I prefer to stubenhock

Mit diesem schönen Satz schlug meine Nichte die Einladung ihrer Mama zum Eisessen aus. Ich kann mich insofern damit identifizieren als auch ich gerne zu Hause bin. Nur dass ich mich, selbst wenn kein Eis im Spiel ist, regelmäßig dazu verlocken lasse, doch vor die Tür zu gehen. (In der Buchhandlung fragen sie, ob ich in Urlaub war.) Irgendwann im Spätfrühling oder Frühsommer werde ich sogar den Kleinmachnower Breitengrad verlassen, um das freundliche Angebot einer Freundin anzunehmen, ein paar Tage mit ihr im Allgäu zu verbringen. (Wir hatten uns 1993 beim Studium kennengelernt. Sie war nur gerade so lang an der Philosophischen Fakultät eingeschrieben, dass unsere Wege sich kreuzen konnten, dann wechselte sie zu den Wirtschaftswissenschaften (Volkswirtschaftslehre).) Ich freue mich auf diese Zeit in der Hütte. (Ich meine, sie hätte Hütte gesagt.)
Außerdem strebe ich an, für einen Monat von Frankreich aus zu arbeiten, bzw. dort auch Ferien zu machen, in Montpellier, um genau zu sein. Ich meine mich zu erinnern, dass meine Eltern in den 80er Jahren einmal zu mir meinten, die Stadt würde mir gefallen. Ich bin sogar schon einmal dort gewesen, könnte 1990 gewesen sein, nur ein paar Stunden, bei einem Zwischenhalt auf dem Weg in die Camargue (Kursfahrt).
Sicher habe ich einmal erwähnt, dass ich auf dem Gymnasium sehr gut in Französisch stand? In einem Akt der Selbstsabotage habe ich nach dem Abitur nichts daraus gemacht. Ich habe einen kaufmännischen Beruf gelernt (Buchhändler), ohne im geringsten die Begabung zum Kaufmann zu haben. Danach habe ich endlos studiert, obwohl ich mit der akademischen Welt nichts anfangen kann (zu akademisch). Allerdings hatte ich ein Motiv: die Französisch-Kenntnisse vertiefen. Da habe ich mich nur leider geschnitten, weil die Kölner Romanistik vollständig auf Deutsch betrieben wurde – heute vielleicht auch noch?
Ich bin also mindestens einmal falsch abgebogen und dann dem Holzweg treu gefolgt. Jetzt möchte ich aber wieder auf die Hauptstraße gelangen (die Französisch-Kenntnisse vertiefen). Darum seit Anfang des Jahres die halbstündigen Skypetreffen, und darum die Idee, einen Zeh nach Frankreich auszustrecken. Auf meine alten Tage komme ich mir also doch noch auf die Spur.

Ich mag runde Klammern.


Als ich nach Charlottenburg fuhr, um die Pflanzen zu versorgen und nach der Post zu sehen, packte ich mir Lektüre ein (Musil, Norbert Lange, Lilian Peter, Nastassja Martin), was ich mir hätte sparen können, denn das Zuhause der Pflanzen und der Post ist ein Schriftstellerinnenhaushalt.
Ich war so müde, dass ich als erstes ein Nickerchen machte.
Dann fand ich in einem der zahlreichen Bücherregale das Buch Weiß von Han Kang, und dies wollte gelesen werden. (Ich werd’s morgen meinem Chef empfehlen, wie ich ja überhaupt hin und wieder meine kleine Macht ausspiele und Bücher in den Laden bringe, die sonst vielleicht nicht da wären, Tomer Gardi, Andrea Scrima, Ally Klein, Levin Westermann, übrigens auch die o.g. Bücher von N. Lange und L. Peter, und weitere.)

Auf dem Mierendorffplatz traf ich zufällig Frau Dr. Lange vom Haus für Poesie. Ich kenne sie nur als gelegentlicher Veranstaltungsgast, auch als – selten, jetzt nie – Besucher des open mike, und in den paar Jahren, seit ich Lesungen in der Kulturbrauerei (wo das Haus für Poesie untergebracht ist) besuche, haben wir uns immer nur knapp zugenickt und maximal hallo gesagt, woraus nun zur Abwechslung ein kaum artikulierter Vokal-Konsonanten-Cluster wurde, deutbar als Morgen.

