Georg Leß, Schlachtgewicht

Leß, SchlachtgewichtEnde 2013 schrieb ich an einer Kritik zu Georg Leß‘ Gedichtband Schlachtgewicht, die leider unabgeschlossen und darum unveröffentlicht blieb. Hier das, was ich zustande gebracht habe.

Als Georg Leß unlängst [28.11.2013] bei einem „Parasitenabend“ im Berliner Literaturhaus Lettrétage aus seinem Debütband Schlachtgewicht las, der diesen Oktober im Kölner Verlag parasitenpresse erschienen ist, eröffnete er seine Lesung mit dem Vortrag eines Gedichts, [„…“], von Joseph Brodsky (der 1964 wegen „Parasitentums“ verurteilt worden war) – und hielt die DVD-Hülle des Films „Shivers“ (1975) von David Cronenberg hoch, der im deutschen Verleih den Titel „Parasiten-Mörder“ trug: man könne ihn sich, wenn gewünscht, nach der Veranstaltung im kleinen Kreis ansehen.
In Schlachtgewicht kommen Arbeit an der Form (für die ein Artist wie Brodsky als vorbildlich gelten kann) und Interesse am Horror zusammen.

Das Schlachtgewicht ist definiert als das „Gewicht der nutzbaren Teile eines geschlachteten Tieres“ (Wahrig. Deutsches Wörterbuch); der Titel weist nicht nur auf die auf Verzehr hin angelegte Beziehung des Menschen zum Nutztier, er ist auch eine Metapher für das Weglassen alles Überflüssigen, wie es das Schreiben von Gedichten (idealerweise) kennzeichnet.

Ein Hauptthema scheint das Zusammentreffen von Mensch und Tier zu sein, ihre Koexistenz in der Stadt und der einseitig ‚kannibalische‘, durchaus horrible Charakter ihres Verhältnisses (von dem in unseren Breiten Hunde und Katzen ausgenommen sind, die allenfalls Opfer von Tierhassern werden). Der barbarische titelgebende Begriff liefert hierfür bereits ein starkes Bild.

Es gibt bei Leß aber Hinweise darauf, dass sich dies mörderische Verhältnis auch einmal umkehren könnte, so wie in der Sage von Aktaion, der auf der Jagd die Göttin Diana beim Bad überrascht, und daraufhin von ihr in einen Hirsch verwandelt und von seinen Hunden zerfleischt wird („Entzündungswert“).

Auch das Phänomen der wilden Tiere in der Stadt könnte als Bedrohung gedeutet werden.
„Der Fuchs am Südkreuz”, das den Band programmatisch einleitet, ist ein famoses Nachtstück, das blitzhelle Momente und optische Verwischungen übereinanderlegt.

DER FUCHS AM SÜDKREUZ

ich schoss ja nur Bilder, schon ging er mir nach
seine Scheu, rötlich verwickelt in die Sommernacht
verwackelt, schief die Schilder, der Laternenpfahl

dieses kräftig durchblutete Nachbild, in Häuten die Stadt
wohin damit wo kein Rivale droht, zu Hause
wurde ich ihn los, wenn auch nicht satt, verkroch

sich vorm Blitz, tief im Unterholzwunsch, nur
ein Grollen blieb unter dem Schreibtisch zurück
in meiner Einkaufstüte wird das Fleisch nicht frischer

Im Präteritum wird die Begegnung des lyrischen Ichs mit einem Fuchs erinnert, die genau lokalisiert wird („am Südkreuz“), als solche aber undeutlich bleibt. Gab es einen Wildunfall? Einige Indizien deuten darauf hin, dass die Situation ein nächtlicher (Beinahe-) Zusammenstoß ist, bei dem der Fuchs fast auf der Strecke bleibt – zur Strecke gebracht wird, wie es in der Sprache der Jäger heißen würde. In diesem Fall aber passt der Ausdruck nicht, trotz des signalhaften „ich schoss“, denn das Ich schoss „ja“ nicht den Fuchs, sondern es schoss „nur Bilder“.
Das kolloquiale „ja“ drückt Rechtfertigung, Entschuldigung, aber auch Zweifel aus; es ist kein schnelles, sondern ein zögerndes Wort, wie es vielleicht jemand sagt, der Bildern nachhängt („ging […] mir nach“), die ihm von einem verstörenden Ereignis eingeprägt wurden, grell erleuchtete Details wie schiefstehende Schilder oder ein Laternenpfahl, oder jenes des am Wald- oder Straßenrand plötzlich auftauchenden Fuchses („rötlich verwickelt in die Sommernacht“).
Das Farbadjektiv „rötlich“, das einzige des Gedichts, bezeichnet die Fuchsfarbe, natürlich, ruft aber auch das unausgesprochene „tödlich“ auf. Vermutlich war überhöhte Geschwindigkeit im Spiel („ich“ bin zu schnell gefahren, „ich schoss[,] ja“, über die Straße), das Schießen der „Bilder“ dann nicht im Sinne des Photographierens mit dem Apparat, sondern: es ist das aufblitzende Scheinwerferlicht, das das Tier ‚photographiert‘, die Schilder und den Laternenpfahl, sie aus der Schwärze löst, in die sie „verwickelt“ sind; die Bilder sind „verwackelt, schief“, darum nicht weniger wirksam. Der „Blitz“, als Flashback, schlägt auch im Gehirn ein. Das Gedicht spricht vom „kräftig durchblutete[n] Nachbild“. Das konkrete Ereignis wird als psychisches verhandelt, oder, in einem kleinen Ausschnitt der Psyche, als poetisches. Zugleich wird der Schauplatz verlegt, von der Straße weg nach „zu Hause“, an den „Schreibtisch“, wo vom Fuchs nicht mehr zurückbleibt als „ein Grollen“. […]

  • Georg Leß, Schlachtgewicht. [11] Gedichte. 14 Seiten, geheftet. parasitenpresse, Köln ³2015 (2013). 6,00 Euro (Lyrikreihe, Bd. 29)

Zum Weiterlesen
Armin Steigenberger, „Leß is more” (Fixpoetry, nicht mehr online)
Dirk Uwe Hansen, „(Alles) auf einmal” (Signaturen Magazin)
Fabian Thomas, „Wir waren frierende Hirten” (The Daily Frown)
Mario Osterland, „die Wilden gibt es nicht, aber das Wilde” (Novastation)
Schlachtgewicht auf der Verlagsseite der parasitenpresse: hier

1 Kommentar zu „Georg Leß, Schlachtgewicht“

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