Silvester-Pop & Jazz-Gold

… und zum vorläufigen Schluss ein wieder mehr puristisches Jazzstück, gespielt von María Grand, Tenorsaxophon, Kanoa Mendenhall, Bass, und Savannah Harris, Schlagzeug.
Die Komponistin (M.G.) erklärt zum Titel:
„Whabri signifies an imaginary animal that is half whale half hummingbird (in Spanish, Colibrí). This song seeks to express a being of extremes, both heavy, light, fast and nimble and large and imposing; an embodiment of additive truths as opposed to exclusive ideas.”
Der Track ist aus dem Album Reciprocity, das 2021 bei Biophilia Records erschienen ist.

*** PROGRAMMZETTEL ***

Hundi May You Sing Like No One Is Listening (2011)
2. Charlotte Adigéry & Bolis Pupul Haha (2022)
3. Annette Peacock Survival (1979)
4. Palais Schaumburg Telephon (1981)
5. Rosalía Delirio De Grandeza (2022)
6. Mary Halvorson & Amirtha Kidambi Accurate Hit (2018)
7. Cécile McLorin Salvant Ghost Song (2022)
8. & 9. Don Cherry Nonet Eternal Rhythm Pt. I: Baby’s Breath / Sonny Sharrock / Turkish Prayer / Crystal Clear (Exposition) / Endless Beginnings / Baby’s Breath (Unaccompanied) (1968)
Pt. II: Autumn Melody / Lanoo / Crystal Clear (Development) / Screaming J / Always Beginnings (1968)
10. Yelle Karaté (2020)
11. Lounge Lizards Voice of Chunk (1989)
12. María Grand / Kanoa Mendenhall / Savannah Harris Whabri (2021)

Musik zum Advent

Montag. In der Nacht hat es geschneit, nicht doll viel, aber genug, dass heute Schneelicht ist. Die Lautstärke der Autos heruntergedreht, auch recht. Ich specke ein bisschen an. Mit dem Tee hinterher, 9 als nächstes, Zitrone Ingwer. Dank je wel!

Es ist selbstverständlich (wer mich kennt) keine adventliche Musik. Weihnachten heißt für mich das Zimmer aufzuräumen, Staub zu saugen und Ruhe zu haben. Ich bin ein erz-nüchterner Weihnachtsbegeher.
Allein, dass ich die folgenden Darbietungen in dieser Zeit des Jahres zusammenstelle, qualifiziert sie für besagtes Attribut.
Bestimmt würfele ich noch ein bisschen herum, füge etwas hinzu, nehme etwas weg, ihr kennt das ja.
PS. Nichts von den unten gelisteten Musikstücken habe ich je im (deutschen) Radio gehört (Ausnahme Robin Holcomb, die Karl Lippegaus mal aufgelegt hat). Welche Verschwendung!

Ohne Zusammenhang: Nancy Hünger weist in ihrem „Aber ohne Ergebnis” überschriebenen Beitrag zum Günter Eich-Sammelband darauf hin, dass die tschechische Trickfilmfigur Der kleine Maufwurf und Günter Eichs Maulwürfe-Prosa im selben Jahr das Licht der Welt erblickten, 1968. Welche Utopien wurden da aufgeworfen, welche begraben?

Captain Beefheart The Dust Blows Forward ‘N the Dust Blows Back Captain Beefheart alias Don Van Vliet (15.1.1941 – 17.12.2010). Das zweite Stück aus dem von seinem einstigen Klassenkameraden Frank Zappa produzierten Album Trout Mask Replica (1969). *****

