Playlist zur Wahl, und Street Art

Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, so würde ich noch heute mit einer Schrottpresse durch die Straßen fahren und alle SUVs zusammenfalten.
Schrott ist ein niederrheinisches Wort, siehe Wikipedia.
Ich denke an Césars hydraulisch zerquetschte Autos. Er hat das schon 1960 gemacht. – Bei dieser Gelegenheit auch Gruß an Wolf Vostell, der anlässlich seiner Skulptur Ruhender Verkehr (1969) erklärt: „Das Auto in Zement einzufrieren ist eine Möglichkeit, mit dem Auto umzugehen […].”

Vostells Berliner Arbeit Zwei Beton-Cadillacs in Form der Nackten Maja von 1987 dagegen leider weniger überzeugend.

„Mehr als eineinhalb Millionen unerforschte Virenarten leben weltweit in Wildtieren und wenn es ganz schlecht kommt, könnten 850.000 davon auf Haustiere oder Menschen überspringen”, referiert in einem Kommentar zum Bericht des Weltdiversitätsrats die Wirtschaftsredakteurin des Deutschlandfunks Jule Reimer, nachzulesen hier. Just so you know. Und jetzt wähle: Noch weitere hundert Jahre Straßen und Flugverkehr und Intensiv-Landwirtschaft, oder doch mal wieder Wald und Wiesen, nicht bis ins letzte ausgebeutete Böden?
Die politisch Verantwortlichen, die ihre Weiterbeschäftigung in der Wirtschaft nicht gefährden wollen, wenn ihre politische Laufbahn einmal zu Ende geht, wird der Warnruf selbstverständlich nicht erreichen, und, tut mir leid, solange sie sich weigern, verantwortlich zu handeln, muss ich jenen Störenfrieden Recht geben, die sich von Autobahnbrücken abseilen, Wälder besetzen, Kunstblut vergießen und mit Sitzblockaden versuchen, die um neun Jahre verspätete Eröffnung des Flughafens Berlin-Brandenburg weiter zu verzögern (was ihnen natürlich nicht gelungen ist).
Warum hat es eigentlich so lange mit dem BER gedauert?
In einem Bericht des RBB wurde erwähnt, dass die Arbeiter jahrelang nach Stunden bezahlt wurden.

Zur Beruhigung der Nerven anlässlich der Wahlen in den USA hier eine kleine kommentierte Musikauswahl, die nicht unbedingt themenbezogen ist, außer dass die meisten Stücke von US-amerikanischen Künstlerinnen und Künstlern stammen. Ausnahmen sind Snakefinger (England) und Yelle (Frankreich). Die Reihenfolge des Hörens – wer den Wunsch hätte, alle Stücke zu hören – ist frei, aber Thelonious Monks Hymne sollte als erstes gespielt werden, um den dem Anlass angemessenen feierlichen Ton zu setzen.
Ich habe die Stücke so ausgewählt, dass (hoffentlich) ein positiver Vibe überwiegt.

Teddy Charles Laura (1957)
Teddy Charles, einer der Leute, die in den 50er Jahren Improvisation und Komposition verbunden haben, eher zulasten der improvisierten Teile, was Charles Mingus genervt hat, der hier sehr schön Bass spielt. Die Platte, auf der das Stück enthalten ist, trägt den Titel Word from Bird.
Miles Davis & Milt Jackson Quintet Changes (1955)
Ein entspanntes Stück, mit einem feinen Klaviersolo am Schluss von Ray Bryant.
Bill Frisell Is It Sweet? (1992)
‚Amerikanische’ Musik, ziemlich clean (klinisch) gespielt und aufgenommen, aber doch schön und als Auslöser innerer Bilder sehr gelungen.
Dizzy Gillespie Something In Your Smile (1967)
Dizzy Gillespie als Sänger. Meine Lieblingszeile: „Something in you is everything that I never knew before …”
Angel Olsen California (2017)
Ich hätte auch ein anderes Stück aus Phases wählen können, z.B. „For You” oder „How Many Disasters”, aber hier kommt Angel Olsens ein bisschen meckernder, ein bisschen schluchzender Gesang gut zur Geltung, und es gibt auch einen kleinen Blueseinschlag, den ich sehr mag.
Annette Peacock Pony (1972)
Nicht Annette Peacock vergessen!
Nina Simone Baltimore (1978)
Noch ein Klassiker. In Baltimore sieht’s heute hoffentlich besser aus, aber weiß man’s?
Snakefinger Bring Back Reality (1982)
Wegen des Titels, klar, aber auch sonst sehr cool.
Solange Rise / Weary (2016)
Solange hab ich ganz gern. Das Überkandidelte und auch Übersexualisierte, das sonst in ihrer musikalischen Familie anzutreffen ist, fehlt ihr weitgehend. Sie scheint ein vergleichsweise nüchterner Patron zu sein, mit einem guten Geschmack. Aaliyah ist ja leider tot, aber Aaliyahs zurückhaltender Gesangsstil lebt hier weiter.
Sun Ra Retrospect (1984)
Sun Ra hat bei einem Fernsehauftritt dieses Stück (aus dem Album Nuclear War) mit dem – positiven, friedenschaffenden – Potential der Menschheit in Verbindung gebracht, also ein must nicht nur für diese Wahlnacht.
Lennie Tristano Lullaby Of The Leaves (1965)
Von Lennie Tristanos Klavierabend gibt’s noch mehr Material im Internet, jeden Clip guckt man sich gefesselt an. Herbst ist ja jetzt.
James Blood Ulmer Are You Glad To Be In America? (1980)
Im Kontext dieser Playlist eines der wildesten Stücke. Der mittlerweile 78-jährige Gitarrist hat denselben Song mindestens noch einmal aufgenommen, Link folgt.
Yelle Émancipense (2020)
Ganz ganz ganz ganz selten höre ich elektronische Tanzmusik, z.B. Yelle, hier aus ihrem jüngsten Werk.
Lester Young, Roy Eldrige and Harry Edison Please Don’t Talk About Me When I’m Gone (1958)
Lester Young spielt recht müde, es ging ihm auch nicht gut, aber ich will keine Note verpassen. Die anderen Musiker unendlich rücksichtsvoll, ziehen nach Pres‘ Solo langsam das Tempo an – rührend!

