W. Shorter A. Cotten Y. Bonnefoy

„Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg.”
(Sigmund Freud an Albert Einstein)
Daran halte ich mich.
In dem Punkt bin ich gewissermaßen meine Eltern in Personalunion, die mit dem Argument „Das ist für die Bildung” immer großzügig waren mit allem, was uns weiterbringen konnte.
Also bevorrate ich mich (immer maßvoll!) mit Musik und Büchern, erwerbe zudem hin und wieder eine Berliner Zeitung, das macht mir gute Laune.
Zuletzt habe ich mir eine 5-CD-Box von Wayne Shorter gekauft, mit Aufnahmen, die er zwischen 1964 und 1967 für Blue Note eingespielt hat und die, teilweise erst Jahre nach ihrer Entstehung, auf den Alben Night Dreamer, The Soothsayer, Et cetera, Adam’s Apple und Schizophrenia erschienen sind.
„Weird like Wayne” war in den 60ern unter den jungen Jazzfreunden New Yorks eine Redewendung, habe ich irgendwo gelesen, aber vielleicht waren sie auch nur ein einziger Mensch namens LeRoi Jones, nachmals Amiri Baraka. Egal.
Übrigens hat Wayne Shorter einen Trompete spielenden Bruder namens Alan, den man zum Beispiel auf Archie Shepps Four For Trane hören kann. Eine musikalische Familie.
Am Ende landen die Leute beim Jazz, wie mein Freund Walter ganz zutreffend sagte.

Die neuest hinzugekommenen Bücher sind von Ann Cotten und Yves Bonnefoy, denen ich beiden eine Treue bewahre. Anders als hier in der Abbildung zu sehen, weist mein Exemplar von Was geht allerdings kein Fragezeichen auf.

Die Wiener Dichterin widmet sich in ihren Vorlesungen unter dem Vorzeichen des Spazierengehens Fragen der Poetik. „Silly Walks” kommen vor, „Verzerrung”, „Vertrauen”, „Kommunismus als Werkphase” und vieles andere mehr, alles schön flott dargeboten, so dass niemand in Versuchung kommt, einzuschlafen.
Aber das schreibe ich hier nur superpauschal, denn viel lesen können habe ich noch nicht.
„Flaneusen sind (und natürlich Flaneure) ein großes Ärgernis, nicht nur für die Putztrupps, denen sie in die frisch gewischten Strandpromenaden tappen, sondern vor allem auch für die anderen Flaneursen.”
So launig geht es los, und AC mutet dem wohlgemuten Leser hier schon zu, was auf der nächsten Seite als „Polnisches Gendern” namhaft und wie folgt beschrieben wird: „alle für alle Geschlechter notwendigen Buchstaben in beliebiger Reihenfolge ans Wortende.”
Hoffentlich macht es nicht Schule.
AC schreibt: „Mündlich ein bisschen schwieriger als schriftlich, aber es wird sich schon nach und nach durchsetzen, beim Automobil haben sie auch gesagt, so ein Schwachsinn.”

Der rote Schal ist das letzte Buch von Yves Bonnefoy. Elisabeth Edl und Wolfgang Matz haben es übersetzt. Ich war überrascht, dass es überhaupt ein letztes Bonnefoy-Buch gab – eines nach Die lange Ankerkette -, aber als ich neulich Montag meine einwöchige Vertretung in der Wilmersdorfer Buchhandlung antrat, in der ich seit bald fünf Jahren arbeite, lag es auf dem Neuheitentisch, mit diesem prächtigen Max-Ernst-Buchumschlag.
Der alte Dichter, am Ende seines Lebensweges angekommen, erzählt darin von einem liegengebliebenen Gedichtfragment, das seinerzeit wie unter Diktat entstanden war, und an das er später nicht mehr anknüpfen konnte.
„Tatsächlich wollte ich mich nicht damit abfinden, dass ‚Der rote Schal’ unvollendet, und genauso wenig, dass dieses Rätsel der plötzlich versiegten Eingebung unlösbar blieb.”
Bonnefoy wird also Detektiv in eigener Sache, und davon handelt das Buch – ein Buch über ein Gedicht, aber als Erzählung.
NB. Wer die rauhe Haptik der Edition Akzente schätzt, sollte – bei Interesse – ein Exemplar der ersten Auflage kaufen. Die nächste Auflage wird als Print on Demand erscheinen, pottenhässlich, aber zum gleichen Preis. 😦

