Wenn ihr euch wundert, warum ich so wenig und so langsam lese: Manchmal denke ich länger über das Gelesene nach und schreibe was dazu auf – selten genug, denn ich muss Geld verdienen, Miete zahlen, Sachen kaufen, essen und schlafen. Zeit zum Nachdenken ist knapp.
Hieraus könnte eine Kritik entstehen, es sieht schon ganz danach aus:
Geballte Zerbrechlichkeit. Neue Gedichte von Sibylla Vričić Hausmann: meine Faust
„Was bedeutet es, etwas ‚aber’ zu sagen, etwas ‚aber’ zu tun? In diesem ‚aber’, das nah am ‚trotzdem’ angesiedelt ist, liegt meine Faust, warm, manchmal fast zart. Hier entstehen meine Worte […]”
„Material […] Angélica Freitas: Der Uterus ist groß wie eine Faust (2020) […]”
Die beiden Zitate – das eine aus dem Essay „wo ist deine Wut?“, das andere aus den Literaturangaben dazu – schlagen (mindestens) drei Themen an, die in meine Faust eine hervorgehobene Rolle spielen: Schreiben gegen Widerstände; Mutterschaft; Wut.
Wut wird nicht grundsätzlich verschieden von Zorn gesehen, darüber ließe sich diskutieren. Doch sind derlei definitorische Feinheiten nicht nötig, um festzustellen, dass die Gedichte von Sibylla Vričić Hausmann eine viszerale Kraft haben – sie ist allerdings mehr genotypisch denn phänotypisch ausgeprägt.
„ach Lyrik, Genre des Scheiterns“, heißt es in einem der die einzelnen Kapitel einleitenden Epigraphe. – Ist das so? Noch das zarteste denkbare Gedicht ist ja eines, das sich durchgeboxt hat, das der Verlockung des Schweigens widersagt, den Zudringlichkeiten des Alltagslebens getrotzt hat, das wirklich geschrieben wurde und durch die Schleuse der Selbstkritik gegangen ist. Nun behauptet es seinen Platz im Buch: Man würde es zäh nennen, widerständig.
„ich (aber) sage: meine Mütter sind streng, das riecht man“, lautet das erste Motto.
Hier, auf der ersten Seite, erscheint bereits das eingangs erwähnte Motiv des trotzdem-etwas-Tuns, und dieses Tun ist immer ein Sagen, das von einem Ich ausgeht. Acht der zwölf Abschnitte beginnen mit diesem „ich (aber) sage“, das auch als religiöses Signal gedeutet werden könnte (Bergpredigt), zumal das erste Kapitel „das Licht der Welt“ überschrieben ist. Das biblische „Ich bin das Licht der Welt“ klingt an, ebenso die Wendung „das Licht der Welt erblicken“; und um Geburt geht es auch.
Die – vermeintlich – transzendentalen Zeichen bleiben aber leer. Man lasse sich nicht durch den Hinweis am Ende des Buchs täuschen: „Dieses Buch enthält Zitate aus heiligen Schriften.“ – „Weh dem, der Symbole sieht!“ (Samuel Beckett)
[…]
Eine kleine rhythmische Aufgabe von Rajna Swaminathan:
Und hier ein Stück ihres Ensembles.
Nächsten Monat wird der Krieg ein Jahr alt. Stimmen die Ziele der Ukraine (Wiedererlangung der vollen Souveränität über das ukrainische Staatsgebiet einschließlich der Krim) mit den Zielen der westlichen Waffengeber überein?
Danach dürfte sich richten, welches Kriegsgerät geliefert wird, und welches nicht.
Wie lässt sich der russische Tyrann an den Verhandlungstisch bringen, an dem alle Kriege enden? In einem Moment neige ich dazu zu denken, dass ‚der Westen‘ eine Drohkulisse aufbauen, ihm ‚die Instrumente‘ zeigen muss. Aber im nächsten wende ich dagegen ein, dass immer noch Geschäfte mit dem russischen Staat laufen, er immer noch nicht vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten ist, dass die Entourage des Potentaten ein ungestört lustiges Leben führt, Yachten und Villen nicht samt und sonders beschlagnahmt, Gelder nicht restlos gesperrt wurden. Und das sollte als erstes geschehen, ganz ohne Blutvergießen.
(Der Wikipedia-Artikel zur PCK Raffinerie in Schwedt vermerkt:
„Mit dem Bezug des kasachischen Öls wird die Wirkung des Ölembargos gegen Russland geschwächt, denn es verdient an den Durchleitungsgebühren.”)
Wie auch immer, ein Krieg ist es, und er dauert zu lang. Schon die Dauer vom 24.2.2022 zum 25.2.2022 war zu lang. Wie kommen wir zum Frieden hin?
Dem Aggressor scheinen Opferzahlen nicht wichtig. Gehen dann nicht alle Schüsse auf die Invasoren, auch wenn sie treffen (das tun sie), ins Leere?
Welches Überraschungsmoment können die Ukraine und ihre Unterstützer abseits von Waffen und immer mehr Waffen bieten? Was ist wichtiger? Der Besitz des Landes, oder Menschenleben? Doch was ist die Garantie dafür, dass der Megalomane nicht auch Moldau, Estland, Lettland, Litauen, Finnland, Polen angreift?
So viele Fragen.
Für Rheinmetall läuft’s gut.
Eigentlich haben wir doch andere Probleme, Stichwort Schutz der Biosphäre.
Dieses Trotzdem, diese Faust: Mir geht genauso merklich die Puste aus wie allen anderen; ich schreibe kritzeliger, male schlampiger, und doch denke ich nicht „kritzelig, schlampig“, ich denke „trotzdem“. Mich beschäftigt diese Universal-Krise, in der wir stecken und die ihrer Tendenz nach auf radikale Verschlimmerung (mindestens: Verkomplizierung) zuläuft, so ausgiebig, dass auch mental kaum noch Raum bleibt, aber: trotzdem.
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Von wegen „kritzelig, schlampig“ kann ich nur (wieder) Corita Kent und John Cage zitieren:
„Nothing is a mistake. There is no win and no fail. There is only make.“ – Und mein erster Impuls bei Deinem Kommentar wäre sowieso: Was? Du schreibst mit der Hand? Du zeichnest? Das ist ja toll! (Offenbar hattest Du ein Elternhaus, das Dich in Deiner Kreativität unterstützt, oder jedenfalls nicht behindert hat. Viele Eltern wenden sich ja kalt von ihren Kindern ab, wenn diese nicht auf Marie Curie – oder Mozart-Level performen.)
Ich find’s gut, wenn Menschen was machen, um das Leben zu feiern und zu schmücken, auch etwas von ihrer Persönlichkeit mitteilen anstatt geizig oder ängstlich alles für sich zu behalten, bis sich über ihrem Strichmund der Sargdeckel schließt.
Ja, die Universal-Krise … Aber auch hier gibt’s überall auf dem Globus Leute, die trotzdem etwas tun, z.B. einen Ersatzstoff für Palmöl erfinden (daran arbeiten gleich mehrere Labore).
Ich wünschte, James Lovelocks Gaia-Hypothese fände breitere Akzeptanz, und der Animismus wäre die universale Religion.
Nachher backe ich Kuchen.
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