Et sall säch well wiese

Der Zusammenbau der Stereoanlage im letzten Jahr war eine gute Sache! Ich danke meinen Brüdern, die daran beteiligt waren. Wieder Schallplatten auflegen und CDs über Raumlautsprecher hören zu können, darauf hatte ich lange gewartet; meine neue Aufgabe als Garments Database Specialist hat’s ermöglicht. Obwohl, eigentlich war alles da, außer die Boxen: Canton Gle 420 Kompaktlautsprecher, wenn jemand ein technisches Interesse hat.
Nun kaufe ich Schallplatten, nicht mehr als eine pro Monat (oder keine), die ich, meist abends (aber nicht jeden Abend), anhöre.
Manchmal fehlt mir das Händchen. Superorganism war ein Reinfall – nicht, weil die Musik schlecht wäre: sie ist einfach nicht meine Sache. So eine Platte hört man nicht von Anfang bis Ende, und mich interessiert Musik, die ich durchhören kann. (Ich rede von Pop.)
In der „Platten vor Gericht”-Rubrik der Intro gingen die Ansichten denn auch auseinander, Punktevergabe zwischen 4 und 10.

Das könnte mir auch mal wer erklären, was da jetzt so fresh sein soll an überdrehten Samples und Slackerbeats auf brav gegossenem Indiepop-Estrich. (Eine enttäuschte Stimme)

Fehlgriffe sind unvermeidlich. Mein letzter und vorvorletzter Kauf stellen mich aber vollkommen zufrieden: Angel Olsen mit Phases, und Fever Ray mit ihrem selbstbetitelten Debüt. Dies war zwar schon 2009 herausgekommen, wurde jetzt aber neu veröffentlicht, zur Feier des Erscheinens ihres zweiten Albums wahrscheinlich. Es ist nächtliche Musik, bisschen gruftig. Ich möchte gar nicht viel dazu sagen, wer will, kann ein paar Kritiken lesen oder sich ein Stück auf YouTube angucken. „If I Had A Heart”, „When I Grow Up”, „Dry And Dusty”, „Triangle Walks” und „Keep The Streets Empty For Me” sind meine Favoriten. Hatte mal eine Datei von Fever Ray, die aber verloren ging; wollte ich doch mal wieder hören jetzt.
Fever Ray macht elektronische Musik, die von Angel Olsen ist maßvoll elektrisch, solo oder in kleiner Besetzung aufgenommen. „A Collection Of Rare Demos, B-Sides & Covers Recorded 2012-2017”, vermeldet die Plattenhülle. Ein Drittel der Stücke wurde zu Hause aufgenommen.

Angel Olsen ist nicht unbedingt originell, „Sweet Dreams” erinnert an PJ Harvey, „How Many Disasters” an The Moldy Peaches. Ich schätze aber die Innigkeit und Inständigkeit ihres Musikmachens; Olsen ist in jedem Moment als Persönlichkeit präsent.
In „California” ist ihre Stimmführung kühn, stellenweise wie meckernd oder schluchzend, und könnte als gewollt kritisiert werden, aber ich finde gut, wenn jemand künstlerisch was wagt, auch um den Preis des Scheiterns – wobei „California” mit seiner leicht bluesigen Dellung eines der besten Stücke des Albums und mitnichten ‚gescheitert‘ ist.
Wer noch nie was von Angel Olsen gehört hat – Phases bietet sich als Einstieg an.