Es war mir nicht bewusst, dass ich eine besondere Sehnsucht nach poetologischen Fragen habe, aber wie sonst soll ich mir erklären, dass die genannten Bücher eben solche über das Dichten sind und die nächsten zwei ebenso: Poetisch denken von Christian Metz und Aus Mangel an Beweisen von Michael Braun und Hans Thill? – Aller guten Dinge sind drei: Auch Dickicht mit Reden und Augen von Steffen Popp steht bei Shakespeare and Company für mich bereit.
Dieser Tage muss man kookbooks nach Kräften unterstützen. Das eifrige Finanzamt hat dem 2003 gegründeten Verlag eine Forderung ins Haus geschickt, die ihn in seiner Existenz bedroht.

  • Wayne Shorter, 5 Original Albums with full original artwork. Blue Note Records, New York, New York, 2016. ca. 18,00 Euro
  • Ann Cotten, Was geht. Salzburger Stefan Zweig Poetikvorlesung. 180 Seiten, broschiert. Sonderzahl Verlag, Wien 2018. 18,00 Euro
  • Yves Bonnefoy, Der rote Schal. Deutsch von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. 224 Seiten, Klappenbroschur. Hanser Verlag, München 2018. 24,00 Euro

Bibliographie Y. B.

Da die Wikipedia in diesem Punkt schwächelt (und meine Änderungen – weniger detailliert als hier – nicht übernimmt), im folgenden eine Auswahlbibliographie der Werke von Yves Bonnefoy
auf Deutsch in chronologischer Reihenfolge
. [Korrekturen und Ergänzungen vorbehalten]

1. Rue Traversière. [Dichterische Prosa]. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort, bio-bibliographischer Notiz und Anmerkungen von Friedhelm Kemp. 120 Seiten, gebunden
mit Schutzumschlag [Willy Fleckhaus]. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1980.
[= Bibliothek Suhrkamp, Bd. 694] [vergriffen]

„Yves Bonnefoy ist vor allem Lyriker; als Dichter, Übersetzer, Kenner der älteren Kunst und Freund lebender Künstler zugleich ein bedeutender Essayist. Er schrieb vier Gedichtbände; seine neuen Prosatexte halten augenblickshaft eine Begegnung, einen Traum fest, oder sie sinnen einer Erinnerung, einer Vorstellung nach, die sich in der ‚Wiederholung’ entfalten und stufenweise berichtigen. So werden Erfahrungsprozesse der Einbildungskraft vergegenwärtigt, in knappen Bildern, Szenen, Parabeln oder jene Umwege nachzeichnend, auf denen Wahrnehmungen dessen sich ereignen, was jedem unmittelbaren Zugriff entzogen bleibt.
Über Yves Bonnefoys Rang mag auch über die Grenzen Frankreichs hinaus Einhelligkeit bestehen: seine Stimme ist unverwechselbar, die reifste unter denen seiner Altersgenossen, die aus Eigenstem im Namen vieler spricht.” (Text: Suhrkamp Verlag)

2. Im Trug der Schwelle / Dans le leurre du seuil. Gedichte. Französisch und Deutsch. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Friedhelm Kemp. 160 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag [Heinz Edelmann]. Klett-Cotta, Stuttgart 1984. 24,00 Euro

