Geballte Zerbrechlichkeit

Nachdem ich mich – mit Unterbrechungen – einige Monate mit einer Kritik zu meine Faust beschäftigt habe, ist es mir doch nicht gelungen, sie zu einem überzeugenden Abschluss zu bringen, tant pis. Darum hier, damit nicht alles für die Katz ist, wenigstens der Text-Rohbau. – Meinolf Reul

Geballte Zerbrechlichkeit. Neue Gedichte von Sibylla Vričić Hausmann

Der im vergangenen Dezember überraschend verstorbene Kritiker Michael Braun zeigte sich in einem postum ausgestrahlten Lyrikgespräch mit Christian Metz und Insa Wilke „erstaunt“ über Sibylla Vričić Hausmanns neue Texte. Vorher hatte sie doch (unter anderem) Liebesgedichte geschrieben – wo kam jetzt die Wut her? So ungefähr ließ sich da heraushören.
Staunen ist eine positive Lesereaktion: die Augen gehen auf.
Was gibt es also zu sehen? Was steht auf dem Papier, und wie ist es arrangiert?

[Erster Teil]

das Licht der Welt. Leicht, licht, geht es los mit drei Gedichten, versuchsweise Geburtsmythen, unbeschwert im Satz, inhaltlich belastet.
Die „Mütter“, die strengen, scheinen mit ihrem Kind zu fremdeln, schämen sich gar für es. „ich wurde einmal geboren.“ Auf die affirmative Aussage folgt ein „doch“. Es gibt Bedingungen, Bedenken („nicht schön genug für die Liebe“). Zur Welt kommen ist nicht romantisch. Das Wort „Veilchen“ fällt, in Anführungszeichen – keine (blaue) Blume, sondern Zeichen der Verletzlichkeit, auch der Gewalt(erfahrung). Der letzte Vers: „[…] nichts setzte sich nieder auf meinen Fuß“ betont dennoch die Unbeschwertheit des jungen Lebens, ohne die Lesart der Isolation auszuschließen.

Schwerkraft. Ein einzelnes Gedicht, wie eine Antithese zum Anfang. Dort das Licht der Welt, aber auch: das Aufhellen der Welt; hier ihre Schattenseiten, ihre Dunkelheit, ihr Gewicht. Formal eine Montage, mit Fremdtext („Material“) u.a. von Mechthild von Magdeburg, Sigmund Freud, Dagmara Kraus.

aufstehen, wandeln. Verse wie „ich war vierzehn Jahre und schlief viel“, oder „ich führte Buch bis Ostern“, wie auch die verwendete Zeitform (Präteritum), verleiten dazu, nach einem Erzählinhalt zu suchen. Der rote Faden ist aber zerflüsert worden – Flusen, die Sibylla Vričić Hausmann, mit anderen Zutaten, zu kompakt gesetzten Gedichten formt; das letzte, fünfte, in dieser Reihe, endet auf den Vers: „verschloss ich mich Reinem“. Von „Narzissen“ ist die Rede, ihrem „Blick“ – das spielt auf den Mythos von Narziss an, und weist zugleich auf das Motto des Kapitels, das dem Comic Im Spiegelsaal von Liv Strömquist entnommen ist, in dem diese sich mit der unendlichen Selbstbespiegelung der Instagram-User beschäftigt, die sich an ihren prominenten Idolen abarbeiten.

whatever sagen die Mütter sieht auf den ersten Blick wie eine (kurze) Playlist aus, jedenfalls sind die einzelnen Gedichte nach den Namen von Popgrößen benannt.
Schwangerschaft scheint ein übergreifendes Thema zu sein – vielleicht ist Musikhören eins der wenigen Dinge, die in dieser Zeit möglich sind. Die besagten Mütter erteilen Ratschläge (auf der linken Seite liegen), haben Weisheiten parat (es kommt, wie es kommt), und der Sprössling macht sich bemerkbar („wenn er sich umdrehen will / muss er mich treten“): auch eine Art Wut im Bauch, Zeichen von Vitalität.
Nichts will sich zueinander fügen. Das Ich lebt in einer Abfolge unverbundener Tage, die nur der Schlaf notdürftig eint. Es erfährt sich als fremd, entwickelt mit zunehmender Erdenschwere aber auch ein Gespür für Verbundenheit – mit der Buche, oder mit den Tauben: „u. die Tauben mit ihren tiefen Stimmen sind Freundinnen, kommen geflogen / setzen sich nieder auf meinen Fuß.“ Dies korrespondiert mit dem oben zitierten Schluss des ersten Kapitels („nichts setzte sich nieder auf meinen Fuß“). Zur-Welt-Bringen: Zur-Welt-Kommen.

