Denk ma an die Liebe

(Wandschrift Berlin-Friedenau)

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schreibt mir eben diese Zeitung, die 1973 von Jean-Paul Sartre gegründet wurde. Ein Herr de Rothschild hält Anteile (als Hauptaktionär). In Kürze wird sie wohl freigeschaltet werden, wenn meine zwei Euro angekommen sind.
Den Newsletter bekomme ich bereits, Freitag widmete er sich dem Thema der Datenvergiftung. Offenbar gibt es Programme, mit denen man, zum Schutz seiner Persönlichkeitsrechte, Abbildungen seines Gesichts überkrickeln kann: damit unbrauchbar für die Gafa alias Google, Apple, Facebook (!), Amazon. In Zeiten der Gesichtserkennung sicherlich ein nützliches Werkzeug.

Eine positive Meldung der letzten Tage war, dass eine geplante Kupfermine in Norwegen nach dem Rückzug eines deutschen Produzenten nun möglicherweise doch nicht gebaut werden wird. Der Bericht erläuterte, dass „die Regierung in Oslo genehmigt hatte, den gesamten mit Schwermetallen und giftigen Chemikalien belasteten Grubenschlamm einfach in den Fjord zu leiten”, und zwar über die gesamte, mit fünfzehn Jahren angegebene, Laufzeit der Mine hinweg, s. hier.
Die norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg sah darin kein Problem, und auf die Rechte der Samen hat sie auch keine Rücksicht genommen.
Es ist doch immer wieder verblüffend, wie skrupellos und niederträchtig manche Leute handeln. Erna Solberg ist sicherlich nicht einmal die Schlimmste in diesem Verein.
Zusammen mit den guten Nachrichten aus Grönland gibt das – hoffentlich! – Aus für die Kupfermine der Hoffnung Nahrung, dass ein Umdenken einsetzt und es mit der Ausbeutung von z.B. Bodenschätzen vielleicht doch einmal ein Ende nimmt. (Wobei der Chef der US-amerikanischen Verwaltung ja ein Freund des Frackings ist, leider.)
Ich wünsche mir, dass uns ein besseres ökonomisches Modell einfallen möge als das der Räuber- und Plünderwirtschaft.

Nicht nur Bob Dylan, Captain Beefheart und Charlie Watts wurden 1941 geboren wurden, sondern auch Annette Peacock, die Anfang der 70er Jahre groß in den Musikzirkus hätte einsteigen können (an der Seite David Bowies), sich aber dagegen entschied. Aus Anlass ihres Geburtstages – wann der genau ist, weiß ich nicht – sind zwei ihrer Platten wiederveröffentlicht worden, X-Dreams und The Perfect Release.


Bei meinem Versuch, Licht in die mir dunkle Bedeutung des Worts – und einstigen Berufs – Seneschall zu bringen, das ich in den schönen Erzählungen der Marie de France gelesen hatte, wurde ich auf das Wort Truchseß verwiesen.

Demnächst trifft sich, allerdings nur per Computer, die Rebellionsgruppe der Extinction Rebellion, der ich mich anzuschließen gedenke, es sei denn, ich würde zum Ergebnis gelangen, dort nicht gut aufgehoben zu sein. Die Bezeichnung meiner Rebellionsgruppe ist ganz friedlich: Earth Holders. Mal sehen. Eine Arbeitsgruppe würde mich ebenfalls interessieren: Regenerative Kultur. – Alles Neuland für mich, mehr als dieses Internet, und vielleicht finde ich es auch schrecklich, das sehe ich dann.
So, wie es geht, geht es nicht weiter.

Gestern habe ich mir das ‚Triell‘ mit Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Armin Laschet angesehen. „Anne Will” war ich drauf und dran ebenfalls zu gucken, aber allein schon die Präsenz Christiane Hoffmanns vom Spiegel und Jana Hensels von der Zeit haben mich davon abgebracht. Kevin Kühnert wirkte aschgrau und hatte eine Bittermiene aufgesetzt, die ich auch nicht leiden kann. , möchte ich da mit einem Ausdruck meiner Freundin Hanna sagen und das Thema abschließen.