„Jede der drei Gedichtsammlungen Yves Bonnefoys seit seinem Erstling von 1953 zeichnet in Stufen und Kehren eine Wegstrecke der inneren Biographie dieses Dichters nach; nicht einsinnig, sondern mehrstimmig, als einen Prozeß der Verdüsterung und Erhellung; als die durchgehaltene Meditation einer Einweihung in das Jetzt und Hier unseres zeitlichen Daseins. Das Formprinzip der früheren zyklischen Anordnung noch überbietend, gliedert Im Trug der Schwelle, dieses jüngste Gedichtwerk, als ein einziges großes Ganzes sich auf über hundert Seiten in sieben Sätze oder Gesänge; symphonisch, doch in Stücken, Blöcken, in Schüben prozedierend. Entscheidend, wie immer schon bei Bonnefoy, war ein Vorgegebenes, eine Geburt, eine Epiphanie. Hier hat, wie in keiner anderen Dichtung seit langem, das Kind eine Stelle; als im Verfall die neue Gestalt, ein Zeichen der Hoffnung; ein Zeichen, das, bewegt, nun Ort, Stätte, Richtung ist. Dabei geht es, zugleich, um die Welt, genauer: um diese Erde, um unser Bleiben und Vergehen auf ihr.
Dieses Dichtwerk Bonnefoys markiert ein Datum, wie T. S. Eliots Das wüste Land, Rilkes Duineser Elegien oder die See-Marken von Saint-John Perse. Als müßte immer wieder einer sich ganz zusammennehmen, um die Epoche gültig zu resümieren. Bonnefoy ist ein Liebender; Liebe ist Gespräch, ein gemeinsames Tun; dadurch gelingt ein weiterer Schritt ins Offene, Formgewinnung aus unentwegter Infragestellung von Form, Rettung durch das Ungerettete.” (Text: Klett-Cotta)

3. Berichte im Traum. [Dichterische Prosa]. Aus dem Französischen von Friedhelm Kemp. 144 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag [Heinz Edelmann]. Klett-Cotta, Stuttgart 1990. 18,00 Euro

„Die hier vereinigten längeren und kürzeren Prosastücke Yves Bonnefoys sind in den Jahren 1977 bis 1988 entstanden. Berichte im Traum, erzählte Träume, Parabeln wie im Traum erzählt, Aphoristisches auch, essayistische Betrachtungen, die ein gemeinsames Thema umkreisen: die Faszination durch das Wort, die Schrift, durch Striche, Linien, Farben, die uns, in der Dichtung, in der Malerei, zu einem Mehr an Wahrheit, an ‚présence’ verhelfen, und die uns doch zugleich, als Bild, als Zeichen und Begriff, einfangen, verraten, uns der Welt und dem Nächsten entfremden können. Wie anerkennt man Grenzen, die zu überschreiten ein immer neuer Traum uns lockt? Wie behält man dennoch im Sinn, das etwas über sie hinausliegt? Das Unentzifferbare, das, was jedes Zeichen übersteigt. Ohne das Poesie und die an sie geknüpfte Hoffnung nur ein müßiges Spiel wären.”
(Text: Klett-Cotta)

4. Was noch im Dunkel blieb / Beginn und Ende des Schnees // Ce qui fut sans lumière / Début et fin de la neige. Gedichte. Französisch und Deutsch. Aus dem Französischen von Friedhelm Kemp. Mit einem Interview von John Naughton. 240 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag [Heinz Edelmann].
Klett-Cotta, Stuttgart 1994. 22,95 Euro

„‚Bonnefoy zählt zu den großen Autoren der französischen Nachkriegslyrik, von denen wir hierzulande immer noch zuwenig wissen’ (Chr. Weiss/Süddeutsche Zeitung). Der vorliegende Band vereinigt die beiden jüngsten Gedichtwerke Yves Bonnefoys aus den Jahren 1987 und 1991. Beide sind als Suiten, als aufeinander bezogene Gedichtfolgen angelegt. Was noch im Dunkel blieb ist gleichsam eine Antwort auf die große Dichtung Im Trug der Schwelle. Sein Schauplatz ist das abgelegene Valsaintes in der steinigen Hochprovence der Basses-Alpen, sein Thema die Reflexion über Wege, die aus der Welt verschwinden.
Dem Schnee, dem Winter in New England ist der zweite Teil gewidmet. Er versucht, nach Bonnefoys eigenen Worten, eine poetische Lehre zu formulieren, ‚wie man den Gütern entsagt, wenn man dessen fähig ist, ja wie man sich freimacht von jenen Zeichen, die noch Besitz sind, wenn man an sie glaubt, weil sie uns in Sicherheit wiegen.’
Biographische Auskunft und wichtige Hinweise zur Dichtung Bonnefoys gibt ein am Schluß des Bandes abgedrucktes Interview, das der englische Journalist John Naughton mit dem Dichter führte.” (Text: Klett-Cotta)