Rosalía Bizcochito Rosalía steht mit Motomami (2022) verdientermaßen auf den vordersten Rängen aller Jahres-Bestenlisten. Meine niederrheinischen Freunde verstehen nicht, was ich an Rosalía finde, aber ich lasse mich nicht beirren. *****
Robin Holcomb When I Stop Crying Montag, 21.00 Uhr. Vor zwanzig Minuten von der Arbeit nach Hause gekommen. Die Straße so glitzernd, lieber mal langsam laufen. – Hab ich 9 gesagt? Tee 8 war’s, aber Ginger Lemon, wie gehabt. – Der Song ist von Holcombs Rockabye-Album, das 1992 herauskam, vermutlich habe ich’s um die Zeit auch gehört. ***** The Angelica Sanchez Trio (w/ Michael Formanek & Billy Hart) Generational Bonds Angelica Sanchez ist mir bei Bandcamp begegnet, sie taucht aber auch in Giovanni Russonellos Auswahl der (10) New York Times Best Jazz Albums of 2022 auf. Das Stück lädt ein zu überprüfen, was das Blatt, und wahrscheinlich abermals Mr Russonello als dessen Jazz-Kritiker, über Angelica Sanchez geschrieben hat: „In her piano playing as well as her compositions Angelica Sanchez seeks out the lyrical heartbeat within any avant-garde storm…”  ***** Dua Lipa Golden Slumbers Das Beatles-Cover stammt aus der Live Acoustic EP (2017). Gute Stimme, ich möchte sie nicht missen! *****

21.00 Uhr, vor gut einer Stunde nach Hause gekommen. Jetzt 9 („Grüne Neune. Bio Kräuter-Früchtetee”). Ich specke weiter an, die Musik ist noch nicht zu Ende. – Es ist sicher kein Zufall, dass der beste anhörbare Jazz hispanische Verbandelungen hat, und ich überlege, ob ich anhörbar oder Jazz kursiv setzen soll. Bei Angelica Sanchez, in Phoenix, Arizona, geboren, vermute ich es; bei Marta Sánchez und Patricia Brennan weiß ich es; Adam O’Farrill nicht zu vergessen. [Text gestrichen] These (1): Literatur ohne Witz ist gipsern, wird vornehmlich von Gipsköpfen goutiert und ad infinitum in Gips gegossen. These (2): Literatur kann nicht zum Erstarren gebracht werden. Wenn sie starr ist: schlecht für sie.) María Grand/Rashaan Carter/Jeremy Dutton Magdalena ***** Ich bin abgeschweift. Sizigia (Syzygy), vorletztes Stück aus dem im November bei Kris Davis‘ Label Pyroclastic Records erschienenen More Touch. – Magdalena aus dem gleichnamigen Album (2018) der Tenorsaxophonistin María Grand.

O Gott, die Ziehzeit ist jetzt aber auch drüber!

MF DOOM (1971-2020) ist im aktuellen Song Belize von Danger Mouse und Black Thought als Stimme und Schatten dabei. DOOMs Tod am 31.10.2020 wurde erst am 31.12.2020 bekanntgegeben und überschattete den Jahreswechsel. Präsident Biden nahm einen Song von ihm in seine Inaugurations-Playlist auf, die Regierung Obama hatte ihm die Wiedereinreise in die USA verweigert (Wikipedia).

Zwei Abende verwendet man darauf, Text zu ergänzen, einen, um ihn wieder wegzunehmen – nicht alles, das ist wahr. – Sudan Archives stammt aus Cincinatti, Ohio, ich habe erst kürzlich angefangen, sie zu hören. Paid ist der erste Track ihrer sehr zu empfehlenden selbstbetitelten EP (2018), das Video zeigt sie mit Anfang/Mitte 20. Ihre Präsenz ist hypnotisch und rahmensprengend (die Kamera unverschämt draufhaltend, aber sie weiß es zu handeln). Auch Home Maker ist ein Opener – diesmal ihres zweiten Longplayers: Natural Brown Prom Queen (September 2022). Das oben verlinkte Golden City ist wiederum aus der Sudan Archives EP. „I’m not average”, singt Sudan Archives auf ihrer aktuellen Veröffentlichung. Das kann man wohl sagen!

Vulture Prince von Arooj Aftab, die in Brooklyn, New York, lebt, ist eine herausragende Veröffentlichung des vergangenen Jahres (2021). Arooj Aftabs Stimme bündelt alles abgrundtief Traurige der Welt. Der Sender KEXP aus Seattle hat sie eingeladen, ihre Musik zu spielen. Mach das in Deutschland, dann bleiben die Werbekunden weg!

