Es ist nicht zuletzt die Sprache von Tupolew 134, die die Qualität des Buches ausmacht: genau und wandlungsfähig, beeindruckt sie durch ihre auch rhythmische Perfektion, die zum Lautlesen einlädt. Hervorragend z. B. die Seiten über den Sand:
„Es gab den leichten Flugsand, der besonders schwerelos war, den böigen, nassen Sand, der mit dem Regen auf den Asphalt klatschte, es gab den Sand, der mit Steinen und abgebrochenen Spänen, Radstückchen und Resten von Plastespielzeugen vermischt in den Betonquadern der Spielplätze lag, und solchen, der in ziselierten, fremdartigen Formen wie Eiskristalle an den Fenstern saß. Im Wald war der Sand mit Kiefernnadeln versetzt. Auf den Fußballplätzen war er dunkel, fast schwarz […].”
Antje Rávic Strubel, die eine so gute Zauberin der Entzauberung ist, hat eben zugleich auch Sinn für Poesie: für die Poesie der Konkretion in diesem Fall.
Vieles andere ließe sich rühmend hervorheben, angefangen bei einer famosen Miniatur über „die Unberechenbarkeit der Schalterdamen”, über die genau treffenden Vergleiche und starken Bilder –
„Die Fahrerhäuser verharrten vornübergeklappt wie Menschen, die für eine Viertelstunde ihren Kopf auf eine Tischplatte legen”
„Abends, wenn es still war auf der Landebahn und die Flugzeuge wie ausgestopfte Tiere dastanden”
„Sie starrt in ihrer verrutschten Bluse hinüber zum Zug, wo der Schaffner schon aus der letzten offenen Waggontür hängt wie vom Steigbügel”
„auf einer Waldwiese, in der das Gras nur in der Druckschrift wuchs, die die Kettenfahrzeuge spiegelbildlich in den Boden gestanzt hatten, in spärlichen, hellgrünen Quadraten”
– bis zu den Stellen, wo Strubel gekonnt Schall-Vokabular einsetzt, was eine der schwierigsten Übungen überhaupt ist, die die deutsche Sprache (und jede Sprache) bereithält:
„Nebenan hört er die Schlosser Bierflaschen knacken”
„manchmal fiel der Duschkopf in die Wanne, was ein metallenes Plautzen gab”
„Man hörte den Regen aufs Autodach pladdern.”
Auch der Slang Ronnies, eines Jungen, der sich auf dem Flughafengelände herumtreibt und dort mit Katja zusammentrifft, kommt glaubwürdig rüber und ist bis in die Wortstellung hinein der gesprochenen Sprache abgelauscht („Da haben die sogar Fachleute eingeflogen für”).
In einer Fastfood-Gesellschaft so kompromisslos Slowfood aufzutischen, wie Strubel das tut – und ich denke hier an Johnson, der sich von den Lesern der Mutmassungen wünschte, sie möchten das Buch so langsam lesen, wie er es geschrieben habe – dazu gehört Mut. Und auch der Leser braucht Mut, eben den Mut zur Langsamkeit, auf den Johnson anspielt, um sich in diese anspruchsvolle, gleichwohl bestens goutierbare Lektüre zu vertiefen, die mitreißt, ohne doch in irgendeiner Weise reißerisch zu sein.
Kein Scheinriese, sondern eine wirkliche, verlässliche Größe der jungen deutschen Literatur, bietet Antje Rávic Strubel mit Tupolew 134 einen sprachlich perfekten, psychologisch und historisch genauen Roman, der „slow drug”, Spiegelkabinett, Schattenhöhle und Zeitmaschine in einem ist. Wer sich hineinbegibt, hat’s mit dem Herauskommen nicht eilig. Und sowieso: der Roman lässt einen so schnell nicht los. eioeu
[Schluss der Kritik, die am 1.2., 2.2. und 5.2.2007 auf dem Buchhandlungs-Blog Monnier Beach erschienen war und nun nach vier Jahren zum ersten Mal wieder online nachzulesen ist.]