Im Behandlungszimmer hingen Kinderzeichnungen. Dieser Schmuck gefiel mir besser als der Wilhelm Busch-Bilderbogen im Wartezimmer von Zahnarzt Sasse, früher.
Dr. B. redete mir ins Gewissen, guckte mir in den Mund und kündigte an: „Ich tu Dir ein bisschen Plastik drauf”, und tat’s. Er redete mir wieder ins Gewissen, ich konnte den Mund wieder zumachen, eine Stunde nichts essen, empfahl er und sagte: „Es war mir eine Freude.” „Ich geb‘ der Frau an der Rezeption meine Adresse”, verabschiedete ich mich. Er schüttelte den Kopf, sagte nur noch einmal: „Es war mir eine Freude”, und damit entließ er mich.

Lichter

Die Laterne an der Straße vor meinem Fenster streicht unablässig ihr Licht glatt, dass es konisch fällt.
Das pünktchengroße, sonnenhelle Standlicht der Sterne. Die tapferen Lichtröhren der vorbeischnurrenden Autos. Die schleunige Blinkbewegung der Satelliten. Schneehelligkeit von den Dächern. Da geh ich jetzt raus mit meinem schwarzen Cellokoffer und weiß die schwarze Katze von Neuhaus dort sitzen hinter der Hecke.