und rauchend und schruppwasserschluckend

(Zitat aus Charlotte Warsens Gedichtzyklus Plage, der im letzten Herbst bei kookbooks erschienen ist.)

Es wird jetzt immer schwieriger, die Berichterstattung zum Ultraschall Berlin Festival fortzuführen, zu der mich natürlich niemand aufgefordert hat, denn die Welt dreht sich weiter, und ich bin kaum noch in Hörweite zu dem, der ich am Freitag, den 17.1.2020, war. An diesem Tag nämlich (nachmittags) spielte die Klarinettistin Nina Janßen-Deinzer ein Solo-Recital im Heimathafen Neukölln, wozu sie – wenn das wichtig ist (ich meine, ja) – nicht geradezu barfuß, aber doch ohne Schuhe auf die Bühne trat. Mir gefiel diese unprätentiöse, einfache und wirksame Art, Stand zu haben.
Nina Janßen-Deinzer performte vier Stücke: zwei für Klarinette (Franco Donatoni, Helmut Lachenmann) und je eines für Bassklarinette (Bertram Wee) und Kontrabassklarinette (Bernhard Gander) – letztere ein acht oder neun Kilogramm schweres, unhandliches Teil, über das ich mir noch kein abschließendes Urteil gebildet habe, auch wenn ich dazu neige, es für überflüssig zu halten: der Mehrwert, den eine Kontrabassklarinette gegenüber einer Bassklarinette hat, scheint mir vergleichbar dem eines vierfachen gegenüber einem dreifachen Forte. – Ein zunächst angekündigtes zweites Stück für dies ungeschlachte Instrument, Solo des Franko-Griechen Georges Aperghis (2013/14), das mit einer Aufführungsdauer von zwanzig Minuten das mit Abstand längste des Abends (Nachmittags) gewesen wäre, wurde ohne genauere Erklärung gestrichen. Mein Nachbar zur Rechten nahm es bedauernd zur Kenntnis, wahrscheinlich kannte er es schon und hatte sich darauf gefreut; ich selbst hatte keine Meinung dazu, finde allerdings, dass, wenn ein Konzert (hinsichtlich seiner Dauer) um ein Drittel gekürzt wird, ein Kaffee oder ein Bier vom direkt benachbarten Café Rix fällig gewesen wären. Doch auch ohne Aperghis war es ein anspruchsvolles und (für die Musikerin) zweifellos anstrengendes Programm.
Übrigens, wie ich hier ohne Zusammenhang anbringe, gibt es eine Uniform der Neue Musik-Hörer, und die verlangt Schwarz, mindestens gedeckte Farben. (Ich vermute, dieses Outfit wird auch von den Anhängern neuester Kunst getragen.) Ich bildete unglücklicherweise keine Ausnahme, habe mir aber für nächstes Mal vorgenommen, mir etwas (zum Beispiel) Rotes anzuschaffen, um die Konformität zu stören, gegen die ich allergisch bin.

Clair von Franco Donatoni (1927-2000): dies vierzig Jahre alte Werk eröffnete das Recital. Es besteht aus zwei Teilen, die sich spiegelbildlich zueinander verhalten: im ersten fängt sich das Licht, im zweiten der Schatten; clair-obscur wäre so gesehen der passendere Titel gewesen. Gerade hab ich’s mir noch einmal auf YouTube angehört (interpretiert von Edmondo Tedesco). Die hohen, quiekenden, stechenden Töne des Anfangs hatte ich schon vergessen gehabt, auch die Läufe … Keine schlechte Musik, gewiss, aber auch keine Musik, die mich vom Hocker reißen würde. – Der Schattenpart war mehr was für mich.
Kam jetzt schon Lachenmann, oder erst Gander? morbidable (2014) von Bernhard Gander war jedenfalls das Stück für Kontrabassklarinette. Das Programmheft – ich hab’s hier liegen – zeigt das Bild eines stark tätowierten Mannes mit Iro, der ein Treppengeländer umarmt; die zugehörige biographische Skizze weist ihn als Heavy Metal-Fan aus, und dagegen ist ja nichts einzuwenden. Die Musik habe ich aber als irgendwie bieder und einfallslos in Erinnerung – das heißt, der Einfall erschöpft sich in der Wahl des Instruments. Sicher bin ich zu streng, aber: so hab ich’s wahrgenommen. Ein Rebellentum wurde behauptet, aber nicht eingelöst.
Ganz anders Dal Niente (Interieur III) (1970) von Helmut Lachenmann. Lachenmanns geniale Erfindung, das Augenmerk nicht zuerst auf die Töne selbst zu richten, sondern auf die Artikulation derselben, auf Begleitgeräusche des Atmens, der Klappen, des Mundstücks und so weiter, bedeutet nicht nur einen Bruch mit alten Gepflogenheiten (keinen Bruch mit der Tradition selbst), sondern vor allem eine Myriadisierung des Klangspektrums, eine welteröffnende Erweiterung des Hörbaren (des für das Hören wert Befundenen), klangsinnlich und farbenreich. Nina Janßen-Deinzer hat all diese Facetten und Nuancen fabelhaft ausgespielt.
Auch der junge Bertram Wee, dessen etwas dubios smegma betitelte Komposition (2019) – ich denke da gleich an einen schrecklichen Auftritt von Reyhan Şahin alias Lady Bitch Ray in der Harald Schmidt Show (damals mit dem Schwachmaten Oliver Pocher als Sidekick) – den exaltierten Abschluss des Konzerts bildete, konnte sich auf Nina Janßen-Deinzer verlassen, die das zehnminütige Werk für verstärkte Bassklarinette mit Furor und Risikobereitschaft zur glänzenden Uraufführung brachte. Viel Applaus.

2 Kommentare zu „und rauchend und schruppwasserschluckend“

  1. „der Mehrwert, den eine Kontrabassklarinette gegenüber einer Bassklarinette hat, scheint mir vergleichbar dem eines vierfachen gegenüber einem dreifachen Forte.“ – ha! gut gesagt. Musste schmunzeln, besonders, nachdem ich mir im Netz ein Bild vom Instrument gemacht habe… Soeben in der RBB-Abendschau gab es Bilder und Klänge von der Elektronikmusik in der Philharmonie. Mir blieb der Mund offen vor Staunen, daß es soetwas da gab! Nicht mein Ding, aber toll! Das Zitat aus „Plage“ als Titel hat mich angespornt, alles zu lesen, um einen Bezug zu finden. Aber auch so ist es stark. A propos Abendschau – Annie Dunkelmann war beim Pizzabäcker, was Dich vielleicht interessiert. Morgen geht’s schon um 13:30 Uhr los mit dem „English Tea“ – was gut ist, weil Sturmtief Sabine dräut …

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  2. Ah gut, die Abendschau sehe ich mir dann später in der Mediathek an, wegen der Musik, und als Anni Dunkelmann-Fan. Ich interessiere mich auch für die 500 Kilogramm-Bombe, die neulich mitten in der Nacht im Nachbarort (Stahnsdorf) gesprengt wurde. (Pizza esse ich selten, denn sie kühlt zu schnell ab und schmeckt dann nicht mehr.) – In Vorfreude auf den English Tea grüßt Meinolf

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