Ostereier oder Zögern ist okay

1965 brachte das Archie Shepp Quintet das Album Four for Trane heraus. Es enthielt vier Coverversionen von Stücken John Coltranes (im Bild links, mit Jackett) sowie eine Originalkomposition des Bandleaders. Der vergleichsweise weniger prominente Altsaxophonist Marion Brown fand das Konzept gut und veröffentlichte 1966 beim gleichen Label (Impulse) die Platte Three for Shepp, mit drei Eigenkompositionen und drei Kompositionen von (mit Strickmütze:) Shepp.
Coltrane hatte sich um Mitte der 60er Jahre dem Free Jazz angeschlossen. Als sein Produzent bei Impulse, Bob Thiele, den Meister fragte, welche Musiker er ihm empfehlen könne, kam Coltrane mit einer Liste von dreihundert Namen.
Vielleicht erzähle ich die Anekdote nicht ganz korrekt, aber die Richtung stimmt. Coltrane warf seine gesamte Autorität in die Waagschale – in den USA sind ihm Kirchen geweiht, wenn ich nicht irre -, um Leute zu unterstützen, und einer von ihnen war Marion Brown.
Aus dessen nur etwa halbstündigem Album Three for Shepp hier nun das Stück The Shadow Knows. Nach Vorstellung des Themas (2x), geht es sogleich in die Vollen. Dave Burrell malträtiert das Klavier, das irgendwie schwammig aufgenommen wurde, Marion Brown spielt ein aufgeregtes, quirliges Solo, das vom freien, quirligen Spiel des Posaunisten Grachan Moncur III sekundiert wird (immer Burrell im Hintergrund, mit aller Kraft Schlamm aufwirbelnd). Bei 2:30 Trommelschlag und Wiederholung des Themas, bei 3:00 ist Schluss. Sehr erfrischend!
Danach Rosalía mit dem Alphabet-Stück Abcdefg aus ihrem aktuellen Werk Motomami, gefolgt von einer anderen Individualistin, Kelly Lee Owens. Arthur stammt aus ihrem selbstbetitelten Debütalbum, über das sie hier ein bisschen erzählt: Kelly Lee Owens unravels her weird world. Die Formulierung „song in your heart and poetry in your blood” hat es mir besonders angetan.
Esperanza Spalding hat mit Kelly Lee Owens die Überzeugung gemein, dass Musik heilend sein kann, bestimmte Harmonien, Schwingungen. Earth to Heaven ist aus Emily’s D+Evolution und hat mit dieser Idee vielleicht weniger zu tun. Bei den hier folgenden Songs ist das aber anders. Sie sind aus Twelve Little Spells: jedes der zwölf Stücke ist einem jeweils anderen Körperteil gewidmet. (Für ihr jüngstes Album hat Esperanza Spalding u.a. mit Neurowissenschaftlern zusammengearbeitet, sie will es wissen!)
You Have to Dance muss man laut hören.

Jetzt ein kleiner Cut: Das Sonny Rollins Quartet mit einem ‚klassischen‘ Stück von anno 1962, The Bridge. Sonny Rollins hatte sich vor Veröffentlichung der gleichnamigen Schallplatte, auf dem Höhepunkt seiner Karriere (Saxophone Colossus), für drei Jahre aus der musikalischen Öffentlichkeit zurückgezogen, um an seiner Spieltechnik und seinem Konzept zu arbeiten (er pflegte in jener Zeit stundenlang auf einer Brücke zu üben, wahrscheinlich in New York) – ein Rückzug, der zweifellos damit zusammenhing, dass Ende der 50er Jahre Ornette Coleman die Szene betreten hatte: Wenn neben dir ein Komet einschlägt, musst du dir was überlegen. Rollins fühlte, dass er nicht so weitermachen konnte wie bisher, er ging in Klausur und sortierte sich neu.
Das Marta Sánchez Quintet setzt den Schlusspunkt mit Eternal Stillness.

Dies sind meine Musikvorschläge für Ostern.

Und das Zögern im Titel? Na, heute mal keine politischen Themen.