Perlen der Popmusik

Langsam erwache ich aus dem Winterschlaf und schmiede neue Pläne. Beispielsweise hatte ich just heute die Idee, mir, sozusagen als vorgezogenes Geburtstagsgeschenk (ist erst im April, aber so lange warten?), eine Jahreskarte der Staatlichen Museen zu Berlin zuzulegen (→ Museumsgebäude) und mehr in Ausstellungen zu gehen. – Ist es zum Beispiel möglich, dass ich noch nie im Jüdischen Museum war? Ja, ist.
Dann wird es aber Zeit!, sage ich zu mir selbst, zumal gerade Paris Magnétique 1905-1940 läuft.
Es ist nicht so, dass mich Kunst nicht interessieren würde, ich denke nur oft nicht daran, und noch weniger an Kino, ganz zu schweigen von anderen Künsten, die ich völlig ausblende (Architektur, Tanz, Oper). Wahrscheinlich eine Zeitfrage, denn Literatur und Musik sind jedes für sich schon weit ausgreifende Felder.

Ein anderer Plan ist, mich verstärkt meiner Musikaliensammlung zu widmen, methodisch oder spontan, mal sehen. Eine grobe Richtung: von Debussy bis Schönberg. Die Zweite Wiener Schule ist ganz gut repräsentiert, allerdings mit ein paar Lücken bei Schönberg (Quintett für Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott, 1923, Erwartung, 1909, Lieder usw.) und riesengroßen Lücken bei Berg, ts ts.
Im aktuellen Heft (176) der MusikTexte sagt der Komponist Nicolaus A. Huber:
„Schönberg war vielleicht radikaler, was das Abschaffen von Vergangenheit betrifft in Bezug auf den einzelnen Ton. Aber von der Technik her gesehen war Schönberg im Grunde weniger radikal, eher traditionell. Denn Kontrapunkt war für ihn Ein und Alles […]”
Warum, im Vergleich, Debussy (im Hinblick auf seine Technik) zukunftweisender ist, sagt er nicht so prägnant, doch das hat einen Text davor Reinhard Oehlschlägel erledigt, in dem Wiederabdruck eines 1971 erstmals erschienenen Beitrags mit dem Titel „Verselbständigung der klangfarblichen Dimension”. Die Überschrift sagt’s schon.
Oehlschlägel erwähnt auch, dass sich Debussy Analysemethoden entziehe, „den klassischen […] den seriellen und strukturalistischen.”

In der Einleitung zu seiner Debussy-Monographie (rororo bildmonographien, 1964, 30.-32. Tausend November 1988) zitiert Jean Barraqué einen gewissen Michel Fano:
„Gleich weit entfernt von Schönberg wie von Strawinsky, verfolgt er in seinen letzten Werken die Idee eines Klangphänomens, das sich ständig selbst erneuert; er weigert sich, seine schöpferische musikalische Materie einem Schema zu unterwerfen, das nicht durch sie bedingt ist, überträgt ihr die absolute Herrschaft über den schöpferischen Verlauf und läßt dadurch eine Welt entstehen, die, sich bewegend, ständig ihre Form verändert und eine gewisse Ähnlichkeit mit den neuesten Arbeiten serieller Komponisten aufweist.”
Wobei ich hier eher an Ligetis Klangwolken denken würde.

Die MusikTexte bringen außerdem einen gegenüber der Neuen Musik kritischen Artikel von Michael Rebhahn (… Es lebe die Neue Musik! Ein Versuch über die Chance), in dem dieser die konservativen Aspekte und Widersprüchlichkeiten der neuen Musik herausstreicht. Statt „einem Musikalischen jenseits eingeübter Settings nachzuspüren”, füge sie sich „weitgehend kritiklos in ein vollends erstarrtes Zeremoniell: Auftritt – Applaus – Spiel – Applaus – Abtritt” („Konkret sprechen wir hier von einer Codierung, die sich seit der 1725 in Paris initiierten Präsentationsform der Concerts Spirituels nicht nennenswert geändert hat”, setzt eine Fußnote nach.)
Das lässt sich so verstehen, dass die neue Musik im Grunde (konzeptuell) altbacken ist und eigentlich erst erfunden werden müsste. In der Tat schreibt Rebhahn spöttisch: „Entre nous: Neue Musik heißt nur so […]”, und bringt ihre Paradoxien wie folgt auf den Punkt:
„Neue Musik will im gewohnten Rahmen Gewohnheiten in Frage stellen, mit hochbejahrten Klangerzeugern neue Klänge hervorbringen, mit Codierungen und Restriktionen ästhetische Autonomie gewährleisten.”
Hui, hui.

