8 Grad. Bewölkt

Knüppeldick Wind. Der Vollmond freigeweht. Unten sammelt sich Holz.

Judith Rakers hört als Sprecherin der Tagesschau auf, Ende Januar.
Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl hören beim Tatort auf, 2025.

Eine Woche lang habe ich versucht, jemanden aus der Verwandtschaft zu erreichen: Die betreffende Person hat keinen Computer zu Hause, kommuniziert nicht über E-Mail, hat kein Smartphone, nimmt den Hörer nicht ab.
[Edit 27.1.2024: Heute kam ein Brief mit zwei Tips. Wunderbar! Also nichts wie hin zum Friedrich Krause-Ufer! Aber erst Dienstag, denn heute und morgen ist auch in Berlin Wochenende, und Montag ist mein Buchhandlungstag.]

The Last Quiet Place (2023) des Ingrid Laubrock Sextetts: sehr gute Musik, doch eher kein Jazz. Kein Problem natürlich. We are in it for the music, das Genre ist nebensächlich. Das erste Stück ist genau die Anticipation, die sein Titel anzeigt. Das nachfolgende Grammy Season (verlinkt → hier) mit seiner von der Rockmusik geborgten Energie wirkt besonders effektvoll. Schnelle Unisono-Passagen … dafür braucht man gutes Personal. Gegen Ende des Stücks wird die Musik stiller und bereitet das gelassene, sanft bewegte und mild leuchtende The Last Quiet Place vor. Delusions führt dann abermals in nervöses Fahrwasser, doch nach der Hälfte beruhigt sich die Musik und geht in eine dynamisch niedrigschwellige jam session über – bis das Thema des Anfangs wieder aufgenommen wird. Tolles Schlagzeugspiel von Tom Rainey!
Auf die Länge des Albums kommt dem gepflegt kammermusikalischen Gestus – an Bartók geschult, würde ich mutmaßen: Afterglow klingt zu Anfang fast wie ein nachgereichter Satz zu dessen sechstem Streichquartett – ein bedeutender Platz zu, doch die Band wirbelt immer genug Frische hinein, so dass sich die Waage nie zu sehr auf die E-Seite neigt.
Am besten hört man The Last Quiet Place als ein zusammenhängendes Werk.

Harte Avantgarde-Kost, vom gleichen Label, ist Smoke Gets In Your Eyes (2022) von Cory Smythe.
Die Musik ist gut, sehr gut, aber dermaßen spröde und außerhalb des Gewöhnlichen, dass man es sich gut überlegen wird, ob man sich auf dies Nagelbrett legen möchte.
Auf vier Ensemblestücke (Besetzung siehe unten) – Liquiform 1, Combustion 1, Liquiform 2, Combustion 2 – folgen für Klavier solo Smoke Gets In Your Eyes 1-7.
Der jazzigste/poppigste Track des Albums ist Combustion 2, mit richtigem Gesang und richtigen Instrumental-Soli – aber auch schräg.

Sofia Jernberg voice
Joshua Modney violin
Tomeka Reid cello
Peter Evans trumpet
Zekkereya El-magharbel trombone
Ryan Muncy alto saxophone
Ingrid Laubrock tenor saxophone
David Leon alto and baritone saxophones, clarinet
Jessie Cox drums and percussion
Stephan Crump acoustic bass
Cory Smythe piano

Spätwinter

Bevor wir gestern (vorgestern) mit knapp zwanzig Leuten bei eisigen Temperaturen um den Schlachtensee spazierten – eine Kollegin, die nach sieben Jahren das Unternehmen verließ, hatte sich dies zum Abschied gewünscht: Wenn das Unternehmen zehn oder elf Jahre alt ist, dann sind sieben Jahre eine lange Zeit, und man darf sich was wünschen, und der Wunsch wird erfüllt – hatte ich Erdnüsse und Rosinen ins Vogelhäuschen gestreut und mich gefragt, ob Vögel sich untereinander helfen. Es ist doch denkbar, dass ein Vogel A einem Vogel B, von dem er weiß, dass der ein süßer Schnabel ist, zwitschert: He, du magst doch Rosinen! Da hinten! Geh mal gucken! (Und Abflug.)
Ein Kollege erzählte von einer Krähe, die ihm ständig die Balkonpflanzen zerrupfte. Eines Tages legte sie ihm (zur Begütigung, oder im Tausch) eine Wurst in den Blumenkasten.

Von links nach rechts: Tom Rainey – drums, Tomeka Reid – cello, Michael Formanek – double bass, Mazz Swift – violin, Ingrid Laubrock – tenor and soprano saxophones, Brandon Seabrook – guitar

Das Format und die Ausstattung können dazu verleiten, in Ann Cottens Die Anleitungen der Vorfahren eine Fortsetzung von Verbannt! zu vermuten. Ist aber falsch. Das neue Buch, das keine Gattungsbezeichnung trägt, bezieht sich zu großen Teilen auf einen Studienaufenthalt A.C.s auf Hawaii und enthält mindestens zur Hälfte Prosa. Sie liest sich gut, ist aber auch voller Widerhaken, weil die Autorin auf ihre eigenwillige, aus ihren früheren Büchern bekannte, Weise Pronomen und Substantive gendert, also beispielsweise nicht „sie” oder „er” schreibt, sondern „sier” (eine der leichteren Übungen), nicht „ihr oder „sein”, sondern „seihrn”, und so weiter, was im Vortrag erstaunlicherweise nicht holzig im Rachen steckt wie Spargel, sondern recht geschmeidig klingt. Dennoch sehe ich dies Verfahren skeptisch, weil dem Lesefluss laufend ein Bein gestellt wird und die Leserin mit der Nase auf die gegenderten Worte fällt, und nicht, zumindest nicht ungestört, die ganze Aufmerksamkeit den Inhalten widmen kann, die doch diese Aufmerksamkeit verdient haben und auch erfordern (nicht von Pappe!).
Gedankliche Brillanz und meschuggeness sind in Die Anleitungen der Vorfahren beide zu finden; Belesenheit, Humor, Wissbegierde, Nachdenken über koloniale Schuld, über die Größe der Natur und die Kleinheit des Menschen; zurückweichende Scheu und Hineinstürzen – eine aparte Mischung, nicht langweilig, aber schwierig. Man muss es mögen. Ich mag’s. (Aber ich hab jetzt auch nur übers Gendern geschrieben.)