Das Internet ist schlafen gegangen

Vier Veranstaltungen aus dem Begleitprogramm des Jazzfests Berlin habe ich besucht.
1. Shirley Clarkes Dokumentarfilm über Ornette Coleman: Ich werde mehr erfahren, wenn ich mir irgendeine seiner Platten anhöre.
2. Die Diskussion über das utopische Potential des Jazz – auch nicht sehr ergiebig. Gut aber der einleitende Vortrag von Felix Klopotek, Musikredakteur der Kölner StadtRevue. Am besten in Erinnerung blieb mir seine erste Bemerkung. Er sprach da vom englischen Improvisationsmusiker Steve Beresford, der sich bei seinen Auftritten immer fest vornahm, ganz anders zu spielen als beim letzten Mal und der schließlich doch bei den gleichen Mustern landete. Dann der entgegengesetzte Entschluss: genau so zu spielen wie beim letzten Gig. Dieser Trick funktionierte, sein Spiel war ein anderes.
Der Pianist Joachim Kühn, inzwischen fünfundsiebzig, geriet ein bisschen ins Labern, kam vom Thema ab, vergaß das Mikrophon, da hörte ich lieber der Trompeterin Mette Rasmussen zu. Doch allein, dass ich kein einziges Wort der Gesprächsrunde wiederzugeben wüsste, sagt mir, dass es nicht viel zu merken gab. Wie auch immer – das Podium schien eingestandener- oder uneingestandenerweise darin übereinzustimmen, dass Jazz und improvisierte Musik das Leben auf Erden zum Besseren wenden können. Den Geist zu öffnen, war und ist das allen gemeinsame Ziel, und bei aller Skepsis und Ratlosigkeit, die ich aus den Wortbeiträgen heraushörte, schien mir hier doch die Frage nach der Utopie und politischen Wirksamkeit positiv beantwortet.
3. Diedrich Diederichsens Interview mit Anthony Braxton und James Fei: Braxton, Zentralgestalt des diesjährigen Jazzfests, Inspirator, Ideenmaschine, Universalneugieriger, ein jugendfrischer Mittsiebziger. Bilderstürmer Braxton sagt, er sei an der „affirmation of tradition” interessiert, nicht an der „rejection of tradition”. Seine Idee des Musikmachens: „a system of becoming, not a system of arrival”. Ein weiteres Schlagwort: „composite reality”, Improvisation das Mittel der Wahl.
Bei Braxton geht sie von komplizierten, teilweise graphisch notierten Kompositionen aus, von denen einige im Haus der Berliner Festspiele ausgestellt waren.
Doch keine Angst!: sagt er den Musikern: „When you made a mistake – great! When you didn’t make a mistake – why didn’t you make a mistake?”
4. Cairo Jazzman. The Groove of a megacity, großartiger Film des in Berlin lebenden Regisseurs Atef Ben-Bouzid über Amr Salah, den Organisator des Cairo Jazz Festivals. Wer Gelegenheit hat, diese Dokumentation zu sehen, soll das bitte tun.

1 Kommentar zu „Das Internet ist schlafen gegangen“

  1. For what it’s worth, Joachim Kühn, über den ich hier ein bisschen respektlos geschrieben habe, hat dies Jahr ein Tribute-Album zu Ehren Ornette Colemans veröffentlicht: Melodic Ornette Coleman (s. https://www.actmusic.com/News/Kuenstler/Preis-der-deutschen-Schallplattenkritik-fuer-Joachim-Kuehn-Melodic-Ornette-Coleman/(artist)/20274), das sehr gut sein soll. Ich werde es mir sicher anhören, und vielleicht kaufen. Beide, Kühn und Coleman, sind oft gemeinsam aufgetreten, was an sich schon bemerkenswert ist, weil Colemans Bands für die längste Zeit seiner Karriere pianolos waren. Allerdings, das einzige Coleman-Konzert, das ich besucht habe, damals noch in Köln (wo ich in den letzten fünfzehn Jahren nur noch höchstens ein Mal gewesen bin, anderes Thema), war tatsächlich auch mit Klavier: Geri Allen hat gespielt. Es war ein zweiteiliger Auftritt gewesen: Ornette Coleman Quartett (erster Teil), Prime Time Band (zweiter Teil). Irgendwo hier im Blog hatte ich es schon mal erwähnt. Ich fange an, mich zu wiederholen.

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