Nun aber endlich zu den Perlen der Popmusik.

Stimmerman ist die Band von Eva Lawitts (Stimmerman war der Name ihrer Großmutter, wenn ich mich richtig erinnere). House Party ist aus ihrem für den 10. Mai angekündigten neuen Album Undertaking.

Es spielen (copy & paste, therefore in English):
Eva Lawitts – Acoustic Guitar, Bass, Vocals
Chris Krasnow – Guitar
Gannon Ferrell – Guitar
Micha Gilad – Synthesizer
Connor Parks – Drums

https://stimmerman.bandcamp.com/album/undertaking

A&W von Lana Del Rey kann man sich auch mal anhören, ganz gut! Der Song kam diese Woche heraus.
Ebenfalls ganz frisch die neue Platte von Caroline Polachek, Desire, I Want To Turn Into You, daraus das Stück Crude Drawing Of An Angel.

… und der Schluss des genannten Albums:

Edit: Oh, war das schon heute!?

Pudding kochen 3 l Milch

Ich dachte, es gäbe ein – rheinisches oder niederrheinisches – Wort poselen in der Bedeutung von „naschen”. Hab’s nicht gefunden, die Suchmaschinen bieten „porcelain” an. (Das O ein geschlossenes langes O. Nie gehört?)
Gut, ich hab auch andere Probleme, zum Beispiel die Frage, ob der Abwärtslauf am Beginn von The Clashs The Magnificent Seven ein Snakefinger-Zitat sein könnte, der in seinem Song Don’t Lie einen ebensolchen Lauf verwendet (0’45“, 1’16“, 2’19“, 2’50“). Sandinista! ist am 12. Dezember 1980 erschienen, Greener Postures kam im Oktober 1980 heraus.
Na ja, ich muss es nicht wissen, mir fiel die Parallele auf, das ist alles.
In Musikerkreisen erfolgt die Aufnahme des Neuen zuweilen im Handumdrehen. Wenn ich nicht irre, hat Jimi Hendrix All Along the Watchtower in einem Club gespielt, als Dylan’s Platte (John Wesley Harding) gerade einen Tag draußen war.

Am Wochenende komme ich hoffentlich mal wieder ein bisschen zum Lesen. Ich könnte beispielsweise die MusikTexte zur Hand nehmen, deren Februar-Heft eine ausführliche Würdigung des verstorbenen Komponisten Alvin Lucier enthält. Der Rest ist, fürchte ich, ebenfalls interessant. (Mara Genschels geflüsterte Laudatio auf die Donaueschinger Kulturtage ist abgedruckt, und Nicolaus A. Huber erzählt unter dem treffenden Titel „Ghost-Zuspielung”, wie der Geist des verstorbenen Karlheinz Stockhausen zu verschiedenen Malen noch um ihn webte (hätte Goethe gesagt).)

(Ich würde zu dieser späten Stunde wahrscheinlich gar nichts schreiben, wenn nicht die 76- oder 77-jährige Mutter meiner Mitbewohnerin zu Besuch wäre und im angrenzenden Wohnzimmer herumwuseln würde, wodurch ich in gewisser Weise in meinen Raum einsperrt bin. Diese schreckliche Nähe ebenso wie die gedämpft zu mir durchdringenden Geräusche – ich trage Kopfhörer – erdulde ich wie ein Märtyrer, sie wird ja auch wieder abreisen, vielleicht morgen.
In der Firma kursierte der Witz, dass die Skandinavier ganz froh wären, dass die 2 Meter-Abstandsregel abgeschafft wäre und sie endlich wieder zu ihrer angestammten 5 Meter-Distanz zurückkehren dürften. Ich konnte mich völlig damit identifizieren.)

Deutschlandfunk Kultur hatte heute bereits einen Sommerhit im Programm:

Mit Begeisterung höre ich Squarepusher mit Hard Normal Daddy – hier hat AllMusic einmal die seltene Höchstwertung vergeben. Übrigens kenne ich Squarepusher über Klaus Fiehe und seine Radiosendungen bei 1 Live. Klaus Fiehe war und ist ein großer Squarepusher-Fan. Seinen Tip greife ich aber erst jetzt auf, mehr als zehn Jahre später.

