Sibylla Vričić Hausmann, Forts.

Ich seh schon, meine Follower beginnen sich zu langweilen. Darum hier ein zweiter Ausschnitt aus meiner Kritik (weiter in Arbeit) zum Gedichtband meine Faust – ein nicht leicht zu fassendes Buch.

aufstehen, wandeln. Verse wie „ich war vierzehn Jahre und schlief viel“, oder „ich führte Buch bis Ostern“, wie auch die verwendete Zeitform (Präteritum), verleiten dazu, nach einem Erzählinhalt zu suchen. Der rote Faden ist aber mit Sorgfalt zerfriemelt worden. Die Flusen hat Sibylla Vričić Hausmann – mit anderen Zutaten vermengt – zu kompakt gesetzten Gedichten zu je sechs Versen komprimiert; nur das letzte, fünfte, in dieser Reihe weist einen siebenten Vers auf, der wie folgt lautet: „verschloss ich mich Reinem“. Von „Narzissen“ ist die Rede, ihrem „Blick“ – das spielt auf den Mythos von Narziss an, und weist zugleich auf das Motto des Kapitels, das dem Comic Im Spiegelsaal von Liv Strömquist entnommen ist, in dem diese sich mit der unendlichen Selbstbespiegelung der Instagram-User beschäftigt, die sich an ihren prominenten Idolen abarbeiten.

whatever sagen die Mütter sieht auf den ersten Blick wie eine (kurze) Playlist aus, jedenfalls sind die einzelnen Gedichte nach den Namen von Popgrößen benannt, mal mehr (Yoko Ono, Elton John, Nina Simone), mal weniger prominent (Toma Zdravković, Carly Simon). Schwangerschaft scheint ein übergreifendes Thema zu sein – vielleicht ist Musikhören eins der wenigen Dinge, die in dieser Zeit möglich sind. Die besagten Mütter erteilen Ratschläge (auf der linken Seite liegen), haben Weisheiten parat (es kommt, wie es kommt), und der Sprössling macht sich bemerkbar („wenn er sich umdrehen will / muss er mich treten“): auch eine Art Wut im Bauch, Zeichen von Vitalität.
Nichts will sich zueinander fügen. Das Ich lebt in einer Abfolge unverbundener Tage, die nur der Schlaf notdürftig eint. Es erfährt sich als fremd, entwickelt mit zunehmender Erdenschwere aber auch ein Gespür für Verbundenheit – mit der Buche, oder mit den Tauben: „u. die Tauben mit ihren tiefen Stimmen sind Freundinnen, kommen geflogen / setzen sich nieder auf meinen Fuß.“ Dies korrespondiert mit dem oben zitierten Schluss des ersten Kapitels („nichts setzte sich nieder auf meinen Fuß“). Das Zur-Welt-Bringen als ein Zur-Welt-Kommen.

Für Meere sind Wüsten, Wüsten Meere wählt Sibylla Vričić Hausmann wieder eine andere Form, eine durchgehend von eins bis sechsundzwanzig numerierte Folge kleiner Textscherben, aus jüngerer Zeit vielleicht den Günter Eich’schen „Formeln“ vergleichbar (die freilich zumeist kürzer sind), aus alter Zeit – Sappho?
Das Staunen über das kleine Wesen, das nun geboren ist („ein Erdzauber zog dich ans Taglicht“, „das wacklichte Körperchen –“) und den häuslichen Alltag bestimmt, wie auch die Sicht darauf („der Tag zahnt“), ergeben eine lose thematische Bindung. Das ist sehr fein gemacht, wirkt dabei bestimmt und konzentriert. […]

So weit mal.

Zu den wenigen erfreulichen Nachrichten der letzten Tage zählt, dass sich die türkische Opposition auf einen Gegenkandidaten zum Dauerherrscher Recep Tayyip Erdoğan geeinigt hat: Kemal Kılıçdaroğlu. – Viel Glück!

Auf gute Nachrichten aus Israel warte ich noch.

Das Abkommen zum Schutz der Hochsee hätte ich auch zu den guten Meldungen dazurechnen wollen, aber ich habe den Fehler gemacht, mit einer Freundin zu telefonieren, die darauf hinwies, dass dieser Vertrag keineswegs bedeutet: Wir lassen die Schutzgebiete in Ruhe, sondern nur: Wir geben uns Regeln für ihre Ausbeutung – und dann beuten wir sie aus.

Nach der Arbeit sehe ich mir manchmal Clips aus den mittlerweile weltweit stattfindenen Gesangs-Shows an; interessiert mich mehr als Kripo Gotland, etc.
Hier der Auftritt einer Teilnehmerin aus Norwegen, Jenny Z. Haugen. Die Juroren sind überwältigt, warten aber bis zum ersten hohen Ton, bevor sie sich alle auf einmal umdrehen und der Darbietung gebannt folgen.

Sibylla Vričić Hausmann meine Faust

Wenn ihr euch wundert, warum ich so wenig und so langsam lese: Manchmal denke ich länger über das Gelesene nach und schreibe was dazu auf – selten genug, denn ich muss Geld verdienen, Miete zahlen, Sachen kaufen, essen und schlafen. Zeit zum Nachdenken ist knapp.

