Vor acht Jahren erschien unter dem oben zitierten Titel in der Zeitschrift Gegenstrophe ein längerer Text von mir über Ulf Stolterfoht, Konstantin Ames, Ann Cotten und Mara Genschel. Das betreffende Heft ist vergriffen und die Zeitschrift meines Wissens eingestellt worden (bin mir nicht sicher).
Im Moment habe ich keine Ruhe für eine Aktualisierung, möchte den Aufsatz aber als Fragment – als welches er jetzt erscheinen muss – wieder zugänglich machen.
Der Anfang hier als Blog-Post, die vollständige Lieferung hier.
Die Formatierung lasse ich (ebenfalls) unverändert.
Danke an Michael Braun, der mir damals den Auftrag zum Schreiben erteilt hat.
Stolterfoht, Ames, Cotten, Genschel. Vier ‚Experimentelle‘
»I do not write experimental music. My experimenting is done before
I make the music. Afterwards, it is the listener who must experiment.«
– Edgar Varèse
Ulf Stolterfoht
Gibt es eine spezifisch schwäbische Sprachverliebtheit, und wenn ja, woran ließe sie sich festmachen? Eine lohnende philologische Fragestellung, für die hier leider nicht der Ort ist. Dennoch: Ulf Stolterfoht, der 1963 in Stuttgart geboren wurde und seit vielen Jahren in Berlin lebt, dürfte in einer solchen Untersuchung keineswegs fehlen. Nur bekäme ein Germanist dann Schwierigkeiten mit dem Adjektiv »spezifisch«, denn mindestens bei Stolterfoht kommt auch eine Sprachversessenheit ins Spiel, deren notorische Vertreter man eher weiter südlich suchen würde. Kein Wunder, dass er seinem – während eines Romaufenthalts entstandenen – Stuttgart-Buch holzrauch über heslach (2007) und dem für diesen Herbst angekündigten Berlin-Band neu-jerusalem ein Buch über Wien folgen lassen möchte.
›Österreichisch‹ ist vielleicht auch Stolterfohts prononcierte Sprachskepsis.
»Ich hab ja schon in der Alltagssprache große Probleme zu begreifen, was Referenz eigentlich sein soll, was eigentlich passiert, wenn einer »Apfel« sagt, was der damit meint […]«, formuliert Stolterfoht in einem Interview mit Guido Graf ein fundamentales »erkenntnistheoretisches Dilemma«, das über die Frage: »[W]arum sagt man überhaupt was, wenn es eigentlich nichts zu sagen gibt« geradewegs in die Schreibverweigerung führen könnte. Bei Stolterfoht, als studierter Linguist mit sprachwissenschaftlichen und sprachphilosophischen Problemen wohlvertraut, markiert es den Ausgangspunkt des Schreibens – und begründet dessen erklärtermaßen »antisemantische[n] Impuls«.
fachsprachen
Es scheint darum ein Widerspruch, wenn die Arbeit an den fachsprachen-Gedichten (1998/2002/2005/2009; der Zyklus ist auf neun Bände angelegt, vier davon sind erschienen, ein fünfter abgeschlossen) mit umfangreicher Lektüre von sozusagen hochsemantischer, nämlich eben fachsprachlicher Literatur verbunden ist; die Spanne reicht von psychologischer Fachliteratur und Büchern zu Radiotechnik und CB- Funk bis zu Wörterbüchern, Mitschriften von Vorträgen, Songtexten und Liner Notes.
Dabei dürfte die Tatsache, dass in der Terminologie vielleicht am ehesten der ideale Zustand erreicht ist, in dem ein bedeutendes Wort mit einem bedeuteten Ding übereinstimmt – aber was heißt das schon, wenn fraglich ist, was unter »Welt« zu verstehen ist –, eher nebensächlich sein, zumal sich Stolterfoht nicht für die semantische Klarheit, sondern für Uneindeutigkeiten und Unschärfen interessiert, z. B. für die Sinninterferenzen, die sich durch Homonymik mit alltagssprachlichen Ausdrücken ergeben (der Plural »Lichter« mag eindeutig sein – in der Sondersprache der Jäger steht er für »Augen«).
Der Rückgriff auf einen fachsprachlichen semantischen Block erleichtert ihm vielmehr die gewünschte De-Semantisierung seiner syntaktisch getakteten Gedichte. Der forcierte Bedeutungsextremismus mündet in das Nicht(mehr)bedeuten. Stolterfoht mischt gewissermaßen alle Farben zusammen, ›beschleunigt‹ sie – diese Technik der Sprachbeschleunigung verbindet ihn mit Thomas Kling – und erzielt auf diese Weise einen ›weißen‹ Text, d. h. einen Text aus Zeichen, die nicht (mehr) zeigend sind. Die Saussuresche Dichotomie zwischen Bezeichnendem (Wort) und Bezeichnetem (Sache) entfällt, es bleiben nur noch Wörter, von denen sich allenfalls sagen lässt:
»JEDES WORT IST EINE VERPACKUNG. aber: auch / verpackungen haben eine verpackung. einige sind unge- / hobelt. gebildet aus sperrigen lettern, spenstige, mit / diphtongierung, mit ablaut-mißbrauch, strukturen von / mißmut und passung. andere sind sanfter, von liebens- / werter anklangsgleiche, sie praktizieren den wohllaut / im guttakt reinster ausform: stäblich nämlich. es ist ein / klarer fall von meta-meta. in diesen instruktiven mor- / phen ventiliert ein quecksilber seinen verstörenden sang.« (traktat vom widergang, Nr. 27)
Wenn Stolterfoht einen noch unbearbeiteten Ursprungstext bereits wie einen Rotwelsch-Text wahrnimmt, bedarf es nur eines weiteren Drehens an der Schraube, um aus der Ballung von Konkreta ein Abstraktum zu schaffen (man denke an die »Anhäufung von Kannen« [1961] von Arman), das in dem Maße, wie man von vielleicht trotzdem Herauszulesendem, Verstandenem absieht, (be)greifbar wird als abstraktes formales Ereignis, als rein strukturales ›Schönes‹. Dies aber ist es, was sich Stolterfoht von der sprachskeptisch grundierten Dichtung erwartet, »dass die Struktur wieder mehr in den Blick gerät«. Die jeweils 81 Gedichte jedes Bandes der fachsprachen – paritätisch auf neun Kapitel verteilt – sind in die Zweidimensionalität gebannte Wortkonstrukte, ihre Ausbauchung in die bedeutende Dingwelt ist nur Schein: die Sprache ist das Ding.
In der Großform und in ihrer Ausführung im Detail sind die fachsprachen von einmaliger konzeptueller Strenge und Stringenz. Ihre (phänotypische) Realisierung ist, bei unvoreingenommener Lektüre, unmittelbar zugänglich, unterhaltend, ja lustig. Die aus Sicht des Laien absurdesten Inhalte (Anweisungen zur Schweinezucht für Volkseigene Betriebe in der DDR zum Beispiel) bringt Stolterfoht »mit pragmatischer syntax und einem schlacks«.