5. Das Unwahrscheinliche oder die Kunst. Aus dem Französischen von Patricia Oster. Mit einem Vorwort von Karlheinz Stierle. 258 Seiten, Französische Broschur. 21 x 13 cm. Wilhelm Fink Verlag, München 1994. 38,90 Euro [= Reihe Bild und Text]

6. Wandernde Wege. Aus dem Französischen von Friedhelm Kemp. 152 Seiten, Klappenbroschur.
20 x 12 cm. Hanser Verlag, München 1997. 14,90 Euro [= Edition Akzente]

„Yves Bonnefoy, einer der bedeutendsten zeitgenössischen Dichter Frankreichs, reflektiert in den Prosastücken, die dieser Band vereinigt, über die Alchemie der Farbe, über die Malerei bei Leonardo, über die Unzulänglichkeit der Mimesis und die Poesie des Unsichtbaren. Und immer wieder gewinnt er aus dem Vergleich mit den darstellenden Künsten Einsichten in die Aufgabe der Poesie: die stummen Dinge zum Sprechen zu bringen.” (Text: Hanser Verlag)

7. Die rote Wolke. Essays zur Poetik. Aus dem Französischen von Michael von Killisch-Horn.
312 Seiten, Französische Broschur. 21 x 13,5 cm. Wilhelm Fink Verlag, München 1998. 40,90 Euro
[= Reihe Bild und Text]

8. L’encore aveugle / Der noch Blinde. Gedichte. Französisch und Deutsch. 32 Seiten, Großformat, Leinen. Mit 6 farbigen Abbildungen von K. O. Götz. Aus dem Französischen von Maryse Staiber.
32 Seiten. Rimbaud Verlag, Aachen 1999. 51,00 Euro [200 numerierte und signierte Exemplare]

9. Die gebogenen Planken / Les Planches courbes. Gedichte. Französisch und Deutsch. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Friedhelm Kemp. 232 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag [Heinz Edelmann]. 22 x 15 cm. Klett-Cotta, Stuttgart 2004. 22,00 Euro

„‚Poesie ist die Erfahrung dessen, was die Wörter überschreitet’, hat Yves Bonnefoy einmal in einer berühmt gewordenen Wendung gesagt. Damit ist das Flüchtige, schwer Faßbare umrissen, das dieser Lyrik eignet – denn damit wird die Lyrik in ein unauflösliches Spannungsverhältnis zu sich selbst gebracht. Bonnefoys Lyrik wurde eine Schule des Sehens genannt, konzentriert auf die einfachen Dinge, die kostbare Momente reiner Präsenz hervorbringt.
In diesem späten und bisher letzten Gedichtband treten liedhafte Strophen, Meditationen und rhapsodische Erörterungen zu Zyklen zusammen, in denen sich der Dichter erinnert, in denen er wiederaufgreift und so mit der eigenen Dichtung in einen Dialog tritt.” (Text: Klett-Cotta)

10. Beschriebener Stein und andere Gedichte. Französisch und Deutsch. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort und Erläuterungen von Friedhelm Kemp. 360 Seiten, Klappenbroschur [Klaus Detjen / Peter-Andreas Hassiepen]. 20 x 12 cm. Hanser Verlag, München 2004. 21,50 Euro [= Edition Akzente]
[Enthält die ersten drei Gedichtbände: Du mouvement et de l’immobilité de Douve (1953), Hier régnant désert (1958) und Pierre écrite (1965).]

„Yves Bonnefoy gilt heute als einer der bedeutendsten Dichter französischer Sprache. Sein weitgespanntes Werk umfaßt auch Prosagedichte, erzählende Texte und Übersetzungen;
Kern seines Schaffens sind jedoch immer seine Gedichte. Bonnefoy ist dank Friedhelm Kemps Übertragungen auch hierzulande bekannt geworden, aber erst jetzt erscheinen zum ersten Mal in vollständiger Übersetzung auch die frühen Zyklen, mit denen Bonnefoys Name auf einen Schlag ein Begriff wurde: Douve in Bewegung und regungslos, Herrschaft des Gestern: Wüste und Beschriebener Stein. Schon hier zeigt sich das bezeichnende Doppelgesicht Bonnefoys: der bildhafte, fast erzählende Hintergrund, die Wiederkehr immer gleicher Zeichen und Symbole – der Beginn eines großen, umfassenden Lebenswerks.” (Text: Hanser Verlag)

