Ist Giftfracht ein poesiefähiges Wort? Wahrscheinlich! Unterdessen wird nach Lektüre eines ZDF-Artikels deutlich, warum die zuständigen polnischen Behörden partout nicht herausfinden wollen, warum in den letzten zwei Wochen 190 Tonnen toter Fische aus der Oder geborgen wurden und, wie zu lesen war, ihr Pegel um 30 cm angestiegen ist:
„So ist etwa Paweł Rusiecki, einer der vier stellvertretenden Direktoren des Wasseramtes, Ehemann von Umweltministerin Anna Moskwa.”
Ach so.
Bemerkenswert auch die „Ausgaben für neue Dienstfahrzeuge im Wert von mehreren Millionen Euro”. Vielleicht haben auch deutsche Autohersteller davon profitiert, das wäre doch schön.
Thomas Dudek, Fischsterben in der Oder : Offene Fragen und Ablenkungsmanöver in Polen (ZDF, 18.8.2022)
Wer ein bisschen über Ornette Coleman nachliest, wird die Information finden, dass seine Eltern zu arm waren, um ihn zum Musikunterricht anzumelden. Also hat er sich das Saxophonspielen als Teenager selbst beigebracht, neben seiner Arbeit als Fahrstuhlführer, allerdings ohne zu wissen, dass die Musik anders notiert ist als sie klingt, so dass er die Intervallproportionen zwar korrekt spielte, aber mit falschen Tönen. Man hat in diesem produktiven Irrtum eine Ursache für Colemans harmonische Freiheit gesehen.
Miles Davis, Konkurrenz witternd:
„Hell, just listen to what he writes and how he plays. If you’re talking psychologically, the man is all screwed up inside.”
Sein Trompeter-Kollege Dizzy Gillespie: „I don’t know what he’s playing, but it’s not jazz.”
Andere waren hellsichtiger, wie der Komponist Gunther Schuller:
„His playing has a deep inner logic, based on subtleties of reaction, subtleties of timing and color that are, I think, quite new to jazz. At least they have never appeared in so pure and direct a form”,
oder John Lewis, der Pianist des Modern Jazz Quartet:
„The only really new thing since the mid-’40s innovations of Dizzy Gillespie, Charlie Parker, and Thelonious Monk.”
[Alle zitiert nach dem Booklet zur CD-Box Beauty Is a Rare Thing: The Complete Atlantic Recordings, 1993]
Ornette Coleman, alto sax – Don Cherry, pocket trumpet – Charlie Haden, bass – Billy Higgins, drums [8.10.1959, Hollywood, California]
Ramblin‘ aus dem Album Change of the Century (1960) hat eine bluesige Phrasierung und Intonation. Es ist ein sofort eingängiges Stück. Ornette Coleman, aber auch Don Cherry und Charlie Haden, zitieren hier (offenbar) nordamerikanische Folkmelodien. Man hört schwach (Sprech-) Stimmen im Hintergrund, vielleicht von den Musikern, vielleicht vom Studiopersonal, was der Aufnahme Lebendigkeit und Alltagsnähe verleiht. Don Cherry spielt das zweite Solo, auf seiner sogenannten besseren Kindertrompete, und als wäre das alles nicht schon großartig genug, folgt ab 4:00 Charlie Haden, dessen Solo technisch gar nicht besonders spektakulär scheint, aber eben doch ist, minimalistisch begleitet von Billy Higgins‘ Glöckchensound. Viel später (1977) hat Ian Dury Hadens Solo über Ramblin‘ in einem seiner Songs zitiert. Zum Schluss wiederholt das Quartett das Thema – wie oft bei Coleman, ist es recht fröhlich – und dann ist die Sechseinhalbminuten-Sternstunde vorbei.
Anlässlich eines mehrtägigen Engagements in Paris 1997, hat Jacques Derrida Ornette Coleman für die Musikzeitschrift Les Inrockuptibles zu den Themen Komposition, Improvisation, Sprache und Rassismus interviewt. Ein englisches Skript (.pdf) gibt es bei ubu.com, aber das nur nebenbei.
Übrigens, ein anderer sehenswerter Clip aus der diesjährigen Ausgabe von America’s Got Talent ist der Auftritt der polnischen Sängerin Sara James, die einen Song (Lovely) von Billie Eilish singt. Dafür gibt’s einen ‚Golden Buzzer‘ – verdient!