Abschluss mit Die-in und Tanz

Samstag am Marx-Engels-Forum, wo ich an einem sogenannten NVDA-Training teilnahm – die Abkürzung steht für Non-Violent Direct Action. Es hat, mit Pausen, so lang gedauert wie eine Wagner-Oper, von ein Uhr mittags bis halb neun abends.
Mein Chef reagierte mit dem ihm eigenen Humor auf mein kurzfristig vorgebrachtes Ansinnen, bei einer Übung Zivilen Ungehorsams zum Auftakt des August RiseUp! teilzunehmen – der Aktionswoche verschiedener Umweltgruppen, die derzeit in Berlin stattfindet.
Vorsichtig hatte ich am Sonntag gefragt, ob – und wenn ja – für wie lange er mich an meinem Arbeitstag zum Demonstrieren freistellen würde.
Über einen Messengerdienst antwortete er trocken:
„Ein Tag plus folgend eine Nacht in einer Gefangenen-Sammelstelle sollte in jeder gutbürgerlichen Biografie verzeichnet sein.”
Er riet mir, auf dem Telefon die Nummer eines Rechtsanwalts abzuspeichern (der mich dann aus der Gesa herausholen würde), aber ich hatte gar nicht vor, das Handy mitzunehmen (auch beim Training war es nicht dabei gewesen).
Sonntag abend und Montag morgen bereitete ich mein Gepäck vor: Eine Tupperdose mit Johannisbeeren, Heidelbeeren und Apfelscheiben, eine Plastikflasche Wasser (mitgeführtes Glas sieht die Polizei nicht gern; noch ein harmloser Fahrradhelm würde als Bewaffnung gedeutet), eine kleine Blechdose mit Nüssen, eine Packung Paracetamol, einen zugeschnittenen Müllsack als Regenschutz, ein Sitzpolster (Pullover, Wolldecke), ein Reclamheft (Une saison en enfer), einen Emailleteller, eine Tasse, einen Löffel und ein kleines Pappschild (16 x 9 cm) mit der Aufschrift: „Wenn die Emissionen aufhören müssen, dann müssen wir die Emissionen stoppen. (Greta Thunberg)”
Außerdem natürlich eine FFP2-Maske – bloß nicht mit den Nichtdenkern um Herrn Ballweg verwechselt werden!
Geschlafen habe ich dann nur wenig, um pünktlich am vereinbarten Treffpunkt zu sein, wo unserer Kleingruppe der Einsatzort mitgeteilt werden sollte – eine Mitteilung, die dann verwirrend lange auf sich warten ließ. „Team Blau” hatte Material beschlagnahmt und unsere Pläne durchkreuzt. Schließlich gab es dann aber doch eine Sitzblockade am Platz des 18. März. Später verlagerte sich der Protest zum Monbijoupark, alles nicht ohne Schwierigkeiten, weil die Polizei (einschließlich Sondereinsatzkommando) im Verhältnis zu uns in dreifacher Stärke auflief – uns, die wir daran erinnern wollten, dass wir nur diesen einen zerbrechlichen Planeten E haben, der gerade vor die Hunde geht, was merkwürdigerweise die Mehrheitsgesellschaft nicht zu stören scheint.
Gerade hat Olaf Scholz erklärt, dass für ihn ein Ausstieg aus der Kohle vor 2038 nicht in Frage komme. Und Armin Laschet –
„Armin Laschet auf den Mond – das ist Raumfahrt, die sich lohnt!” (Ein Chor.)
„Dass die Politik nicht handelt, obwohl wir in die Klimakrise hineinrasen, ist unglaublich”, sagt Annemarie Botzki, eine der Organisatorinnen des August RiseUp!, im Gespräch mit der taz. Das sehe ich auch so. Mindestens würde ich erwarten, dass autofreie Sonntage ‚verhängt‘ werden – nichts dergleichen geschieht.

