Nathalie Kuperman, Frühstück mit Mick Jagger

kuperman_1Sympathy for the Devil diente mir als Schutzschild und hielt die Versuchung eines abgrundtiefen Schmerzes fern.” – N. K.

Es ist keine erhebende Geschichte, die Nathalie Kuperman erzählt, doch wie ihr weiterer Werdegang belegt, hat sie es leidlich geschafft, positiv auf die Negativitäten ihrer Kindheit und Adoleszenz zu reagieren.
Die Musik als Trösterin – in diesem Fall die der Rolling Stones – spielt(e) für Kuperman eine wichtige, wahrscheinlich lebenswichtige, Rolle.
Seit sie bei ihrer Freundin Florence auf Gimme Shelter getanzt hat, hat sie einen Narren an Mick Jagger gefressen, den sie von da an obsessiv verehrt. Vor allem hegt sie die Phantasie, er werde sie zum Frühstück besuchen kommen. Dementsprechend sind die neun Kapitel des Buches jeweils mit „Frühstück 1”, „Frühstück 2” etc. überschrieben, mit jeweiliger hinzugefügter Parenthese, etwa: „(Schlaf)” oder „(Vielleicht eines Tages in Tours …)”. Das letzte hat den Zusatz „(Mick und ich werden nie zusammen frühstücken)”.
Ein wiederkehrendes sexuelles Motiv, dessen Bedeutung Kuperman erklärt („Es ist meine Antwort auf die Übergriffe, mein Schutz gegen die Hände, die darauf verfallen, mir unter den Rock zu fassen”) ist das obszöne Wort („Alle meine Ehemänner könnten meinen ausgeprägten Hang zu Obszönität und Beleidigung bezeugen”) „blasen”.
Manche der von Kuperman erinnerten Szenen haben eine verzweifelte Witzigkeit, z. B. als sie einem Psychologen gegenübersitzt, der sie ganz ernst fragt: „Haben Sie schon einmal schwarze Gedanken gehabt?” Ihre Antwort: „Blasen.” Als der Psychologe perplex fragt: „Bitte?”, präzisiert sie: „Blasen, blasen” und setzt bei jeder weiteren Antwort ein „blasen” hinzu: „‚Blasen, blasen, blasen, blasen, blasen’, sprach ich sorgfältig.”
Auch eine Nebenepisode, in der ihre Französischlehrerin – und das ominöse Wort – eine Rolle spielen, bekommt einen witzigen Dreh, wenn die Schülerin ihr Vergehen wiedergutzumachen bemüht ist und es doch nur verschlimmert.
Hervorzuheben die Gestaltung des Bandes durch Friedrich Forssman. Der Umschlag zeigt einen vergrößerten Ausschnitt des auf einer Tischdecke liegenden Klappcovers von „Black and Blue”; eine Tasse Milchkaffee steht darauf. Auf der Rückseite ein Streichholzbriefchen und ein Aschenbecher. Schlägt man das Buch auf, kommt als weitere Zutat ein Teller mit Croissants hinzu (Vorsatzblatt). Jetzt müsste das Titelblatt folgen, stattdessen aber: vier in psychedelische Farben getauchte Fotoseiten (Charlie Watts ist neben Mick Jagger zu sehen, links und rechts die Nasen von Ron Wood und Keith Richards), im Vordergrund bzw. am rechten unteren Rand ein Croissant.
Dann schließlich der Titel.

  • Nathalie Kuperman, Frühstück mit Mick Jagger. Roman. Aus dem Französischen von Andrea Spingler. 114 Seiten, fadengeheftete Broschur. Weidle Verlag, Bonn 2009. 19,00 Euro

[Wiederveröffentlichung eines zuerst 2009 erschienenen Beitrags.]

1 Kommentar zu „Nathalie Kuperman, Frühstück mit Mick Jagger“

  1. Nachtrag: In der oben zitierten Besprechung werden das erzählende Ich und die Autorin fahrlässigerweise identisch gesetzt. Das scheint mir nicht haltbar. Die Empfehlung selbst halte ich aber aufrecht.

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