Hieraus könnte eine Kritik entstehen, es sieht schon ganz danach aus:

Geballte Zerbrechlichkeit. Neue Gedichte von Sibylla Vričić Hausmann: meine Faust

„Was bedeutet es, etwas ‚aber’ zu sagen, etwas ‚aber’ zu tun? In diesem ‚aber’, das nah am ‚trotzdem’ angesiedelt ist, liegt meine Faust, warm, manchmal fast zart. Hier entstehen meine Worte […]”

„Material […] Angélica Freitas: Der Uterus ist groß wie eine Faust (2020) […]”

Die beiden Zitate – das eine aus dem Essay „wo ist deine Wut?“, das andere aus den Literaturangaben dazu – schlagen (mindestens) drei Themen an, die in meine Faust eine hervorgehobene Rolle spielen: Schreiben gegen Widerstände; Mutterschaft; Wut.
Wut wird nicht grundsätzlich verschieden von Zorn gesehen, darüber ließe sich diskutieren. Doch sind derlei definitorische Feinheiten nicht nötig, um festzustellen, dass die Gedichte von Sibylla Vričić Hausmann eine viszerale Kraft haben – sie ist allerdings mehr genotypisch denn phänotypisch ausgeprägt.

„ach Lyrik, Genre des Scheiterns“, heißt es in einem der die einzelnen Kapitel einleitenden Epigraphe. – Ist das so? Noch das zarteste denkbare Gedicht ist ja eines, das sich durchgeboxt hat, das der Verlockung des Schweigens widersagt, den Zudringlichkeiten des Alltagslebens getrotzt hat, das wirklich geschrieben wurde und durch die Schleuse der Selbstkritik gegangen ist. Nun behauptet es seinen Platz im Buch: Man würde es zäh nennen, widerständig.

„ich (aber) sage: meine Mütter sind streng, das riecht man“, lautet das erste Motto.

Hier, auf der ersten Seite, erscheint bereits das eingangs erwähnte Motiv des trotzdem-etwas-Tuns, und dieses Tun ist immer ein Sagen, das von einem Ich ausgeht. Acht der zwölf Abschnitte beginnen mit diesem „ich (aber) sage“, das auch als religiöses Signal gedeutet werden könnte (Bergpredigt), zumal das erste Kapitel „das Licht der Welt“ überschrieben ist. Das biblische „Ich bin das Licht der Welt“ klingt an, ebenso die Wendung „das Licht der Welt erblicken“; und um Geburt geht es auch.
Die – vermeintlich – transzendentalen Zeichen bleiben aber leer. Man lasse sich nicht durch den Hinweis am Ende des Buchs täuschen: „Dieses Buch enthält Zitate aus heiligen Schriften.“ – „Weh dem, der Symbole sieht!“ (Samuel Beckett)

[…]

Eine kleine rhythmische Aufgabe von Rajna Swaminathan:

Und hier ein Stück ihres Ensembles.

Nächsten Monat wird der Krieg ein Jahr alt. Stimmen die Ziele der Ukraine (Wiedererlangung der vollen Souveränität über das ukrainische Staatsgebiet einschließlich der Krim) mit den Zielen der westlichen Waffengeber überein?
Danach dürfte sich richten, welches Kriegsgerät geliefert wird, und welches nicht.
Wie lässt sich der russische Tyrann an den Verhandlungstisch bringen, an dem alle Kriege enden? In einem Moment neige ich dazu zu denken, dass ‚der Westen‘ eine Drohkulisse aufbauen, ihm ‚die Instrumente‘ zeigen muss. Aber im nächsten wende ich dagegen ein, dass immer noch Geschäfte mit dem russischen Staat laufen, er immer noch nicht vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten ist, dass die Entourage des Potentaten ein ungestört lustiges Leben führt, Yachten und Villen nicht samt und sonders beschlagnahmt, Gelder nicht restlos gesperrt wurden. Und das sollte als erstes geschehen, ganz ohne Blutvergießen.
(Der Wikipedia-Artikel zur PCK Raffinerie in Schwedt vermerkt:
„Mit dem Bezug des kasachischen Öls wird die Wirkung des Ölembargos gegen Russland geschwächt, denn es verdient an den Durchleitungsgebühren.”)

Wie auch immer, ein Krieg ist es, und er dauert zu lang. Schon die Dauer vom 24.2.2022 zum 25.2.2022 war zu lang. Wie kommen wir zum Frieden hin?
Dem Aggressor scheinen Opferzahlen nicht wichtig. Gehen dann nicht alle Schüsse auf die Invasoren, auch wenn sie treffen (das tun sie), ins Leere?
Welches Überraschungsmoment können die Ukraine und ihre Unterstützer abseits von Waffen und immer mehr Waffen bieten? Was ist wichtiger? Der Besitz des Landes, oder Menschenleben? Doch was ist die Garantie dafür, dass der Megalomane nicht auch Moldau, Estland, Lettland, Litauen, Finnland, Polen angreift?
So viele Fragen.
Für Rheinmetall läuft’s gut.
Eigentlich haben wir doch andere Probleme, Stichwort Schutz der Biosphäre.