Rosalía Granaína (Gitarre: Marc López) *****

… und ein ‚Rausschmeißer‘:

Ostereier oder Zögern ist okay

1965 brachte das Archie Shepp Quintet das Album Four for Trane heraus. Es enthielt vier Coverversionen von Stücken John Coltranes (im Bild links, mit Jackett) sowie eine Originalkomposition des Bandleaders. Der vergleichsweise weniger prominente Altsaxophonist Marion Brown fand das Konzept gut und veröffentlichte 1966 beim gleichen Label (Impulse) die Platte Three for Shepp, mit drei Eigenkompositionen und drei Kompositionen von (mit Strickmütze:) Shepp.
Coltrane hatte sich um Mitte der 60er Jahre dem Free Jazz angeschlossen. Als sein Produzent bei Impulse, Bob Thiele, den Meister fragte, welche Musiker er ihm empfehlen könne, kam Coltrane mit einer Liste von dreihundert Namen.
Vielleicht erzähle ich die Anekdote nicht ganz korrekt, aber die Richtung stimmt. Coltrane warf seine gesamte Autorität in die Waagschale – in den USA sind ihm Kirchen geweiht, wenn ich nicht irre -, um Leute zu unterstützen, und einer von ihnen war Marion Brown.
Aus dessen nur etwa halbstündigem Album Three for Shepp hier nun das Stück The Shadow Knows. Nach Vorstellung des Themas (2x), geht es sogleich in die Vollen. Dave Burrell malträtiert das Klavier, das irgendwie schwammig aufgenommen wurde, Marion Brown spielt ein aufgeregtes, quirliges Solo, das vom freien, quirligen Spiel des Posaunisten Grachan Moncur III sekundiert wird (immer Burrell im Hintergrund, mit aller Kraft Schlamm aufwirbelnd). Bei 2:30 Trommelschlag und Wiederholung des Themas, bei 3:00 ist Schluss. Sehr erfrischend!
Danach Rosalía mit dem Alphabet-Stück Abcdefg aus ihrem aktuellen Werk Motomami, gefolgt von einer anderen Individualistin, Kelly Lee Owens. Arthur stammt aus ihrem selbstbetitelten Debütalbum, über das sie hier ein bisschen erzählt: Kelly Lee Owens unravels her weird world. Die Formulierung „song in your heart and poetry in your blood” hat es mir besonders angetan.
Esperanza Spalding hat mit Kelly Lee Owens die Überzeugung gemein, dass Musik heilend sein kann, bestimmte Harmonien, Schwingungen. Earth to Heaven ist aus Emily’s D+Evolution und hat mit dieser Idee vielleicht weniger zu tun. Bei den hier folgenden Songs ist das aber anders. Sie sind aus Twelve Little Spells: jedes der zwölf Stücke ist einem jeweils anderen Körperteil gewidmet. (Für ihr jüngstes Album hat Esperanza Spalding u.a. mit Neurowissenschaftlern zusammengearbeitet, sie will es wissen!)
You Have to Dance muss man laut hören.

Jetzt ein kleiner Cut: Das Sonny Rollins Quartet mit einem ‚klassischen‘ Stück von anno 1962, The Bridge. Sonny Rollins hatte sich vor Veröffentlichung der gleichnamigen Schallplatte, auf dem Höhepunkt seiner Karriere (Saxophone Colossus), für drei Jahre aus der musikalischen Öffentlichkeit zurückgezogen, um an seiner Spieltechnik und seinem Konzept zu arbeiten (er pflegte in jener Zeit stundenlang auf einer Brücke zu üben, wahrscheinlich in New York) – ein Rückzug, der zweifellos damit zusammenhing, dass Ende der 50er Jahre Ornette Coleman die Szene betreten hatte: Wenn neben dir ein Komet einschlägt, musst du dir was überlegen. Rollins fühlte, dass er nicht so weitermachen konnte wie bisher, er ging in Klausur und sortierte sich neu.
Das Marta Sánchez Quintet setzt den Schlusspunkt mit Eternal Stillness.

