Ein spukhaftes Animations-Video von Elenor Kopka zu Blackening Skies, dem spröden, doch spannungsreichen Schluss-Stück des Albums Visions of Your Other von Adam O’Farrill’s Stranger Days, das ich an diesem blitzblauen Tag, der möglicherweise eher nach Surfmusik verlangt (aber nicht im Hause Meinolf), nur darum poste, weil es bei meiner gestrigen Suche nach adam o’farrill angezeigt wurde. Albträume sind garantiert! Und wenn nicht, ist auch gut. Es gibt eine Chas Addams-Stimmung in den Bildern, verhängnisvoll, vielleicht auch ‚lustig‘. Eine Lustigkeit, die nichts Gutes vorhat. Roland Topor fällt mir noch ein. Aber was sollen die Vergleiche! Dies ist von Elenor Kopka, vermutlich die Arbeit von Wochen, oder Monaten.
Aus dem Begleittext zur CD (die aber, aus Gründen der Ressourcenschonung und der Müllvermeidung, als CD oder LP gar nicht existiert, sondern nur als Audio-Datei + Booklet, das dann doch): „And the closing track, „Blackening Skies“, was written from a climate change-induced anxiety, having experienced a scorching heatwave in NY within days of a summer monsoon in LA.” (Kevin Sun, s. hier)
Eine Tasse Kaffee, Möppkes (= Plätzchen) und ein Buch vor der Nase: das scheint mir ein Muster des Idealen.
Silvester war ich bei einer Freundin. Draußen eine Wärme, dass ich meinen ferrariroten Kapuzenpullover ausziehen musste, aber die Wohnung war kühl, da habe ich ihn wieder gebraucht. Zwei weitere Gäste waren geladen, kamen nicht. Wir besprachen Ideen für das Neue Jahr, Job wechseln (nicht ich), wegfahren, Fremdsprachen pflegen: für sie Hebräisch (und Englisch; Französisch gibt sie für verloren, vielleicht etwas voreilig?), für mich Französisch (Italienisch Englisch), Buch an den Start bringen (nicht ich), wichtige Leute treffen (nicht ich), eine Freundin finden (gleich im Januar, ich), das ließ sie unkommentiert, Privatheiten offenbar nicht in ihrem Fokus. „It is a truth universally acknowledged, that a single man in possession of a good fortune, must be in want of a wife.” (Jane Austen, Pride and Prejudice) Na, heiraten, lieber nicht.
Gegen Mitternacht rüber zur Verwandtschaft in der Oderberger, Feuerwerk, ohrenbetäubendes Geknalle, Kinder mit Wunderkerzen konzentriert andächtig, Champagner aus Plastikbechern, in Richtung Friedrich Ludwig (Turnvater) Jahn-Sportpark hatte die Feuerwehr ihre Löschfahrzeuge vor die Garage gefahren und das blaue Partylicht angeschaltet, ein aus Richtung Kastanienallee ansausender Rettungswagen mit der Durchsage: „Frohes Neues Jahr!”. Die aus den oberen Fenstern abgeschossenen Raketen knallten gegen die Fassade auf der anderen Straßenseite. Ich dachte an die Tiere. In Zehlendorf waren alle Taxis ausgeflogen, also lief ich zu Fuß nach Hause, vierzig Minuten. Viertel nach zwei kam ich an.
In Afghanistan wächst die Wüste. Im Jemen sterben Kinder an Unterernährung. Auf Madagaskar herrscht Hunger. In Europa ertrinken Flüchtlinge. Die Erde geht kaputt, mächtige Männer machen sich Gedanken darüber, wie Konflikte am Köcheln gehalten werden können, andere mächtige Männer freuen sich wie die Kinder, dass sie den Weltraum erobern können. Der Gründer von Spotify investiert in Militärtechnik (ich habe Spotify von meinem Telefon gelöscht). Die alte Bundesregierung genehmigt kurz vor ihrem Ausscheiden aus dem Amt Waffenexporte in Milliardenhöhe. Es ist vor diesem Hintergrund, dass wir uns ein Frohes Neues Jahr wünschen. Ich will nicht pessimistisch sein.
Freude bereiten mir Balzac (Gobseck), Snakefinger (Greener Postures – nicht grünere Weiden/pastures, sondern (Körper-)Haltungen) und Jacques Becker, dessen Film Goldhelm ich mir heute nachmittag angesehen habe: ein Genuss! Im übrigen bin ich zufrieden, dass wir eine neue Regierung haben.