Wann, wenn nicht wir

„Mallarmé, intraduisible, même en français.” Dies Bonmot von Jules Renard wollte ich noch nachreichen. Auf Deutsch etwa: Mallarmé kann man nicht übersetzen, nicht mal ins Französische.
Ich klaue das von Tim Trzaskalik (Aussprache?), der sein Nachwort zu den Mallarmé-Studien von Jean Bollack mit eben diesem Zitat eröffnet.
(Dies Buch ist noch ungelesen. Ich frage mich, ob es für mein – grob gesagt – künstlerisches Gehirn nicht zu akademisch sein könnte. Ein Wort wie ehrpusselig, das Stefan Ripplinger in seinem lesbaren, und ich würde sagen: lesenswerten, Essay Mallarmés Menge verwendet hat, wird man beim todernsten Bollack vermutlich nicht antreffen, was bedauerlich ist. Überhaupt – jetzt allgemein gesprochen – wird sprachlich tendenziell eher wenig geschnoddert. Wer aber stilistisch nichts wagt, schreibt nicht gut, möchte ich keck behaupten.) (Ob ich Stefan Ripplinger in seiner Argumentation unwidersprochen folge, steht auf einem anderen Blatt. Ich kann mir Mallarmé auch in 200 Jahren nur als von einzelnen gelesen vorstellen, wenn es bis dahin noch Menschen gibt. Ich schließe keine Wette darauf ab.)

Heute nachmittag bin ich in die Maske des Aktivisten geschlüpft und habe an einer Fahrraddemonstration der Extinction Rebellion teilgenommen, wo ich ein Schild mit der Aufschrift „Wann wenn nicht wir” las. Die Polizei umsorglich. Einer meiner Brüder tauchte zu meiner Überraschung ebenfalls auf, was mich sehr freute, und noch besser: nachher lud er mich auf einen Cappuccino ein. Die Radlergruppe fuhr noch weiter bis zum Park am Gleisdreieck, um dort T-Shirts zu bedrucken.

Ab dem 16.8. sind unter dem Motto RiseUp umfangreichere Aktionen geplant. Der 16.8. ist ein Montag, da arbeite ich in der Buchhandlung, aber irgendwo werde ich während dieser Tage sicherlich aufkreuzen. – Bei der Demonstration der Fridays for Future am 24.9., kurz vor der Bundestagswahl, werde ich auch mitgehen, hab mir einen halben Tag frei genommen.
In Zeiten, da es überall auf der Welt brennt und eine Julia Klöckner dennoch einen Plan zur Renaturierung von Mooren blockieren darf (Plan zum Moorschutz gescheitert, taz, 6.8.2021), scheint es mir angemessen, auf die Straße zu gehen und zu stören.

Von Regenerativer Kultur habe ich zum ersten Mal gehört und mir zu Hause einen vierzigminütigen Vortrag von Yari Or von der Frankfurt University of Applied Sciences angesehen: Was ist Regenerative Kultur? (nach unten scrollen). – Der Text auf der Seite der Extinction Rebellion bereitet mir ein wenig Unbehagen, gebe ich zu, aber der Vortrag war interessant, und es ist gut möglich, dass hier der Weg beschrieben ist, der einzuschlagen wäre. (Dabei fällt mir ein, dass Grönland erklärt hat, auf die Ausbeutung seiner Bodenschätze zu verzichten. Das würde den chinesischen Superkapitalisten natürlich nicht im Traum einfallen, die mit ihren Scheckbüchern nach Afrika reisen, um die Gewinnung Seltener Erden klarzumachen.)

À propos Mafia, bevor ich’s vergesse: Gestern entdeckte ich bei Dussmann eine Import-DVD des Films Le conseguenze dell’amore von Paolo Sorrentino, den ich mit einer Freundin in Rom gesehen hatte, er war gerade in die Kinos gekommen, 2004. Jetzt habe ich ihn mir ein zweites Mal angesehen und fand ihn immer noch stark. Ein ruhig erzähltes Mafiadrama, absolut sehenswert. Ich hatte vergessen, dass sich die Hauptperson, ein ehemaliger Investmentbanker, einmal wöchentlich Heroin spritzt, aber stimmt, so war’s gewesen. Dafür hatte ich noch die Blutwäsche in Erinnerung und die schreckliche Schluss-Szene. Super!