Dies sind meine Musikvorschläge für Ostern.

Und das Zögern im Titel? Na, heute mal keine politischen Themen.

Ich hör dir zu, erzähl, erzähl!

Diese freundliche Aufforderung, und auch Versicherung, die zudem in eine rhythmisch ansprechende Form gebracht war, hörte ich heute am U-Bahn-Aufgang Mierendorffplatz in Berlin-Charlottenburg, eine junge Frau sprach sie ins Handy.
Ich war in der Gegend, um einen Wohnungsschlüssel in Empfang zu nehmen, eine Freundin hatte mich eingeladen, für einen Monat eine „Stadt-Residenz” zu beziehen. Anders als beim vorigen Mal gibt es keinen Wald von Tomatenpflanzen auf dem Balkon, der zu tränken ist, nur eine Zimmerorchidee (braucht nicht viel) und eine Art Wassergras, das an japanische Holzschnitte und Haikus erinnert; ist aber nicht japanisch.
Ich habe mir noch nicht genau überlegt, wie ich’s mache. Zerrissenheit vermeiden, oder begrenzen!

Rosalías El Mal Querer und Motomami höre ich, wie ich ein Jazzalbum oder ein Streichquartett anhören würde: in der von ihr vorgesehenen Reihenfolge, von A nach Z. Warum der Kritiker von AllMusic, Thom Jurek, dem ersten Album (nur) vier Sterne und dem zweiten viereinhalb Sterne gibt (von fünf), ist mir nicht klar, hat aber seine Folgerichtigkeit, denn das Debüt, Los Ángeles, ist mit dreieinhalb Sternen bewertet – eine steigende Kurve.
El Mal Querer erzählt eine zusammenhängende Geschichte in elf Kapiteln. Motomami ist so kunstvoll gemixt, dass es in einem gehört werden will, ungefähr wie die zweite Seite von Abbey Road.
Beides sind, auf ihre Art, Konzeptalben. Das finde ich einen überraschenden Ansatz für eine Popmusikerin, die ihr dreißigstes Lebensjahr noch nicht erreicht hat.

Rosalía (oder Dua Lipa 🙂 ) zu hören zähle ich zu den Lichtblicken in diesem Jahr, das sich sonst düster anlässt. (Eine gute Freundin von mir ist seit Wochen krank, jetzt gehe es ihr allmählich besser, „nur Atmung und Gedächtnis lassen noch zu wünschen übrig”: So Sachen kommen hinzu.)
Es fällt mir schwer, bei all dem Bedrückenden, das um uns ist, den inneren Raum herzustellen, den es braucht, um zum Beispiel arbeiten zu können.
Politische Fehlentscheidungen gegen besseres Wissen, wie die Freigabe eines Ölbohrfeldes vor Neufundland, das dann über Jahrzehnte hin ausgebeutet werden und unfehlbar die Erderhitzung weiter beschleunigen wird, machen mich rasend. (Angeblich sind die Umweltschutzauflagen bei diesem Projekt die härtesten, die Kanada je erlassen hat, so Justin Trudeau.)
Andererseits gibt es Persönlichkeiten wie Tony Rinaudo, über den Volker Schlöndorff den Film Der Waldmacher gedreht hat – jetzt in den Kinos -, die Hoffnung machen, dass der Selbstmord der Menschheit auf einem zugrundegerichteten Planeten misslingen wird.
Wenn dann noch im Oktober der brasilianische Teufel abgewählt werden sollte, werde ich vielleicht wieder gnädiger auf die Zeitläufte blicken. (Der chinesische, russische, syrische und der nordkoreanische Diktator – sicher habe ich ein paar vergessen – sind leider putzmunter und können noch viel kaputtmachen.)

[Hier war ein Video: Hard Balance des Marta Sánchez Quintet – leider gesperrt.]

Erdstunde

Es ist ja nicht so, dass es immer etwas zu sagen gäbe, und schon gar nicht etwas, auf das irgendjemand warten würde.

