Ach ja. Na, mal sehen

„Ich fahr immer Strecken, da klebt keener”, sagte meine Friseurin. Sie hat einen Hals auf die Aktivisten.

Sarah Bosetti, politische Kabarettistin, gibt zu bedenken, dass – wenn schon – Gas- und Ölproduzenten mit größerem Recht Klimaterroristen genannt werden könnten als die Aktivisten der Letzten Generation:
Bosetti will reden! – Letzte Generation, RAF und Klimaterrorismus (ZDF, 9.11.2022)
Über zum Beispiel Wintershall Dea habe ich aber noch keinen Politiker sich echauffieren gehört. Dies ehrenwerte Unternehmen greift auch ein Meisterwerk an (Der Blaue Planet), unersetzbar, leider nicht gerahmt und durch Glas geschützt, das geht also wirklich kaputt, wird wirklich zerstört.

„La dernière phrase rend le lecteur au silence que la première avait brisé”, steht ohne Punkt und Anführungszeichen auf einer Gehaltsabrechnung, die ich vorhin endlich abgeheftet habe.
Mathias Énard hat das gesagt, in einer Sendung des französischen Rundfunks: Incipit, wenn ich mein Gekritzel richtig deute.
Der letzte Satz entlässt den Leser wieder in die Stille, die der erste unterbrochen hatte, so könnte man übersetzen. (Vielleicht wiederhole ich mich?)

– Bin da und schon oben im Kino
– Hallo, ich warte an der Straße
– Wieso?
– Bist Du schon im Kino?
– Wo bist du?
Kann dich nicht anrufen
Hab es schon 5 x versucht
– Ich fahr wieder. Schönen Abend und schönes Wochenende trotzdem.

Ungefähr zehn Minuten vor Filmbeginn war ich auf gut Glück die Treppen zum Kino emporgestiegen, hatte aber auf dem Absatz kehrtgemacht, in der Masse sieht man auch keinen.
Ich postierte mich wieder an der Straße, von dort hörte ich dann ihre Stimme.
(Gedenktafel für Jakob van Hoddis wahrscheinlich im Eingang nebenan.)
Wir gingen irgendwo Wein trinken (das 0.2-Glas für acht Euro), dann begleitete ich sie bis zur Haustür und ging anschließend auf Verwandtenbesuch. Die Küchenschränke schienen mir neu, lang war ich nicht mehr da gewesen. Für die Katze war nur ein Tag vergangen.

Ich warf dem Bettler mit Abstand die Münze in die schwarze Hand.

Giftfracht

Ist Giftfracht ein poesiefähiges Wort? Wahrscheinlich! Unterdessen wird nach Lektüre eines ZDF-Artikels deutlich, warum die zuständigen polnischen Behörden partout nicht herausfinden wollen, warum in den letzten zwei Wochen 190 Tonnen toter Fische aus der Oder geborgen wurden und, wie zu lesen war, ihr Pegel um 30 cm angestiegen ist:
„So ist etwa Paweł Rusiecki, einer der vier stellvertretenden Direktoren des Wasseramtes, Ehemann von Umweltministerin Anna Moskwa.”
Ach so.
Bemerkenswert auch die „Ausgaben für neue Dienstfahrzeuge im Wert von mehreren Millionen Euro”. Vielleicht haben auch deutsche Autohersteller davon profitiert, das wäre doch schön.

Thomas Dudek, Fischsterben in der Oder : Offene Fragen und Ablenkungsmanöver in Polen (ZDF, 18.8.2022)

Wer ein bisschen über Ornette Coleman nachliest, wird die Information finden, dass seine Eltern zu arm waren, um ihn zum Musikunterricht anzumelden. Also hat er sich das Saxophonspielen als Teenager selbst beigebracht, neben seiner Arbeit als Fahrstuhlführer, allerdings ohne zu wissen, dass die Musik anders notiert ist als sie klingt, so dass er die Intervallproportionen zwar korrekt spielte, aber mit falschen Tönen. Man hat in diesem produktiven Irrtum eine Ursache für Colemans harmonische Freiheit gesehen.
Miles Davis, Konkurrenz witternd:
„Hell, just listen to what he writes and how he plays. If you’re talking psychologically, the man is all screwed up inside.”
Sein Trompeter-Kollege Dizzy Gillespie: „I don’t know what he’s playing, but it’s not jazz.”
Andere waren hellsichtiger, wie der Komponist Gunther Schuller:
„His playing has a deep inner logic, based on subtleties of reaction, subtleties of timing and color that are, I think, quite new to jazz. At least they have never appeared in so pure and direct a form”,
oder John Lewis, der Pianist des Modern Jazz Quartet:
„The only really new thing since the mid-’40s innovations of Dizzy Gillespie, Charlie Parker, and Thelonious Monk.”
[Alle zitiert nach dem Booklet zur CD-Box Beauty Is a Rare Thing: The Complete Atlantic Recordings, 1993]

Ornette Coleman, alto sax – Don Cherry, pocket trumpet – Charlie Haden, bass – Billy Higgins, drums [8.10.1959, Hollywood, California]

Ramblin‘ aus dem Album Change of the Century (1960) hat eine bluesige Phrasierung und Intonation. Es ist ein sofort eingängiges Stück. Ornette Coleman, aber auch Don Cherry und Charlie Haden, zitieren hier (offenbar) nordamerikanische Folkmelodien. Man hört schwach (Sprech-) Stimmen im Hintergrund, vielleicht von den Musikern, vielleicht vom Studiopersonal, was der Aufnahme Lebendigkeit und Alltagsnähe verleiht. Don Cherry spielt das zweite Solo, auf seiner sogenannten besseren Kindertrompete, und als wäre das alles nicht schon großartig genug, folgt ab 4:00 Charlie Haden, dessen Solo technisch gar nicht besonders spektakulär scheint, aber eben doch ist, minimalistisch begleitet von Billy Higgins‘ Glöckchensound. Viel später (1977) hat Ian Dury Hadens Solo über Ramblin‘ in einem seiner Songs zitiert. Zum Schluss wiederholt das Quartett das Thema – wie oft bei Coleman, ist es recht fröhlich – und dann ist die Sechseinhalbminuten-Sternstunde vorbei.

Anlässlich eines mehrtägigen Engagements in Paris 1997, hat Jacques Derrida Ornette Coleman für die Musikzeitschrift Les Inrockuptibles zu den Themen Komposition, Improvisation, Sprache und Rassismus interviewt. Ein englisches Skript (.pdf) gibt es bei ubu.com, aber das nur nebenbei.

Übrigens, ein anderer sehenswerter Clip aus der diesjährigen Ausgabe von America’s Got Talent ist der Auftritt der polnischen Sängerin Sara James, die einen Song (Lovely) von Billie Eilish singt. Dafür gibt’s einen ‚Golden Buzzer‘ – verdient!