Für Meere sind Wüsten, Wüsten Meere wählt Sibylla Vričić Hausmann wieder eine andere Form, eine durchgehend von eins bis sechsundzwanzig numerierte Folge kleiner Textscherben.
Das Staunen über das kleine Wesen, das nun geboren ist („ein Erdzauber zog dich ans Taglicht“, „das wacklichte Körperchen –“) und den häuslichen Alltag bestimmt, wie auch die Sicht darauf („der Tag zahnt“), ergeben eine lose thematische Bindung. Das ist sehr fein gemacht, wirkt dabei bestimmt und konzentriert.

goldene Blumen, vier kurze Stücke lyrisch-essayistischer Prosa, deren zweites in einen Dialog mit einem Gedicht Paul Celans tritt, „Für Eric“, aus dem postum erschienenen Gedichtband Schneepart (1971). Die ungewöhnliche Wendung „meine mit dir pfeilende / Hand“ deutet die Autorin – anlässlich der Erstveröffentlichung dieses Textes auf dem Blog Other Writers Need to Concentrate. Über Autor*innenschaft und Elternschaft – im Sinne einer Aggression (während eine Fußnote in der Tübinger Celan- Ausgabe lediglich anmerkt: „Celans Sternbild ist der Schütze, worauf gelegentlich Gedichte anspielen“).
Ihre „(meine mit dir seiende Hand)“ überschriebene Replik setzt ein Zärtlichkeitsprogramm dagegen; liebevoll wird das Kind angesprochen, mit freundlicher Neugier befragt, gehegt („decke dich mit fleischiger Mutterhand zu“).
Eine so gewöhnliche Mitteilung wie „Dein Vater ist rauchen“ vervollständigt das Idyll, das aber erarbeitet ist, wie der letzte Text dieses Kapitels verrät, der die eigenen Kindern als „Wunde“ und „einzige Heilung“ apostrophiert.

[Zweiter Teil]

Zinken. Die titelgebenden Zinken sind sogenannte Gaunerzinken („Fromm tun lohnt sich; Vorsicht, bissiger Hund)“, die das Ich „in geträumten Städten“ auf Mauern schreibt. Man kann auch an gezinkte Karten denken, an ein falsches Spiel. Ansprüche werden formuliert, Erwartungen: „wir sollen“ dies, „wir sollen“ das, die nur zu Enttäuschungen führen. Dagegen stehen ein Nicht-Können („das // ist die Schale die ich nicht knacken kann“) oder Nicht-Wollen („ich lehne das ab“). – Worte des Gefangenseins („es gibt kein Entkommen“), und die Überzeugung: „ein sich langsam erweiternder Wortschatz schlösse mich ein in den Masterplan“.

Die Gedichte in vom Ende her gedacht beginnen jeweils mit dem ursprünglichen, nachfolgend abgewandelten Vers: „sehr geehrter Herr, bitte freundlichst um Aufnahme“ (im Original kursiv). Der Halbsatz „bitte freundlichst um Aufnahme“ bleibt im Wortlaut fix, verändert aber unter dem Vorzeichen wechselnder Anreden – „sehr sehr Geehrter“, „sehr sehr Verehrter“, „verehrtester Herr“, „verhärteter Herr“, „härtester Herrscher“ – seinen konnotativen Wert: geht er anfangs glatt als höflich formulierte Bitte durch, ist er am Ende der Entwicklung voller Ingrimm und Wut – mutmaßlich, denn die Temperatur der einzelnen Gedichte unterscheidet sich äußerlich nicht sehr voneinander. Die Botschaft scheint gleichwohl klar: „verweigere die Milde, ver- / weigere das Lächeln, notfalls mit Waffengewalt.“ So heißt es im letzten, sechsten, Gedicht. Die Selbstertüchtigung, die das vorige „ich habe mich im Ertragen geübt“ endgültig ablegt, verweist zurück auf das erste Gedicht des Zyklus‘: „meine Faust (mein Messer in der Tasche) geht auf.“

vor dem Regenfall, drei Gedichte zur Nacht.