Als ich um Viertel nach acht das Licht ausschaltete, um die Earth Hour mitzumachen, bin ich eingeschlafen.
Ich überspringe ein paar Stunden.
Die Uhr stand noch nicht einmal auf fünf, anscheinend war ich mit Schlafen fertig. Ich streute den Vögeln Futter hin und füllte frisches Wasser in ihre Trinkschale. Ich machte mir einen Kaffee.
Für morgen habe ich den Wecker auf sieben Uhr gestellt, sechs Uhr Winterzeit. Es wird ein paar Tage brauchen, bis ich mich umgewöhnt habe. (Wenn ich Uhr und Wecker sage, meine ich die entsprechenden Funktionen meines Smartphones.)

El Mal Querer (2018)

Das Benefizkonzert im silent green hat mich mit Unbehagen erfüllt. Das Programmheft enthielt keinen Hinweis, was gespielt wurde, die Interpreten haben die Stücke nicht angesagt. Die Kompositionen extrem karg und verneinend: als versagten es sich die Tonsetzer, Töne zu setzen. Die Instrumente wurden so behandelt, als wären sie andere Instrumente, oder als wären sie nicht dazu gemacht, überhaupt zu klingen. Musik als Klangvermeidung, meist knapp an der Hörbarkeitsgrenze, und fast immer leiser als die rauschende Klimaanlage. Überraschenderweise kam zum Schluss dann doch noch eine Komposition, in der sich Schall ausbreiten durfte – eine Ausnahme in einem im übrigen konsequent klaustrophobischen Setting. (Gut gefiel mir auch ein suggestives Stück, das Bombardements und Sirenengeheul zitierte, und das Schlagen der Totenglocke.)

Seltsame Zeiten, in denen in Talkshows die Möglichkeit eines Dritten Weltkriegs erörtert wird.
Ich habe lange hin und her überlegt, wie ich zu einer Einfuhrsperre fossiler Energien aus Russland stehe. Was Deutschland betrifft, würde ich dies richtig finden, auch weil ich mir von einer solchen Maßnahme erhoffe, dass Russland gänzlich aufwacht und seinen Tyrannen absetzt. (Träumen darf man ja.)
Unbeheizte Krankenhäuser und Altenheime sind nicht schön, aber wenn es hilft, den Beschuss von Krankenhäusern und Altenheimen zu beenden … Die Frage ist, ob andere Länder der Europäischen Union einen Lieferstopp ebensogut verkraften könnten wie wir.
Natürlich ist es auch nicht toll, auf Fracking-Gas auszuweichen oder neue Allianzen mit neuen Schurken zu schmieden.
Autofahrer zu entlasten: ebenso falsch. Verzicht wäre angezeigt! Car is over. (Ich habe nichts gegen Autos, aber die Idee des Autoindividualverkehrs ist wahnsinnig. Man müsste das herumstehende Blech genauso einsammeln wie dies Müllsammelboot Plastik einsammelt -> hier.)

Wird die Erde die Barbarei des Menschen überleben?

Mit einer Freundin habe ich den Plan gefasst, wenn die Waffen endlich schweigen und die Städte noch stehen, eine Reise nach Lemberg und Odessa zu unternehmen.

Walgesänge der einfahrenden Bahn

Eine Meldung ließ mich aufhorchen: Trotz interner Warnungen. Verteidigungsministerium kauft deutlich überteuerte Tankschiffe. Wie kann das sein? Der Bundesrechnungshof und interne Prüfberichte des Beschaffungsamts warnen vor dem (um schätzungsweise 250 Millionen Euro) überteuerten Kauf zweier Tankschiffe beim Bremer Rüstungsunternehmen NVL – und die Leitung des Beschaffungsamts empfiehlt den Deal, und wünscht sich von der Belegschaft, die Entscheidung loyal mitzutragen (laut Notiz des Deutschlandfunks, siehe oben). Das Bundesverteidigungsministerium stimmt zu.
Christine Lambrecht ist mir ebenso unsympathisch wie ihre Vorvorgängerin Ursula von der Leyen, und ich finde, dass sie dumm aussieht. Doch ich glaube nicht, dass sie korrupt ist (allerdings glaube ich auch nicht, dass sie Korruption bekämpft). Aber bei Dr. Ruth Brand (Präsidentin) und Karsten Scholtz (Abteilungsleiter Beschaffungen) vom Beschaffungsamt würde ich doch einmal auf ungewöhnliche Kontobewegungen und/oder Urlaubseinladungen achten – zum Beispiel seitens der Geschäftsführung von NVL oder der Lürssen-Werft.

