In Kürze feiert Im Dickicht sein zehnjähriges Bestehen, tada.
Aus diesem Anlass werde ich mein Kulturblatt für maximal vier Wochen mit diversen Beiträgen befüttern, die seit Februar 2013 erschienen sind.
Da im Internet sowieso schon alles auf Englisch ist, sehe ich davon ab, die Reihe Revisited zu nennen; das französische Rembobinage bedeutet Zurückspulen (la bobine = die Spule).
Heute drei Schnappschüsse aus dem Berliner Alltag, Das Ertasten des Raums (31.8.2014), Besichtigung (2.9.2014) und Stangenwerfen, eine Parabel (17.7.2014).
Als ich noch in Moabit wohnte, hab ich was erlebt!
Als Extra vorab: Ein Prof, in Tel Aviv lehrend, kam Montag in die Buchhandlung, um meinem Chef hallo zu sagen. Der fragte: Und? In Israel alles gut? – Ja! Endlich!, kam es sarkastisch zurück.
[Das Ertasten des Raums] Wer am späten Abend durch den Tiergarten Richtung Neue Nationalgalerie fährt, sollte seinen Blick aufmerksam auf die kurze von der Fahrradlampe erleuchtete Strecke vor sich heften. Denn vielleicht liegt quer über den Radweg ein Mann, den der Alkohol schwer gemacht hat, und der nun, bleiern, wie festgeschraubt, aus seiner Rückenlage heraus die Rede gurgelnd an seine Saufkumpane richtet. Er scharrt mit seinen Schuhen im Schotter. Sackartig sitzen die Trinker auf der Bank und halten sich die Bierhand ans eingedickte schweräugige Gesicht. Hin und wieder kommt das gurgelnde Sprechen von ihnen, gurgelt herab zu dem Mann, den der Fahrradreifen zwei Handspannen von seinem Scheitel nicht im mindesten beeindruckt.
Auf dem dunkelgrauen Gras und ins tiefere Dunkelgrau des Waldsaums gesunken, braune bauschige Schatten, erstarrt. Die zum Weg hin hocken, halten das Gaslicht kurz, das in gelbem Schein auf den Rasen fällt.
Die Autos stehen mit ihren Schnauzen von der Straße abgewandt und blicken auf die eingezäunten Bäume.
[Besichtigung] A., nachdem sie die kargen, schmucklosen Zimmer abgeschritten hat, steht mit hochgezogenen Augenbrauen im Flur, prüft mit den Schuhen das Knarzen der Dielen und sagt mit gesalzener Nüchternheit, wie eine strenge Westtante, ohne Verständnis für den Berliner Purismus: „Ihr habt die ungemütlichste WG, die ich je gesehen hab!”
[Stangenwerfen] Vom Küchenfenster aus beobachtete ich zwei Kinder, die unermüdlich eine Stange in das Geäst eines Baumes warfen, um ein Spielzeug zu befreien, das sich darin verfangen hatte. Es war von meiner Position aus nicht zu erkennen, und sie selbst sahen es vielleicht auch nicht genau. Mit eintönigem Geräusch fiel die Stange auf den Gehweg, die Kinder passten auf, dass sie nicht von ihr getroffen wurden und dass auch das Auto nicht zu Schaden kam, das nebenan auf der Straße parkte. Ihr Tun hatte überhaupt keine Wirkung, brachte nur das immer wiederkehrende ‚klong’ hervor, wenn die Stange auf den Boden traf.
Vielleicht war da nichts.
Schließlich legten sie die Stange weg, griffen ihre Ranzen und zogen ab.
Der Begriff der „Westtante“: zum einen markiert er die Spießigkeit der Westbesucher, bringt aber auch das eigentliche Wesen der Berliner zum Ausdruck: infantil. Die einen sind ehrlich infantil, echte Kinder, das sind die Ureinwohner; die anderen, die „Westneffen und -nichten“, wie man wohl sagen muss, sind infantil auf ungutere Art: Sie laufen, bockig und vertrotzt, vor dem Leben davon. Oder nein, sie laufen ja nicht: Sie ducken sich nur. In ihre Partykeller. Die Ödnis des Apothekerdaseins tauschen sie ein gegen die Ödnis eines Lebens des Pilleneinwerfens.
LikeLike
Die gute Nachricht für Berlinverächter: sie müssen nicht in Berlin leben, brauchen es nicht einmal zu besuchen!
Ich selber sehe naturgemäß viel freundlicher auf die Stadt, auch wenn ich vielleicht nicht dauerhaft hier wohnen bleiben werde (weiß man’s?). Vorerst fühle ich mich wohl.
Psychogramme von ganzen Bevölkerungsgruppen zu entwerfen (Westler, Ostler, Berliner, usw.), halte ich für gewagt, könnte es auch nicht. Ich sehe immer nur einzelne Leute.
Hatte ich die Geschichte vom Vermieter des Buchhändlers – eines vor einiger Zeit verstorbenen Buchhändlers – erzählt? Mein Chef plauderte mit ihm und staunte nicht schlecht, als sein Gegenüber sagte: „Ja, der Herr X hat ja die letzten Jahre auch keine Miete mehr gezahlt … Aber ’nem Buchhändler kündigen? Dit mach ich nich. Nee, dit mach ich nich!” Das war für ihn gar kein Diskussionsthema.
Es gibt den schönen Satz: Wer viel gelitten hat, kann auch viel verzeihen. Ich glaube, Berlin und die Berliner haben in ihrer Geschichte ziemlich viel mitgemacht …
Also, nein, ich kann mich dem Berlin-Bashing nicht anschließen.
LikeLike