Das neunteilige Manifest des weichen Steins, der umfangreichste Zyklus des Bands, ist eine Art Porträt. Erzählt wird – man könnte es beinahe so sagen – von einem Mann, der sein Geld mit Computer-Arbeit verdient, der Geige spielt, schlecht sieht und eine andere Sprache spricht als das „ich“, das im zweiten und dritten Gedicht hinzukommt und mit ihm ein „wir“ bildet. Die Sprachbarriere ist kein ernstes Hindernis, „wir hatten nicht die gleiche Sprache. doch fanden wir Worte / wie Pilze. so oft wir sie pflückten, es wuchsen uns neue. das waren die guten frühen Tage“. Das ist in seinem beglückenden Vertrauen(können) auf Verständigung denkbar weit entfernt von dem fundamentalen Sprachzweifel in Hofmannsthals Chandos-Brief („die abstrakten Worte […] zerfielen mir im Mund wie modrige Pilze“, 1902), der einem in den Sinn kommen mag.
Nur vier der neun Gedichte tragen eine Überschrift, die übrigen werden fortlaufend gezählt: „Geläut“, „(als ich ihn kannte)“, „2“, „3“, „(das Hasenmotiv)“, „5“, „(ein Mond Trost)“, „7“, „8“.
Die unerwartete Ziffer „2“ für das dritte Gedicht zeigt an, dass „Geläut“ als Vorrede zu verstehen und nicht mitzuzählen ist.
Welcher Art mag dies „Geläut“ sein?
Von „toter Freude“, „Angst“, von unruhigem Schlaf ist die Rede. „Alleinsein will geübt sein, Einsamkeit / gezähmt und gehegt, bis sie wie eine Katze nie harmlos deine Füße umschnurrt –“, heißt es, und ein paar Seiten später noch einmal: „Alleinsein / will gut geübt sein.“
Aus den Gedichten spricht Wärme, auch Wehmut, ein Wissen um Unentrinnbarkeit oder Unwiderruflichkeit vielleicht.
Die Fügung „weicher Stein“ variiert das Motiv von Zartheit und Härte. Für sich betrachtet ein Oxymoron, kann sie in Verbindung mit dem Vers „er nimmt / seine Geige, er pflegt den Bogen mit dem roten Stein, streicht mit ihm über das Rosshaar“ ebenso beschreibend sein, denn das steinförmige, aus Baumharz gewonnene, Kolophonium ist in der Tat ‚weich‘ und leicht.

Der Essay wo ist deine Wut? führt alle Themen des Bandes zusammen.

Drinnies – Privatbezeichnung für die noch ungeborenen Kinder im Mutterleib –, ein Nachklapp in zwei Gedichten.
„(der Eingeborenen-Sohn)“ greift den eigentümlichen Ausdruck aus dem Apostolischen Glaubensbekenntnis auf, der sich vereinfacht als „einziger Sohn“ wiedergeben ließe.
Ist es ein religiöses Gedicht? Schwerlich. Doch es spielt mit christlichen Versatzstücken, zieht nur allen Weihrauch davon ab, was komisch ist, und erhellend: „Anbiederung misslingt Jesus / er riecht an Stoffen.“
Er ist kein Superheld. Ein „Defekt“ wird ihm (seinem Körper) attestiert; er möchte „einzeln“ sein. – Sibylla Vričić Hausmann skizziert Jesus als schwierigen Patron: „er ist defizitär, wenn er wach ist. nicht nur / wenn er wach ist“, und kommt zum Schluss: „er braucht Poesie“. Die Liebe der Mutter hingegen scheint nicht so wichtig, er bedeutet ihr geradezu: „don’t touch me“.
„(am drinnsten ist man im Mutterleib, am dringendsten Mensch)“, das Schlussgedicht von meine Faust, nimmt den Faden der geburtsmythischen Gedichte des Anfangs wieder auf:
„neun Monate vor seiner Geburt / träumten ihn die Mütter als weißen Elefanten“. Es folgt eine schamlose Beschreibung des Säuglings („mächtig waren die Ohrmuscheln“). Die Schlussverse surreal: „erst später wurde er durch einen Fußabdruck / einen leeren Stuhl, ein herrenloses Pferd / oder einen Regenschirm dargestellt“.