Zum Weiterlesen: Korruption (Wikipedia).

Esperanza Spalding, Funk the Fear – Live your Life

Gestern vom Familientreffen zurückgekommen. Es war schön, die Bagage mal wiederzusehen. Der Austausch eher oberflächlich, war aber okay. Was soll man auch reden? Erzählen, was in den drei oder vier Jahren seit dem letzten Mal gewesen ist? Das wäre ein Anfang, verlangt aber eine Konzentration auf den anderen, die außerhalb einer Zweierkonstellation weder möglich ist noch höflich wäre.

Ich klinge negativ, wenn ich über Familie schreibe … (haha, das meiste, was ich geschrieben habe, habe ich gelöscht) – doch als die Doodle-Umfrage gestartet wurde, habe ich jeden Termin angekreuzt. So schlimm kann es um meinen Familiensinn also nicht stehen. Dennoch halte ich Familie (und Ehe) für überschätzt, übrigens auch für überholt. Wir fahren ja auch nicht mehr im Fiaker durch die Gegend.
Nicht für überschätzt halte ich das freie Bekenntnis zu einem Menschen, und die damit einhergehende Entscheidung für Verantwortung, Verlässlichkeit und Treue.

Die CD von Cate Le Bon (Pompeii), die ich H schenkte, in deren Gästezimmer ich unterkommen durfte, hat ihr nicht gefallen, dafür die CD von Rosalía (El Mal Querer), die ich erst kurz vor Abfahrt gekauft und darum mit eingepackt hatte. Diese wollte ich jedoch nicht abgeben, konnte sie in Kevelaer aber auch nicht nachkaufen (nicht einmal bestellen). Jetzt wird H Pompeii an F weiterverschenken und dafür die neue Platte Rosalías bekommen, Motomami, wenn sie dann ankommt.
Im Jazz begeistert mich gerade Adam O’Farrill am meisten. (Oh, Tomeka Reid ist auch toll.) Ich nehme es als Kompliment, dass der zuständige Juror für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik meine Formulierung bei Bandcamp etwas verändert aufgegriffen hat.
Bei mir heißt es: „Die Mischung aus Struktur, Feuer und Lakonie ist einzigartig.”
Er spricht von einem „Wechselbad von Struktur und Freiheit, Feuer und Lakonie.” Na bitte!
Auch das frühere Album des Adam O’Farrill Quartetts, El Maquech, ist phantastisch.

Rosalía feat. Tokischa, LA COMBI VERSACE

Über die Rotbuchen-Pflanzaktion im Norden Berlins vielleicht ein anderes Mal.

Sonntag mittag findet im silent green (Betonhalle) ein Benefizkonzert für die Ukraine statt.

A Garden of Forking Paths – Finale 2

Ukraine Fund Raising Konzert

Mehr zum Programm hier. Der Eintritt ist frei.
„Vor Ort werden Geldspenden in bar gesammelt und es wird zu Spenden auf ein eigens eingerichtetes Konto (Empfänger: Wir packen’s an; GLS Bank; IBAN DE46 4306 0967 1059 2396 02) aufgerufen. Diese kommen dem Brandenburger Verein „Wir packen’s an e.V.“ zugute, der musikpädagogische Projekte für durch Krieg und Flucht traumatisierte Kinder und Jugendliche organisiert.”

Das Konzert wird hier direkt übertragen (und kann später auch nachgehört werden).

Wir packen’s an – Nothilfe für Geflüchtete

Haben wir Vollmond, oder warum schlafe ich nicht?