Zum Schluss ein in gleichem Maße staubtrockenes und fesselndes Stück des Quartetts von Adam O’Farrill … womit es seine Bewandtnis hat: „Blackening Skies, was written from a climate change-induced anxiety, having experienced a scorching heatwave in NY within days of a summer monsoon in LA.” – Kevin Sun („Blackening Skies wurde aus einer durch den Klimawandel verursachten Angst heraus geschrieben, und der Erfahrung einer sengenden Hitzewelle in New York, nur Tage nach einem Sommermonsun in Los Angeles.”) Etwa eine Minute und zwanzig Sekunden tritt die Musik auf der Stelle, dann kommt mehr Bewegung hinein, sie bleibt aber faszinierend sparsam und spröde in ihren Mitteln. Etwa bei der Hälfte scheint die Musik zu verebben, ehe das Solo des Saxophonisten Xavier del Castillo beginnt. Visions of Your Other ist eine tolle Platte, und ich beglückwünsche alle, die sie hören können. (Das Label verschickt übrigens nur Booklets und – statt einer CD – einen Download-Code.) „Die Mischung aus Struktur, Feuer und Lakonie ist einzigartig. Herausragend”, schrieb ein Kritiker bei Bandcamp. Dem kann ich mich nur anschließen 😉
Zeitschriften sind geheftete oder gelumbeckte Periodika, die man am Kiosk, im Bahnhof, in der Tanke, wenn man schon kein Auto fährt, oder beim Rewe kauft, oder vielleicht sogar abonniert hat, und die dann meist ungelesen herumliegen oder aus einem Regalfach herauslappen. Das ist ja auch nicht weiter schlimm.
Betrunkene mit verrutschen Masken und quarkfetten Stimmen wankten mir am U-Bahnhof Spichernstraße entgegen, wo ich in die 3 stieg, die mich getreulich Oskar-Helene-Heim absetzte. Dort in den 115er, Neuruppiner. Feierabend. Wenn ich wach genug bin, lese ich im Novemberheft der MusikTexte, das einen Schwerpunkt zum Thema Akustische Ökologie hat (von der ich vorher noch nie gehört hatte, aber ich kenne mich auch nicht aus). In seinem frei zugänglichen Beitrag Der wohltemperierte Regenwurm. Zur Naturbeziehung digitaler Musik erklärt Bernhard König mit Bezug auf den Schweizer Klangforscher Markus Maeder, was das zum Beispiel heißen kann: „den Trockenstress verdurstender Bäume oder die Fruchtbarkeit von Böden hörbar [machen]”.
Freude hatte ich auch an dem – Adornos Das Altern der Neuen Musik (1954) (das höre ich mir jetzt aber nicht an …) aufgreifenden – Essay „Vom Neuern der alten Musik” von Christoph Haffter, der auf anregende Weise das Phänomen der breiten Präsenz der Musik vergangener Zeiten im Musikleben der Gegenwart beleuchtet. Der Autor wendet die Frage: Ist das noch Musik?, mit der neue Musik häufig konfrontiert ist, gegen die alte Musik, denn: „Kunsterfahrung ist das Gegenteil von Bescheidwissen.” Wenn man aber nach einem Takt schon weiß, wie es weitergeht, dann ist wohl eher Trivialität als Kunst im Spiel. Ist alte Musik also tot? – Nicht unbedingt, beruhigt der Verfasser, und rekapituliert einige neuere Klassikinterpretationen (Vivaldi, Tschaikowsky), die etwas vom Schock (Choc, hätte Adorno snobistisch geschrieben) erfahrbar machen, die die betreffenden Kompositionen einmal ausgelöst haben müssen. Allerdings gibt er zu bedenken, dass die Deutung der Alten als Zeitgenossen (aus) der Vergangenheit möglicherweise nicht statthaft ist. „Eine echte Erneuerung der alten Musik müsste die Musik nicht neu, sondern alt erscheinen lassen.”
Das oben verlinkte Stück von Adam O’Ferrill und seines Stranger Days genannten Quartetts hatte die New York Times neulich vorgestellt. Unter den versammelten fünfzehn Tracks aus Pop und Jazz von Taylor Swift bis Moor Mother gefiel mir Ducks am besten. Und weil ich in DJ-Laune bin, hier noch zwei Videos aus Great Britain, einmal die aberwitzig fingerflinke Band von Squarepusher, Shobaleader One, mit einem längeren Live-Set, und Dua Lipa (wie kann man hier Herzchen einfügen?) mit – na, ihr seht’s ja.