„ach Lyrik, Genre des Scheiterns“ lautet ein Seufzer am Ende des Buchs. – Ist das so? Noch das zarteste denkbare Gedicht ist ja eines, das sich durchgeboxt hat, das der Verlockung des Schweigens widersagt, den Zudringlichkeiten des Alltagslebens getrotzt hat, das wirklich geschrieben wurde und durch die Schleuse der Selbstkritik gegangen ist. Nun behauptet es seinen Platz im Buch: Man würde es zäh nennen, widerständig. Und das ist doch allemal ein Erfolg.

Sibylla Vričić Hausmann, meine Faust. [ά-bet/Gebet (das Licht der Welt – Schwerkraft – aufstehen, wandeln – whatever sagen die Mütter – Meere sind Wüsten, Wüsten Meere – goldene Blumen), ω-myth/Komet (Zinken – vom Ende her gedacht – vor dem Regenfall – Manifest des weichen Steins – wo ist deine Wut? – Drinnies). Gedichte. 80 Seiten, gebunden. kookbooks, Berlin 2022. 24,00 Euro

Sibylla Vričić Hausmann, 3 FALTER. Gedichte. 96 Seiten, gebunden. Poetenladen, Leipzig 2018. 18,80 Euro

Weiter im Text:

Uljana Wolf, Sibylla Vričić Hausmann | 3 falter (Lyrik-Empfehlungen 2019)

Marie Luise Knott, Sibylla Vričić Hausmann | meine Faust (Lyrik-Empfehlungen 2023)

Lyrikgespräch Sibylla Vričić Hausmann und Samuel Taylor Coleridge. Mit Insa Wilke, Michael Braun und Christian Metz (Deutschlandfunk, 25.10.2022)

Sibylla Vričić Hausmann gründete zusammen mit Özlem Özgül Dündar die unabhängige Lesereihe Zürn (2022, Premiere in diesem April), sowie, mit Katharina Bendixen und David Blum, das Weblog und Netzwerk Other Writers Need to Concentrate. Über Autor*innenschaft und Elternschaft (2020).

Sibylla Vričić Hausmann, Forts.

Ich seh schon, meine Follower beginnen sich zu langweilen. Darum hier ein zweiter Ausschnitt aus meiner Kritik (weiter in Arbeit) zum Gedichtband meine Faust – ein nicht leicht zu fassendes Buch.

aufstehen, wandeln. Verse wie „ich war vierzehn Jahre und schlief viel“, oder „ich führte Buch bis Ostern“, wie auch die verwendete Zeitform (Präteritum), verleiten dazu, nach einem Erzählinhalt zu suchen. Der rote Faden ist aber mit Sorgfalt zerfriemelt worden. Die Flusen hat Sibylla Vričić Hausmann – mit anderen Zutaten vermengt – zu kompakt gesetzten Gedichten zu je sechs Versen komprimiert; nur das letzte, fünfte, in dieser Reihe weist einen siebenten Vers auf, der wie folgt lautet: „verschloss ich mich Reinem“. Von „Narzissen“ ist die Rede, ihrem „Blick“ – das spielt auf den Mythos von Narziss an, und weist zugleich auf das Motto des Kapitels, das dem Comic Im Spiegelsaal von Liv Strömquist entnommen ist, in dem diese sich mit der unendlichen Selbstbespiegelung der Instagram-User beschäftigt, die sich an ihren prominenten Idolen abarbeiten.