Die Tage des fröhlichen Autofahrens sind gezählt

Aber: „Wer glaubt schon daran, dass er dran glauben muss?” (Hans Magnus Enzensberger)
Ich habe oft davon profitiert, dass andere ein Auto hatten und für mich gefahren sind (ich habe keinen Führerschein), und ich werde vereinzelt weiter auf solcherlei Fahrbereitschaft zurückgreifen müssen und wollen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Verbrennungsmotoren out sind: fossile Brennstoffe, so heißt es ja schon.
Um so enttäuschender, dass die Bundesregierung, entgegen anderslautender Beteuerungen (die jungen Leute haben uns aufgerüttelt, etc.), den Schuss nicht gehört hat.
Eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen ist zum Beispiel nicht beschlossen worden, als am 20.9. das sogenannte Klimakabinett tagte. Nun tragen die entscheidungsschwachen Entscheider die Zahl der Milliarden Euro, die in den kommenden Jahren in die Erreichung (angeblich) der Klimaziele investiert werden sollen, stolz vor sich her. Und doch ist allen klar, dass sie damit nur von ihrer Untätigkeit ablenken wollen.
„Sie haben Richtlinienkompetenz, aber Sie mögen keine Richtlinie ausgeben und verleugnen Ihre Kompetenz”, habe ich Frau Merkel geschrieben (ich weiß nicht, ob sie es zu lesen bekommt).

Was kommen muss:
– ein Rückbau (Abriss) von Straßen und deren Renaturierung
– ein Verbot von Protzautos innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings, und generell innerhalb der Innenstädte
– eine kontinuierliche Reduzierung von Parkplätzen
– eine kräftige Verteuerung bestehender Parkplätze
– ein Umbau der autogerechten Stadt in eine fußgängergerechte Stadt (Beispiel: Ampelphasen)
– eine Neuzuteilung des Stadtraums zugunsten der Fußgänger und Fahrradfahrer
– ein CO2-Einstiegspreis je Tonne von mindestens 50,00 Euro ab spätestens 1.1.2020, und Erhöhung auf mindestens 180,00 Euro je Tonne bis 2025 (oder was die Fachleute raten)
– das Ende der industriellen Landwirtschaft
– ein Verbot von Umweltgiften
– eine Abkehr vom Wachstumgsglauben

Die Bundesregierung setzt auf Innovationen, um das Ruder herumzureißen – Innovationen, die vor Jahrzehnten hätten angestoßen werden müssen. Zwar sollen mir technische Entwicklungen zur Beförderung des Umweltschutzes immer willkommen sein (zu nennen wäre beispielsweise die Aachener Pacific Garbage Screening-Forschungsgruppe, die sich für plastikfreie Flüsse einsetzt), aber unumgänglich sind auch Verbote und Beschränkungen (genannt: Ordnungspolitik).

Ich begrüße, dass die Fridays for Future-Streiks bis auf weiteres fortgesetzt werden, und auch die Straßenblockaden der Extinction Rebellion, wie sie in mehreren Ländern wieder für den 7. Oktober geplant sind, finde ich gut und richtig – ebenso, dass die Demonstranten so unkonfrontativ dabei vorgehen (unter Rückgriff auf das Modell der wertschätzenden Kommunikation – was ihnen sogleich Kritik eingebracht hat, siehe hier: „Extinction Rebellion fehlt der Mut”).
Vielleicht erscheinen manchen die Warnungen der Extinction Rebellion als alarmistisch, aber es verschwinden täglich Arten, die Erde wird von verheerenden Bränden heimgesucht und der Ausstoß klimaschädlicher Gase ist höher denn je. Der Notstand ist da. Wird er länger missachtet, wird der Aufstand nicht ausbleiben, mag er auch ’nur‘ als Sit-in, Flashmob oder sonstiger kreativer Protest daherkommen.

Ein älteres Stück/Video (2016) von Cate Le Bon. Sie erscheint hier wie ein versprengtes Mitglied der Pantomimengruppe in Michelangelo Antonionis Blow Up.