Betonköpfe

Nichts gegen Beton – bezogen auf die geplante Instandsetzung der Straßen in unserer Sommerfeldsiedlung in Kleinmachnow bin ich absolut dafür, dass das neue Baumaterial das alte (seit rund neunzig Jahren) ist, nämlich Beton. Aber die Gemeindevertretung, einschließlich der Grünen, setzt alles daran, die denkmalgeschützte Siedlung zu asphaltieren und die Gehwege, die jetzt Sickerfläche sind, zu pflastern. Wer Interesse hat, ein bisschen nachzulesen, siehe hier:

Bürgerinitiative Sommerfeldsiedlung

Ebenfalls mit Billigung durch Bündnis 90/Die Grünen soll die Rodung des Dannenröder Forsts erfolgen, der dem Ausbau der Bundesautobahn 49 im Weg steht. Ich kann den Waldbesetzern nur Erfolg und breite Unterstützung wünschen. – Im rheinischen Braunkohletagebau werden weiter Dörfer weggebaggert, und noch im Mai dieses Jahres ist in Datteln ein Kohlekraftwerk ans Netz gegangen, dessen Laufzeit sich möglicherweise bis 2038 erstrecken wird. Die Gasleitung Nord Stream 2, Nawalny ist ja wieder munter, wird vielleicht auch noch fertiggebaut und in Betrieb genommen, obwohl sie überflüssig ist – noch mehr fossile Brennstoffe, feurio! (Ganz davon abgesehen, dass dies Bauprojekt ein deutscher Alleingang war.) Dies alles bitte nicht vergessen, wenn wir – zu Recht – auf Jair Bolsonaro und Donald Trump schimpfen. Bei uns gibt es keine illegalen Brandrodungen, alles läuft sehr ordentlich, aber die Politik ist mehr oder weniger die gleiche: alles für das vermaledeite Wirtschaftswachstum, und auf dass Kohle, Öl und Gas noch lange verfeuert werden. (Wie sagt man eigentlich degrowth und décroissance auf Deutsch? Oh, ich sehe: Postwachstum! – Keine Partei der Welt ist dafür.) – Hatte ich übrigens erwähnt, dass Julia Klöckner, die Landwirtschaftsministerin, die Lebensmittelkontrollen einschränken will?

Nachmittags zum Wannsee geradelt, wo ich die Grabstelle von Heinrich von Kleist und Henriette Vogel suchte (und nicht fand), eine Informationstafel war vollständig mit tags zugeschmiert. Ich habe Verständnis für Graffitis, aber ich schätze auch Zurückhaltung und Respekt. Dann weiter zur Glienicker Brücke, und wieder zurück. Auf dem Königweg fiel mir eine ausgebesserte Stelle ins Auge: um die Unebenheit zwischen zwei Bodenplatten auszugleichen, hatte ein Straßenmeister ein bisschen Asphalt gespachtelt. In den Bahnen sieht man auch immer diese ausgebesserten Stellen, wo der Sitz durchgescheuert war. Da klebt dann ein Azubi ein Stück BVG-Folie drüber, was beinahe nicht auffallen würde, wären da nicht die tiefere Farbsättigung des Flickens und sein irregulärer Zuschnitt. Auch die Mitteilung im Winter: „Wagen nicht geheizt” läuft nicht als Laufschrift über das Display, sondern ist seit jeher eine Bekanntmachung per Aushang, farbige DIN A4-Zettel, auf die Türen geklebt. Wahrscheinlich liegt immer ein Stapel in einem der Bahnsteig-Kabäuschen bereit („mittlere Schublade, musst ein bisschen ruckeln”). – Ich machte gerade eine kleine Rast auf einer der vielen Bänke am Wannsee, als das Handy summte: „Hello dear Meini! Do you want me to sign you up for lunch next week?” Und mitten in der Nacht erhielt ich eine Mail, die ich, da ich um 3.43 Uhr in der Regel schlafe, erst heute morgen las, und die Befremden darüber äußerte, dass im Wikipedia-Artikel über das Autochromverfahren Albert Kahn nicht erwähnt wird – „bin ich blind?” Das wäre allerdings ein schweres Versäumnis, denn niemand hat so viele Autochrom-Aufnahmen gemacht wie eben der große Albert Kahn. Ich sah jetzt noch mal nach, und gucke!: „Zwischen 1907 und der Mitte der 1930er Jahre sind rund 20 Millionen Autochromaufnahmen angefertigt worden, wovon über 70.000 Farbbildaufnahmen auf das Betreiben des französischen Bankiers Albert Kahn zurückgehen.” Weiter unten: „Diese Seite wurde zuletzt am 16. September 2020 um 04:09 Uhr bearbeitet.” Allet klar!

PS. Gratulation an Deniz Ohde, deren Roman Streulicht auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis steht. So geht es los: „Die Luft verändert sich, wenn man über die Schwelle des Ortes tritt. Eine feine Säure liegt darin, etwas dicker ist sie, als könnte man den Mund öffnen und sie kauen wie Watte.”

1 Kommentar zu „Betonköpfe“

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