whatever sagen die Mütter sieht auf den ersten Blick wie eine (kurze) Playlist aus, jedenfalls sind die einzelnen Gedichte nach den Namen von Popgrößen benannt, mal mehr (Yoko Ono, Elton John, Nina Simone), mal weniger prominent (Toma Zdravković, Carly Simon). Schwangerschaft scheint ein übergreifendes Thema zu sein – vielleicht ist Musikhören eins der wenigen Dinge, die in dieser Zeit möglich sind. Die besagten Mütter erteilen Ratschläge (auf der linken Seite liegen), haben Weisheiten parat (es kommt, wie es kommt), und der Sprössling macht sich bemerkbar („wenn er sich umdrehen will / muss er mich treten“): auch eine Art Wut im Bauch, Zeichen von Vitalität.
Nichts will sich zueinander fügen. Das Ich lebt in einer Abfolge unverbundener Tage, die nur der Schlaf notdürftig eint. Es erfährt sich als fremd, entwickelt mit zunehmender Erdenschwere aber auch ein Gespür für Verbundenheit – mit der Buche, oder mit den Tauben: „u. die Tauben mit ihren tiefen Stimmen sind Freundinnen, kommen geflogen / setzen sich nieder auf meinen Fuß.“ Dies korrespondiert mit dem oben zitierten Schluss des ersten Kapitels („nichts setzte sich nieder auf meinen Fuß“). Das Zur-Welt-Bringen als ein Zur-Welt-Kommen.

Für Meere sind Wüsten, Wüsten Meere wählt Sibylla Vričić Hausmann wieder eine andere Form, eine durchgehend von eins bis sechsundzwanzig numerierte Folge kleiner Textscherben, aus jüngerer Zeit vielleicht den Günter Eich’schen „Formeln“ vergleichbar (die freilich zumeist kürzer sind), aus alter Zeit – Sappho?
Das Staunen über das kleine Wesen, das nun geboren ist („ein Erdzauber zog dich ans Taglicht“, „das wacklichte Körperchen –“) und den häuslichen Alltag bestimmt, wie auch die Sicht darauf („der Tag zahnt“), ergeben eine lose thematische Bindung. Das ist sehr fein gemacht, wirkt dabei bestimmt und konzentriert. […]

So weit mal.

Zu den wenigen erfreulichen Nachrichten der letzten Tage zählt, dass sich die türkische Opposition auf einen Gegenkandidaten zum Dauerherrscher Recep Tayyip Erdoğan geeinigt hat: Kemal Kılıçdaroğlu. – Viel Glück!

Auf gute Nachrichten aus Israel warte ich noch.

Das Abkommen zum Schutz der Hochsee hätte ich auch zu den guten Meldungen dazurechnen wollen, aber ich habe den Fehler gemacht, mit einer Freundin zu telefonieren, die darauf hinwies, dass dieser Vertrag keineswegs bedeutet: Wir lassen die Schutzgebiete in Ruhe, sondern nur: Wir geben uns Regeln für ihre Ausbeutung – und dann beuten wir sie aus.

Nach der Arbeit sehe ich mir manchmal Clips aus den mittlerweile weltweit stattfindenen Gesangs-Shows an; interessiert mich mehr als Kripo Gotland, etc.
Hier der Auftritt einer Teilnehmerin aus Norwegen, Jenny Z. Haugen. Die Juroren sind überwältigt, warten aber bis zum ersten hohen Ton, bevor sie sich alle auf einmal umdrehen und der Darbietung gebannt folgen.

Sibylla Vričić Hausmann meine Faust

Wenn ihr euch wundert, warum ich so wenig und so langsam lese: Manchmal denke ich länger über das Gelesene nach und schreibe was dazu auf – selten genug, denn ich muss Geld verdienen, Miete zahlen, Sachen kaufen, essen und schlafen. Zeit zum Nachdenken ist knapp.

Hieraus könnte eine Kritik entstehen, es sieht schon ganz danach aus:

Geballte Zerbrechlichkeit. Neue Gedichte von Sibylla Vričić Hausmann: meine Faust

„Was bedeutet es, etwas ‚aber’ zu sagen, etwas ‚aber’ zu tun? In diesem ‚aber’, das nah am ‚trotzdem’ angesiedelt ist, liegt meine Faust, warm, manchmal fast zart. Hier entstehen meine Worte […]”

„Material […] Angélica Freitas: Der Uterus ist groß wie eine Faust (2020) […]”

Die beiden Zitate – das eine aus dem Essay „wo ist deine Wut?“, das andere aus den Literaturangaben dazu – schlagen (mindestens) drei Themen an, die in meine Faust eine hervorgehobene Rolle spielen: Schreiben gegen Widerstände; Mutterschaft; Wut.
Wut wird nicht grundsätzlich verschieden von Zorn gesehen, darüber ließe sich diskutieren. Doch sind derlei definitorische Feinheiten nicht nötig, um festzustellen, dass die Gedichte von Sibylla Vričić Hausmann eine viszerale Kraft haben – sie ist allerdings mehr genotypisch denn phänotypisch ausgeprägt.