Charlottenburg-Nord ist ein dubioses Pflaster. Es gibt da eine Schiffahrtsversicherung, einen Vogeldoktor und Ayurvedische Lebensmittel, aber wer Schrippen will, findet erst mal nur das Industriebackzeug in der U-Bahn-Gruft, sonst Leerstand, Lottostellen, Thaimassage, eine Syrische Kirche, Kneipen, Autos, Autos, Autos, Autos (die meisten lungern kalt am Straßenrand), idiotisch lange Ampelrotphasen. Dies Quartier hat keinen Sinn und Verstand, es existiert nur als Ausbreitung. (Andreas von Wald und Höhle wird mir vielleicht widersprechen.)

Interessehalber habe ich nachgesehen, wie teuer ein Flug von Berlin nach Odessa ist. Es ist so billig, dass man die nächste Berliner Friedensdemonstration nach dort verlegen könnte.

Ostereier oder Zögern ist okay

1965 brachte das Archie Shepp Quintet das Album Four for Trane heraus. Es enthielt vier Coverversionen von Stücken John Coltranes (im Bild links, mit Jackett) sowie eine Originalkomposition des Bandleaders. Der vergleichsweise weniger prominente Altsaxophonist Marion Brown fand das Konzept gut und veröffentlichte 1966 beim gleichen Label (Impulse) die Platte Three for Shepp, mit drei Eigenkompositionen und drei Kompositionen von (mit Strickmütze:) Shepp.
Coltrane hatte sich um Mitte der 60er Jahre dem Free Jazz angeschlossen. Als sein Produzent bei Impulse, Bob Thiele, den Meister fragte, welche Musiker er ihm empfehlen könne, kam Coltrane mit einer Liste von dreihundert Namen.
Vielleicht erzähle ich die Anekdote nicht ganz korrekt, aber die Richtung stimmt. Coltrane warf seine gesamte Autorität in die Waagschale – in den USA sind ihm Kirchen geweiht, wenn ich nicht irre -, um Leute zu unterstützen, und einer von ihnen war Marion Brown.
Aus dessen nur etwa halbstündigem Album Three for Shepp hier nun das Stück The Shadow Knows. Nach Vorstellung des Themas (2x), geht es sogleich in die Vollen. Dave Burrell malträtiert das Klavier, das irgendwie schwammig aufgenommen wurde, Marion Brown spielt ein aufgeregtes, quirliges Solo, das vom freien, quirligen Spiel des Posaunisten Grachan Moncur III sekundiert wird (immer Burrell im Hintergrund, mit aller Kraft Schlamm aufwirbelnd). Bei 2:30 Trommelschlag und Wiederholung des Themas, bei 3:00 ist Schluss. Sehr erfrischend!
Danach Rosalía mit dem Alphabet-Stück Abcdefg aus ihrem aktuellen Werk Motomami, gefolgt von einer anderen Individualistin, Kelly Lee Owens. Arthur stammt aus ihrem selbstbetitelten Debütalbum, über das sie hier ein bisschen erzählt: Kelly Lee Owens unravels her weird world. Die Formulierung „song in your heart and poetry in your blood” hat es mir besonders angetan.
Esperanza Spalding hat mit Kelly Lee Owens die Überzeugung gemein, dass Musik heilend sein kann, bestimmte Harmonien, Schwingungen. Earth to Heaven ist aus Emily’s D+Evolution und hat mit dieser Idee vielleicht weniger zu tun. Bei den hier folgenden Songs ist das aber anders. Sie sind aus Twelve Little Spells: jedes der zwölf Stücke ist einem jeweils anderen Körperteil gewidmet. (Für ihr jüngstes Album hat Esperanza Spalding u.a. mit Neurowissenschaftlern zusammengearbeitet, sie will es wissen!)
You Have to Dance muss man laut hören.

Jetzt ein kleiner Cut: Das Sonny Rollins Quartet mit einem ‚klassischen‘ Stück von anno 1962, The Bridge. Sonny Rollins hatte sich vor Veröffentlichung der gleichnamigen Schallplatte, auf dem Höhepunkt seiner Karriere (Saxophone Colossus), für drei Jahre aus der musikalischen Öffentlichkeit zurückgezogen, um an seiner Spieltechnik und seinem Konzept zu arbeiten (er pflegte in jener Zeit stundenlang auf einer Brücke zu üben, wahrscheinlich in New York) – ein Rückzug, der zweifellos damit zusammenhing, dass Ende der 50er Jahre Ornette Coleman die Szene betreten hatte: Wenn neben dir ein Komet einschlägt, musst du dir was überlegen. Rollins fühlte, dass er nicht so weitermachen konnte wie bisher, er ging in Klausur und sortierte sich neu.
Das Marta Sánchez Quintet setzt den Schlusspunkt mit Eternal Stillness.

Dies sind meine Musikvorschläge für Ostern.

Und das Zögern im Titel? Na, heute mal keine politischen Themen.