Ich treffe zufällig frühere Freundinnen meines Bruders, erst Isabella, im Literarischen Colloquium, jetzt, gestern, auf dem Teltower Damm, Lioba. Sie winkte mir aus dem Auto zu, fuhr an den Straßenrand, fragte im Aussteigen: „Bist du nicht Meinolf?” Als wir uns kannten, mag sie 19 oder 20 gewesen sein, und ich vielleicht elf oder zwölf. So war ich überrascht, von ihr aus einem fahrenden Auto heraus identifiziert worden zu sein, und meinen Namen wusste sie also auch noch – wie ich allerdings auch den ihren, auch ihren Nachnamen hatte ich gleich parat und (warum auch immer) ihren damaligen Wohnort: Baal.
Ob ich damals schon von Brecht gehört hatte? War ich vielleicht doch älter? Später fiel mir ein, dass wir uns einmal noch gesehen hatten, in unserer alten Schule, aber das wird auch schon 25 Jahre her sein.
Die Begegnung hat mich gefreut, aber die Freude vermischt mit Traurigkeit (allerdings bin ich ohnehin eher ein trauriger Mensch). Wir verabschiedeten uns mit der losen Verabredung, uns auf einen Kaffee zu treffen. Ich werde sie anrufen.
Jetzt wieder, leicht gekürzt, ein Schnipsel von meiner alten Buchhandlungsseite (von 2010).
Es war als Buchhändler (und es ist immer noch so) nicht unbedingt mein Interesse, etwas Eigenes über ein Buch zu schreiben. Ich fand eher wichtig, einzelne Bücher, die mir lohnenswert erschienen, zu isolieren, auf ihre Existenz und Erwerbbarkeit hinzuweisen. Ein bissiges Wort von Borges, das ich hier sinngemäß aus dem Gedächtnis zitiere, gab mir die Richtung vor:
„Der Aufbau einer Bibliothek beginnt mit dem Weglassen der Bücher von Jane Austen.”
Natürlich geht es mir nicht darum, Jane Austen eins auszuwischen, die all meine Sympathie und Wertschätzung hat, sondern das Prinzip zählt: nicht alle Bücher beachten (wollen / müssen). So gesehen ist dies kein Literaturblog – oder es ist gerade darum ein Literaturblog.
Ein Buch zum Herbst, vielleicht. Ich bin zufällig darauf gestoßen, beim Stöbern im Internet. Helmut Salzinger, geboren 1935 in Essen, gestorben 1993 in Odisheim.
Mir gefällt dies Gedicht, das auf der Website des Engstler Verlags nachzulesen ist:
MOLLBERG (1)
Amsel steht
starr im Wald
starrt mich an
bewegungslos
oder nein, wie
ein Stück Holz
beruhigt hinterm Fenster
lehn ich mich zurück, da
flatterts hoch, kreischt
auf und davon
[Nicht im angezeigten Buch enthalten, sondern nachzulesen in Die beiden Hände des Sperbers.]
- Helmut Salzinger, Moor. Ein Versuch nichts zu erzählen. Aus dem Nachlass herausgegeben von Mo Salzinger. 132 Seiten. Head Farm, Odisheim 1996. 10,00 Euro (Vertrieb durch den Verlag Peter Engstler, Ostheim/Rhön.)
„So birgt Moor eine vollkommen unprätentiöse autobiografische Prosa. Ein Mann durchstreift mit seiner Hündin menschenferne Moorgebiete, findet einmal Beeren oder stößt auf ein Schlangenskelett, das sich die Erde schon wieder fast anverwandelt hat, ein andermal stellt sich ein Vogelflug ein oder ein jäher Wolkenbruch … Salzinger hat sich in seinem ökologischen Ansatz von jeder Rührseligkeit, aber auch von jedem Machbarkeitswahn freigeschrieben. Er eröffnet den Blick auf eine Natur, in der der Mensch nicht mehr im Zentrum steht, allenfalls noch geduldet wird als etwas Randständiges, Vorübergängliches.” – Neue Zürcher Zeitung