Heute hatte ich wieder Konversationstraining (eine halbe Stunde). Gegenstand war unter anderem eine E-Mail von mir, die meine Lehrerin Korrektur gelesen hatte. Sie befand, meine Ausdrucksweise ginge manchmal in Richtung Madame de Sévigné (1626-1696). Sie hat vor, mich sprachlich meiner Zeit näherzubringen 🙂
Außerdem sollte ich einige Reportagephotographien von Robert Doisneau beschreiben, in denen es, neben anderem, um Wahrsagerinnen, spiritistische Sitzungen und den Zwiebelorden ging.
la pendule = Pendel (Uhr)
le pendule = Pendel (Spiritismus)
Verwechselt habe ich d’ailleurs (übrigens) und par ailleurs (außerdem).
Es blieb noch Zeit, etwas über das (Ost-) Berliner Ampelmännchen und den Bären von Renée Sintenis zu sagen. Le trophée. (Wieder ein Fehler!)

Dauernebel

Zeitschriften sind geheftete oder gelumbeckte Periodika, die man am Kiosk, im Bahnhof, in der Tanke, wenn man schon kein Auto fährt, oder beim Rewe kauft, oder vielleicht sogar abonniert hat, und die dann meist ungelesen herumliegen oder aus einem Regalfach herauslappen. Das ist ja auch nicht weiter schlimm.

Betrunkene mit verrutschen Masken und quarkfetten Stimmen wankten mir am U-Bahnhof Spichernstraße entgegen, wo ich in die 3 stieg, die mich getreulich Oskar-Helene-Heim absetzte. Dort in den 115er, Neuruppiner. Feierabend.
Wenn ich wach genug bin, lese ich im Novemberheft der MusikTexte, das einen Schwerpunkt zum Thema Akustische Ökologie hat (von der ich vorher noch nie gehört hatte, aber ich kenne mich auch nicht aus). In seinem frei zugänglichen Beitrag Der wohltemperierte Regenwurm. Zur Naturbeziehung digitaler Musik erklärt Bernhard König mit Bezug auf den Schweizer Klangforscher Markus Maeder, was das zum Beispiel heißen kann: „den Trockenstress verdurstender Bäume oder die Fruchtbarkeit von Böden hörbar [machen]”.

Freude hatte ich auch an dem – Adornos Das Altern der Neuen Musik (1954) (das höre ich mir jetzt aber nicht an …) aufgreifenden – Essay „Vom Neuern der alten Musik” von Christoph Haffter, der auf anregende Weise das Phänomen der breiten Präsenz der Musik vergangener Zeiten im Musikleben der Gegenwart beleuchtet. Der Autor wendet die Frage: Ist das noch Musik?, mit der neue Musik häufig konfrontiert ist, gegen die alte Musik, denn:
„Kunsterfahrung ist das Gegenteil von Bescheidwissen.”
Wenn man aber nach einem Takt schon weiß, wie es weitergeht, dann ist wohl eher Trivialität als Kunst im Spiel.
Ist alte Musik also tot? – Nicht unbedingt, beruhigt der Verfasser, und rekapituliert einige neuere Klassikinterpretationen (Vivaldi, Tschaikowsky), die etwas vom Schock (Choc, hätte Adorno snobistisch geschrieben) erfahrbar machen, die die betreffenden Kompositionen einmal ausgelöst haben müssen. Allerdings gibt er zu bedenken, dass die Deutung der Alten als Zeitgenossen (aus) der Vergangenheit möglicherweise nicht statthaft ist.
„Eine echte Erneuerung der alten Musik müsste die Musik nicht neu, sondern alt erscheinen lassen.”

Das oben verlinkte Stück von Adam O’Ferrill und seines Stranger Days genannten Quartetts hatte die New York Times neulich vorgestellt. Unter den versammelten fünfzehn Tracks aus Pop und Jazz von Taylor Swift bis Moor Mother gefiel mir Ducks am besten.
Und weil ich in DJ-Laune bin, hier noch zwei Videos aus Great Britain, einmal die aberwitzig fingerflinke Band von Squarepusher, Shobaleader One, mit einem längeren Live-Set, und Dua Lipa (wie kann man hier Herzchen einfügen?) mit – na, ihr seht’s ja.