Ich belebe eine eingeschlafene Rubrik meines Blogs wieder, die Randnotizen. Die Idee: in Art eines fortlaufend geführten Schmierblatts einige Fragen, Beobachtungen und Gedanken aufzuschreiben, die in meinem Kopf herumgeistern, wenn ich lese. Das ist kein Problem, denn so wie ich Leute kennen, die sich nicht vom Fernseher beschallen lassen können, ohne in gleicher Frequenz zurückzuschallen, so kann ich manche Texte nicht lesen, ohne sie nicht mit eigenem oder aus Wörterbüchern, Lexika usw. zitiertem Text zu erweitern. Das müssen allerdings inspirierende oder schwierige Texte sein. Wenn der Autor alles schon selber sagt, ist es ja langweilig, da gehe ich lieber Kaffee trinken.

Da bietet sich nun aber Stéphane Mallarmé an, verschlossen wie eine Auster, den ich vor allem in einer in der Reihe insel taschenbuch erschienenen zweisprachigen Ausgabe lese, die vom Verlag von ursprünglich 7,00 Euro auf 2,99 Euro herabgesetzt wurde, wohl wegen Unverkäuflichkeit. Es ist aber ein gutes Buch, im Buchhandel noch ohne weiteres erhältlich … bis die Auflage – gedruckt 2007 – abverkauft ist oder der Verlag die Nerven verliert und den ganzen Bestand makuliert.
(Es gibt übrigens auch einen Band Sämtliche Dichtungen bei dtv, den ich aber schon allein wegen der schwulen Posing-Abbildung, die den Umschlag ziert, nicht haben möchte – und wenn doch, dann lasse ich mir das Buch neu einbinden, bildlos.)
Gut, jetzt also los mit dem Gekritzel. Beginne ich mit „Un Coup de Dés” („Ein Würfelwurf”), dem berühmten typographischen Gedicht, das Mallarmé am Ende seines Lebens geschrieben hat und das am Schluss des besagten Inselbuchs steht, erst auf Französisch (Seiten 89 bis 112), dann auf Deutsch (Seiten 113 bis 134).
Die Übersetzung ist von Carl Fischer, von dem man hier, bei Insel, nichts erfährt – da er sich aber des Mittelpunkts bedient, Exklusiv-Interpunktionszeichen Stefan Georges, vermute ich, dass er dessen Zirkel angehörte.
Das große Gedicht, dessen Verse laut Herausgeber Rüdiger Görner „wie die Spuren eines Würfelwurfs” über die Seiten kullern (viele Schrägen), umfasst auch zwei leere Seiten. Die erste folgt auf das Wort „folie”, von Fischer mit „wahn” wiedergegeben – auch die Kleinschreibung verweist auf George, nebenbei bemerkt -, man könnte auch „Verrücktheit” sagen. – Interessant scheint mir eine der Definitionen, die der Petit Robert nennt: „Caractère de ce qui échappe au contrôle de la raison” (was sich der Kontrolle durch den Verstand entzieht).
Die zweite erscheint kurz vor Schluss, und zwar nach dem (Teil-)Vers „avant de s’arrêter” („vor dem stillstand”), einer Infinitivkonstruktion, die eine unmittelbar vorangehende Folge von fünf Gerundien in ihrem Lauf anhält, sozusagen als sechste Seite des Würfels. Danach also die (zweite) leere, weiße Seite, wie eine Generalpause, wie ein eingefrorenes Nicht-Bild oder eine Schwarzblende (damals gab’s ja schon Kino), bevor der Vers wiederaufgenommen wird: „à quelque point dernier […]” („an einem letzten Punkt […]” – in meinen Worten; „quelque” kann „irgendein” oder „ein gewisser” heißen).
In der deutschen Übersetzung fehlt dieses letzte Vakat. Die drei Schluss-Seiten des französischen Textes werden in der deutschen Wiedergabe in eine einzige (!) Seite gepresst, was eine grobe Missachtung der Mallarméschen Anweisung bedeutet und seine Intentionen durchkreuzt. Auf die ‚französische‘ leere Seite habe ich also geschrieben: „in der Übersetzung ausgelassen”.