Graue Energie

Zum 5-jährigen Firmenjubiläum im Dezember schenkte mir mein Arbeitgeber – wahrscheinlich beraten durch meine Managerin -, neben anderem, einen sogenannten Rührblitz der Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF), einen Schneebesen, dessen Stäbe in Kügelchen auslaufen, die mich von fern an das Brüsseler Atomium erinnern, und auch an diese Skulptur von, warte. Genau, an die Hans Uhlmann-Plastik im Berliner Hansaviertel (um 1957 dort aufgestellt, laut Wikipedia). Immer, wenn ich in der Ecke bin, suche ich diese Skulptur auf und sage hallo, nicht anders wie ich der Dicken Marie hallo sage, wenn es sich ergibt. Hallo, hallo.

Die Lektüre von Bonjour tristesse habe ich immer mehr verlangsamt, weil ich die Intrige, mit der Cécile die Beziehung ihres Vaters zu Anne zu zerstören gedenkt, nicht gut ertragen kann. (In der genannten Online-Enzyklopädie ist zu lesen, dass seinerzeit der Literaturnobelpreisträger François Mauriac, 69, auf der Titelseite des konservativen Figaro Françoise Sagan einen Verriss widmete, in dem er sie ein „charmantes kleines Monster von achtzehn Jahren“ nannte – reizend! Mit Monstern kennt sich die katholische Kirche gut aus, um so größer ihr Empörungswille.)

Diese Woche gab es einen neuen Song von Rosalía, Saoko, aus ihrem demnächst erscheinenden Album Motomami (ET: 18.3.2022). Krawallig und um eine Minute kürzer als radioüblich. Zwischen 1’30“ und 1’40“ eine kleine Jazz-Einlage, was für sie, glaube ich, neu ist. Das aufreizend gemachte Video nicht so meins, aber wahrscheinlich gut für den Verkauf. (Oh, ich bewundere Rosalías Schönheit, so ist es nicht, maar wat te veel is, is te veel.)

„Das sagen sie natürlich erst, wenn man in der Falle sitzt“, flüsterte ich meinem gitarrespielenden Bruder zu, der mit zum Konzert im Pierre Boulez Saal gekommen war, wo eine Lautsprecherstimme gerade verkündet hatte, dass Ned Rothenberg (Klarinette, Bassklarinette, Altsaxophon) wegen Krankheit leider ausfalle. Nun war ich aber sowieso wegen Mary Halvorson gekommen, die zusammen mit Sylvie Courvoisier die erste Hälfte des Programms bestritt: Gitarre Klavier. Sie spielten Stücke aus ihrem Duo-Album Searching for the Disappeared Hour (2021), Musik, die kaum klassifizierbar ist, eine, wenn überhaupt, abstrahierte Form von Jazz, keine Melodien zum Nachpfeifen.
Bewunderungswürdige Unisono-Passagen. Sylvie Courvoisiers Hände flogen nur so über die Tasten. Sie setzte auch die Handrücken ein: in der Bewegung fließend wie bei Max und Moritz, nachdem sie in den Teig gefallen waren, zum ersten Mal habe ich das bei Don Pullen gesehen, YouTube. Hin und wieder beugte sie sich vor und zupfte die Saiten (es gibt ein Wort dafür), während Mary Halvorson Art, Dauer und Dichte der Gitarrenklänge mit Bottleneck und Wah-WahExpression-Pedal, Loops, Zuspiel, Anreißen der Saiten nahe am Steg, Flageoletts usw. vielschichtig gestaltete, und natürlich mit ihrem Anschlag, mal mit, mal ohne Plektrum, sanft oder zupackend, je nach Erfordernis.