11. Streichend schreiben / Raturer outre. Gedichte. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort [„Die Freiheit der Form. Über Yves Bonnefoys Sonette”] von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz.
80 Seiten, Französische Broschur [Friedrich Pfäfflin]. 24 x 15,5 cm. Stiftung Lyrik Kabinett, München 2012. 18,00 Euro [= Lyrik Kabinett, Bd. 14]

„In dem umfangreichen poetischen Werk von Yves Bonnefoy nimmt Streichend schreiben eine bemerkenswerte Sonderstellung ein: Nie zuvor hat Bonnefoy einen Gedichtzyklus geschrieben, der ausschließlich Gedichte in einer einzigen strengen Form enthält: achtundzwanzig Sonette in ihrer klassischen, romanischen Gestalt, vierzehn Verse, verteilt auf zwei Quartette und zwei Terzette. Und zugleich gestaltet er hier Bilder, Themen und Motive, die in großer Kontinuität anknüpfen an die eines ganzen Lebenswerks: Zeit und Erinnerung, Kindheit und Alter, Sprache und Traum, Buch und Bild. Die lebenslangen Motive werden jedoch andere in dieser anderen Konstellation, und vor diesem Hintergrund muss man Streichend schreiben trotz seiner Kürze als einen der gewichtigsten Gedichtbände von Yves Bonnefoy ansehen, als genuines Spätwerk, das von einem sowohl zeitlich als auch ästhetisch vorgeschobenen Posten aus ein ganzes Lebenswerk noch einmal in Bewegung setzt, in neuem Licht erscheinen lässt. Die formale Wahl stellt alle Themen dieses Werks noch einmal in Frage, schreibt sie neu, konzentriert sie und dringt durch diese Konzentration zu unbekannten Dimensionen des Bekannten vor und damit auch zu einer offenen Zukunft des Vergangenen.” (Text: Stiftung Lyrik Kabinett)

12. Giacometti. Aus dem Französischen von Hubertus von Gemmingen. 576 Seiten mit 584 Abbildungen, gebunden mit Schutzumschlag. 25,5 x 20 cm. Benteli Verlag, Sulgen 2012. 46,00 Euro

„Alberto Giacometti (1901–1966) ist einer der eigenwilligsten und bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Der bekannte französische Dichter und Essayist Yves Bonnefoy beschäftigte sich intensiv mit dem Werk des Schweizer Künstlers und seiner Person. Aus der leidenschaftlichen Auseinandersetzung entstand diese Monographie, die nun in einer Neuauflage vorliegt. Bonnefoy befasst sich ausführlich mit den verschiedenen Aspekten von Giacomettis Schaffen: mit der Plastik, mit der Malerei, mit den Lithographien und mit der Zeichenkunst. Indem er ein Hauptaugenmerk auf Giacomettis Schriftzeugnisse legt, erkundet der Autor auch dessen Gedankenwelt. Mit dieser feinfühligen und persönlichen Annäherung erschließt sich uns das faszinierende Œuvre eines außergewöhnlichen Künstlers.” (Text: Benteli Verlag)

13. Die lange Ankerkette. [Gedichte und dichterische Prosa]. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort [„Zum Spätwerk von Yves Bonnefoy”] von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz.
136 Seiten, Klappenbroschur [Peter-Andreas Hassiepen]. 20 x 12 cm. Hanser Verlag, München 2014.
16,90 Euro [= Edition Akzente]

„Seit mehr als fünfzig Jahren gehört Yves Bonnefoys Werk zu den anspruchsvollsten, am stärksten diskutierten der Gegenwart, und heute mehr denn je. Bonnefoys neues Buch nimmt in Prosastücken und Gedichten lebenslange Motive von neuem auf, konzentrierter, betonter, aber auch spielerischer: die Sprache, das Namengeben, das Benennen einerseits, zum anderen das Motiv der Kindheit, des Bildes und des Traums. Im Mittelpunkt stehen, wie so häufig bei Bonnefoy, die Dichtung, in Gestalt von Baudelaire, Verlaine, Mallarmé; die Architektur, verkörpert durch Leon Battista Alberti; die Malerei, hier in drei Gemälden Poussins und in der berühmten Verspottung der Ceres von Adam Elsheimer, eines der bevorzugten Bilder des Dichters.” (Text: Hanser Verlag)

