Spielgemüt

In der aktuellen Ausgabe November des Jazzpodium, der seit 1952 bestehenden Zeitschrift, die ich ab Dezember für zunächst ein Jahr abonniert habe (56,00 Euro incl. Versand), las ich ein Interview von Adam Olschewski mit Joe Morris, „The Grenzgänger” überschrieben.
Ich kannte Morris vorher nicht (ich kenne die meisten Leute nicht, ha ha), jetzt höre ich mir einige Beispiele seiner Musik an. Er hat eine große Bandbreite. Übrigens war er Lehrer von Mary Halvorson.
Über seinen Lehransatz den Studenten gegenüber sagt er: „Ich versuche alles, was geht, um sie zu inspirieren. Ich kritisiere sie nicht. Ich sage ihnen nie, was sie mögen sollen. Mein Ziel ist es, dass sie sich selbst hören und einen Weg finden, ihre eigenen Ideen auf ein höheres künstlerisches Level zu heben.” Für das Studienfach Free Music vermutlich die einzig sinnvolle Methode, die aber auf andere Lehrfächer nicht ohne weiteres übertragbar sein mag. Doch der Gedanke, dass die, die etwas lernen sollen, immer vorher schon etwas wissen, das es auch oder zuerst zu berücksichtigen gilt – eine Überlegung ist es wert.
(Ich frage mich, von was ich sagen würde, dass es mich inspiriert. – Alles, was in mir auf Widerhall trifft, ist eine Inspiration. Ergibt das Sinn? Dann wäre sie ein positives Reagieren eines fremden Geistigen mit meinem eigenen Geistigen, ein Erkennen.)

Inspirierend war zum Beispiel die Ausstellung Revier von Daniela Friebel, ihre zweite ‚vogelkundliche‘ Arbeit, nach Auspicia über die Stare in Rom. – Hier ging es nun um Nachtigallen.
Zu nachtschlafener Zeit war die Künstlerin mit ihrem Fahrrad und zu Fuß – ohne Kamera – durch Berlin gestreift, um nur mit dem Gehör Singorte von Nachtigallen zu finden. Die Koordinaten der jeweiligen Singwarten und Reviere per App gespeichert, kehrte sie bei Tage wieder dorthin zurück, jetzt mit Fotoapparat, und porträtierte sie – vollkommen unspektakuläre Berliner Plätze übrigens.
Auf den an einer einzigen Wand in Petersburger Hängung präsentierten Farbfotografien waren natürlich keine Nachtigallen zu erkennen, nur im Eingangsbereich eine Nahaufnahme, bei Gelegenheit des Beringens. – Ein zweiter Raum bot sogenannte Spektrogramme, den einzelnen Fotografien numerisch zugeordnet: graphische Notationen (in Nachtblau) der mitgelauschten (und per Telefon aufgenommenen) Nachtigallengesänge; im Prinzip so ähnlich wie die von den Nutzern kommentierten Klangwolken bei SoundCloud. Die Blätter verzeichneten Ort, Zeit und Dauer des Gesangs, umrissen mit einigen Worten Art, Lage und Zugänglichkeit des Reviers und protokollierten trocken zusätzliche Klangereignisse wie Autobahnrauschen, Türenschlagen oder Niesen.
„Verstummen der Nachtigall bei Annäherung”, vermerkte lapidar ein im übrigen leeres Blatt.
Die Tatsache, dass Berlin so beliebt bei Nachtigallen ist, erklärte Daniela Friebel damit, dass es hier viele unaufgeräumte Stellen gibt, die aus Geldmangel nicht verschönert werden. Da hat die Berliner Schludrigkeit also am Ende doch auch etwas Gutes.
Die verschiedenen gewitzten Drehs der Revier-Arbeit gefielen mir sehr: Bildmotive auswählen – mit dem Ohr. Vogelgesang aufzeichnen, aber nicht abspielen (Ausnahme: ein unscheinbarer Klang-Kasten draußen auf dem Fensterbrett). Umkehrung aller Nachtigallenromantik ins Nüchterne. Pseudowissenschaftlichkeit. Komik durch sprachliche Knappheit. Komik durch sprachliche Exaktheit. Einen Nachtvogel studieren, aber Tagbilder aufnehmen.

Inspirierend auch das kleine Konzert von Greg Cohen (b), Elias Stemeseder (p) und Joey Baron (dr) im Teehaus DaBangg. Den Anfang machte ein Stück von Duke Ellingon, I Let A Song Go Out Of My Heart. Es folgten Old Folks (Willard Robison), No Idea, Hypochristmastreefuzz, Poor Wheel (alle Misha Mengelberg) und House Party Starting (Herbie Nichols). Den Schluss bildete das bittersüße Just A Gigolo (Leonello Casucci), das ich vor allem von Thelonious Monk kenne:

Amüsiert hat mich, wie Joey Baron – war es bei diesem Song? – auf seinem teilweise mit den bloßen Händen gespielten Drum Set immer leiser wurde, sich zuletzt halb von seinem Hocker erhob und sein Solo damit beendete, dass er frenetisch die Blätter einer Pflanze glattstrich, die zufällig in seiner Ecke stand. Das war ein lustiger, aber auch hintersinniger Moment – er sagt etwas über Barons Verständnis der Welt als Klang, und über die Fähigkeit jedes Menschen, daran Anteil zu haben.

Die Überschrift dieses Posts ist ein Zitat von Karl Berger aus seiner Kolumne Music Mind in der schon zitierten Ausgabe des Jazzpodium.
Karl Berger sagt: „Wenn wir glauben, nicht musikalisch zu sein, dann denken wir einfach zu viel.”

Links
Joe Morris
Riti Records (von Joe Morris gegründetes Plattenlabel)
Daniela Friebel

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