„ach Lyrik, Genre des Scheiterns“, heißt es in einem der die einzelnen Kapitel einleitenden Epigraphe. – Ist das so? Noch das zarteste denkbare Gedicht ist ja eines, das sich durchgeboxt hat, das der Verlockung des Schweigens widersagt, den Zudringlichkeiten des Alltagslebens getrotzt hat, das wirklich geschrieben wurde und durch die Schleuse der Selbstkritik gegangen ist. Nun behauptet es seinen Platz im Buch: Man würde es zäh nennen, widerständig.

„ich (aber) sage: meine Mütter sind streng, das riecht man“, lautet das erste Motto.

Hier, auf der ersten Seite, erscheint bereits das eingangs erwähnte Motiv des trotzdem-etwas-Tuns, und dieses Tun ist immer ein Sagen, das von einem Ich ausgeht. Acht der zwölf Abschnitte beginnen mit diesem „ich (aber) sage“, das auch als religiöses Signal gedeutet werden könnte (Bergpredigt), zumal das erste Kapitel „das Licht der Welt“ überschrieben ist. Das biblische „Ich bin das Licht der Welt“ klingt an, ebenso die Wendung „das Licht der Welt erblicken“; und um Geburt geht es auch.
Die – vermeintlich – transzendentalen Zeichen bleiben aber leer. Man lasse sich nicht durch den Hinweis am Ende des Buchs täuschen: „Dieses Buch enthält Zitate aus heiligen Schriften.“ – „Weh dem, der Symbole sieht!“ (Samuel Beckett)

[…]

Eine kleine rhythmische Aufgabe von Rajna Swaminathan:

Und hier ein Stück ihres Ensembles.

Nächsten Monat wird der Krieg ein Jahr alt. Stimmen die Ziele der Ukraine (Wiedererlangung der vollen Souveränität über das ukrainische Staatsgebiet einschließlich der Krim) mit den Zielen der westlichen Waffengeber überein?
Danach dürfte sich richten, welches Kriegsgerät geliefert wird, und welches nicht.
Wie lässt sich der russische Tyrann an den Verhandlungstisch bringen, an dem alle Kriege enden? In einem Moment neige ich dazu zu denken, dass ‚der Westen‘ eine Drohkulisse aufbauen, ihm ‚die Instrumente‘ zeigen muss. Aber im nächsten wende ich dagegen ein, dass immer noch Geschäfte mit dem russischen Staat laufen, er immer noch nicht vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten ist, dass die Entourage des Potentaten ein ungestört lustiges Leben führt, Yachten und Villen nicht samt und sonders beschlagnahmt, Gelder nicht restlos gesperrt wurden. Und das sollte als erstes geschehen, ganz ohne Blutvergießen.
(Der Wikipedia-Artikel zur PCK Raffinerie in Schwedt vermerkt:
„Mit dem Bezug des kasachischen Öls wird die Wirkung des Ölembargos gegen Russland geschwächt, denn es verdient an den Durchleitungsgebühren.”)

Wie auch immer, ein Krieg ist es, und er dauert zu lang. Schon die Dauer vom 24.2.2022 zum 25.2.2022 war zu lang. Wie kommen wir zum Frieden hin?
Dem Aggressor scheinen Opferzahlen nicht wichtig. Gehen dann nicht alle Schüsse auf die Invasoren, auch wenn sie treffen (das tun sie), ins Leere?
Welches Überraschungsmoment können die Ukraine und ihre Unterstützer abseits von Waffen und immer mehr Waffen bieten? Was ist wichtiger? Der Besitz des Landes, oder Menschenleben? Doch was ist die Garantie dafür, dass der Megalomane nicht auch Moldau, Estland, Lettland, Litauen, Finnland, Polen angreift?
So viele Fragen.
Für Rheinmetall läuft’s gut.
Eigentlich haben wir doch andere Probleme, Stichwort Schutz der Biosphäre.