14. Der rote Schal. Deutsch von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. 224 Seiten, Klappenbroschur [Peter-Andreas Hassiepen]. 20 x 12 cm. Hanser Verlag, München 2018. 24,00 Euro [= Edition Akzente]

„Im Sommer 2015 stößt Yves Bonnefoy in seinen Papieren auf sein unvollendetes Gedicht-Manuskript ‚Der rote Schal’, und er beschließt, es zu vernichten. Doch nun geschieht das vollkommen Unerwartete. Ein halbes Jahrhundert nach der Niederschrift entdeckt er die verschüttete Erinnerung, um die es hier wirklich geht: um die ländlichen Orte seiner Kindheit, um Vater und Mutter, um den Roten Sand, den Abenteuerroman aus einer geheimnisvollen Wüste, und endlich um die Entstehung seiner eigenen Sprache aus der Sprache der Eltern.
Yves Bonnefoy unternimmt ein unerhörtes Abenteuer: Nicht für die anderen, für sich selber muss er herausfinden, was ihn tatsächlich angetrieben hat sein ganzes langes Leben lang. Und daher kommt die Dringlichkeit im letzten Buch des über Neunzigjährigen: ‚Jetzt ist es Zeit, höchste Zeit, dass ich mir die wirklichen Fragen stelle.’” (Text: Hanser Verlag)

Yves Bonnefoy

Schön zu lesen Yves Bonnefoys zweiter Gedichtband, Hier régnant désert (Herrschaft des Gestern: Wüste, 1958), der mit dem ersten, 1953 publizierten, und dem dritten, der 1965 erschien, in dem zweisprachigen Band Beschriebener Stein und andere Gedichte zusammengefasst ist (Hanser Verlag, München 2004).
Friedhelm Kemp hatte seine Übersetzung von Hier régnant désert bereits 1961 vorgelegt;
sie wurde 1969 wiederaufgelegt und dann erst wieder vor nunmehr auch schon wieder zehn Jahren.
Kemp ist in dem Sinne kein ambitionierter Übersetzer, dass er aus den Bonnefoy-Gedichten Kemp-Gedichte machen wollte; seine Übertragungen haben dienende, nicht nacheifernde, Funktion. Sie sind absolut genau, und sie profitieren von seiner umfassenden Kenntnis des Werks Bonnefoys und derer, die für diesen Vorbilder waren: Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud, Paul Verlaine, Stéphane Mallarmé … (Man kann Bonnefoy getrost in diese Reihe stellen.)

In Hier régnant désert – auf dem Titel der Originalausgabe HIER RÉGNANT / DÉSERT geschrieben, was Kemps Wahl erklärt – löst Bonnefoy ein, was er als Motto seinem Debüt vorangestellt hat:
Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. – Hegel”
Es ist ein Buch der Nacht – Nacht, die vielleicht eine Verlassenheit ist, aber auch, und mehr noch, ein Trost: gelassene Schwere, die die Schärfe des Tages umlappt.

Zwei-drei Zitate:

„Et pourquoi disons-nous d’aussi vaines paroles, / Allant et comme si la nuit n’existait pas? / Mieux vaut marcher plus près de la ligne d’écume / Et nous aventurer au seuil d’un autre froid.”
„Und warum reden wir so eitle Worte / im Gehn und so, als gäb es keine Nacht? / Besser wärs, dem Schaumstreif nah zu wandern / und auf die Schwelle einer andern Kälte uns zu wagen.”

„Ainsi le soc déjà mordait la terre meuble / Et ton orgueil aima cette lumière neuve, / L’ivresse d’avoir peur sur la terre d’été.”
„So biß die Pflugschar schon in lockeres Erdreich, / und deinem Stolz gefiel dies neue Licht: / trunken vor Furcht zu sein auf der Erde des Sommers.”

Mit dem nüchternen Hoffnungsbild des „Vogel[s] in den Trümmern” endet Hier régnant désert:

„Der Vogel in den Trümmern trennt vom Tod sich, / er nistet im grauen Stein an der Sonne, / er ist dem Schmerz entrückt und dem Erinnern, / er kennt kein Morgen mehr im Ewigen.”