Der Mann in der ersten Reihe, der vor Beginn des Konzerts Wasserflaschen neben Klavier, Gitarrenständer und Schlagzeug abgestellt hatte, und den ich für den Roadie gehalten hatte, entpuppte sich als der Schlagzeuger, Julian Sartorius, der nun, im zweiten Teil des Abends (die Pianistin hatte die Zeit mit dem Smartphone abgenommen, das sie hinter die Tastatur in den Flügel gelegt hatte), das Sylvie Courvoisier 4tet vervollständigen half, soweit mit drei Leuten möglich. Bevor er anfing zu spielen, steckte er sich ein ganzes Bündel Schlegel (Schlägel) in die Tasche, die er im Laufe des Sets nach und nach herausfischte, wie Pfeile aus einem Köcher.
Lässt sich Mary Halvorsons aufgeräumter Gesichtsausdruck auf die Formel „Aufmerksamer Blick zu Sylvie Courvoisier“ bringen, fiel beim Drummer eine überspringende Freude auf, abzulesen an einem großen Lächeln, das ihn selten einmal verließ. Sind Schweizer so? Aber Sylvie Courvoisier ist ja auch Schweizerin. Ihr Gesicht konnte ich allerdings nicht sehen (außer bei den Ansagen, da wirkte sie bestens gelaunt, sagte, auf Englisch, Dinge wie: „Die Melodie müssen Sie sich dazudenken!“ oder: „Von der Maske kriege ich Pickel!“), stellte es mir aber hochkonzentriert vor, wie bei einer Operation im Wettlauf gegen die Zeit. Da lacht man nicht.
War das Duospiel schon dicht gewebt, brachte das Schlagzeug zusätzliche Komplexität – und Energie. Hervorragende Bühnenkommunikation. Das feine Interplay konnte ich besonders gut genießen, wenn ich die Augen schloss, wobei ich nicht in den ‚Fehler‘ verfiel, einzuschlafen, wie der Sitznachbar meines Bruders.

Hostessen überreichten Blumen. Sylvie Courvoisier dankte mit leichter Verneigung – und reichte ihre Blumen gleich ins Publikum weiter. Mary Halvorson behielt ihre in der Hand (verschenkte sie vielleicht auch, später, unbemerkt). Julian Sartorius stopfte den Strauß in eine Öffnung oben in der Basstrommel. Dann verließen sie die Bühne, kamen für eine Zugabe wieder (Mary ohne Blumen).
Ein tolles Konzert. Ehrlich gesagt, ich hätte es mir etwas weniger ungezuckert gewünscht, etwas süffiger, aber es war schon sehr, sehr gut.
Auch der Saal selbst: wunderbar!

Ostermusik

Zu Ostern überraschenderweise ein kleines spanisches Musikprogramm mit der stimmgewaltigen Rosalía.
Zuerst ein Stück, das besser zum gestrigen Karfreitag gepasst hätte, La Llorona (= Die Wehklagende).
Im nachfolgenden Song, De Plata, wird die Energie deutlich intensiviert. Hier, wie auch in dem abschließenden Studioset:

ist der Gitarrist Raül Refree beteiligt.
Ich werde noch ein paar mehr Ostereier ins Nest legen, wenn’s recht ist, z.B. ein fröhliches Baumpflanzvideo von Jim O’Rourke (lebt er immer noch in Tokyo?), ein live dargebotenes Jazz-Funk-Stück der Sängerin und Bassistin Esperanza Spalding und, als Intro, ein anderthalbminütiges Liedtext-Video des New Yorker Rappers Aesop Rock (hohe Schwierigkeitsstufe beim Karaoke), das eines meiner Lieblingstiere im Titel trägt.
Jetzt ist die Aufzählung beinahe vollständig, dann erwähne ich auch noch die französische Sängerin Françoiz Breut (brö gesprochen), die übrigens auch Illustratorin von Kinderbüchern ist.
Zum Schluss ein Big Band-Stück in klassischer Manier von Marike van Dijk, I Am Not a Robot.
Der ungehobelte Rausschmeißer kommt von Captain Beefheart: Big Eyed Beans from Venus (1972).
Sollte ich nicht vorher noch einmal Laut geben, wünsche ich allen Leserinnen und Lesern ein geruhsames Osterfest!

Aesop Rock Dog At The Door ° Rosalía La Llorona / De Plata ° Rosalía & Raül Refree ‚Los Ángeles‘ Live Acoustic Session 2018 ° Françoiz Breut La nuit repose ° Jim O’Rourke Something Big ° Esperanza Spalding Good Lava ° Marike van Dijk I Am Not a Robot ° Captain Beefheart and The Magic Band Big Eyed Beans from Venus