„Sehr wahrscheinlich gibt es irgendwo eine Gruppe Murmeltiere, die Informationen über mich austauscht.” – Céline Minard, Das große Spiel
„1958–1970 unterbrach er seine musikalische Karriere und arbeitete als Übersetzer und Redakteur für die belgische Fluggesellschaft Sabena; nebenher komponierte er einzelne Orchesterwerke und einzelne Versuche für Instrumente und Tonband.” – Wikipedia-Eintrag zu Karel Goeyvaerts
Theodor W. Adorno hielt Goeyvaerts‘ Sonate für zwei Klaviere (1951) für reinen Galimathias (ein Wort, das man nachgucken muss). Heute wird man das neunminütige Stück vielleicht mit einem nostalgischen Seufzen hören. Als es uraufgeführt wurde, lebte Schönberg noch und wäre sogar beinahe persönlich hören gekommen, hätten Alter und Krankheit ihn nicht von der Reise abgehalten.
Wie auch immer, eine mönchische Gestalt, dieser Goeyvaerts, inzwischen nicht mehr sehr bekannt, aber für die Entwicklung der seriellen Musik von unbestrittener Bedeutung. – Für den heutigen Karfreitag empfiehlt sich sein deutsch betiteltes Ach Golgatha! (1975), ein, muss schon sagen, gruftiges Stück.
(Das muss man dem Internet zugute halten, das doch im wesentlichen ein Kuddelmuddel aus Einbahnstraßen und Sackgassen ist: als jederzeit anzapfbares Archiv taugt es etwas.)
Der Roman von Céline Minard war ein Leseexemplar; ich hatte es mir aus der Buchhandlung mitgenommen. Erzählt wird von einer namenlosen Frau, die ein Grundstück in den Alpen erwirbt und dort eine (von ihr selbst entworfene) Behausung in Form einer Röhre bezieht. Der Hauptantrieb für ihren Entschluss, in solch unwirtliche Gegend sich zurückzuziehen, wird auf den ersten Seiten wie folgt formuliert: „Man muss sich jeden Morgen aufs Neue bewusst machen, dass man Undankbaren, Neidern und Schwachsinnigen so lange begegnet, wie man auf andere Menschen trifft.”
Ihr Wunsch nach dem vollkommenen Alleinsein mit der Natur erfüllt sich allerdings nicht, wieder muss sie sich verhalten, und wie das gelingt – auch davon erzählt das Buch.
Immer wieder wird die Handlung von kurzen philosophischen Passagen unterbrochen, die sich Minard meines Erachtens aber auch hätte sparen können, bzw. sie hätte sie noch stärker eindampfen, bzw. die deutsche Übersetzung (von Nathalie Mälzer) hätte sie ignorieren können. Wahrscheinlich ist das Geschmackssache. Mir erschienen diese Einschübe künstlich. Wer sich mit dem Gedanken befassen muss, dass ihm möglicherweise der tonnenschwere Felsüberhang auf die Hütte kracht, häkelt nicht an superschlauen Reflexionen herum.
Übrigens hätte das Buch ein genaueres Lektorat gebrauchen können; mehr als einmal stößt man auf Anschlussfehler, z. B.: „… das Mondlicht kräuselte die Wasseroberfläche. Es war eiskalt und tiefblau”.
Gestern abend, als ich die Radionachrichten hören wollte, bin ich auf dem Sofa eingeschlafen. Nach Mitternacht wurde ich wieder wach und stieß im Internet auf den lesenswerten Artikel „Schreiben im Zeichen des Geldes” von Philipp Schönthaler. Auch Michael Brauns Gespräch mit Hans Christoph Buch habe ich mit Interesse gelesen: „Das Unbeschreibliche – hier ist’s getan!”
Ob wir eine Heilung vom Kapitalismus noch erleben werden? Es wäre zu wünschen.
Immerhin gibt es ein bisschen Bewegung: die freitäglichen Klima-Demonstrationen, neuerdings die Aktionen der Extinction Rebellion; Minister Scheuer erwägt, die Mehrwertsteuer auf Fernreisefahrscheine der Deutschen Bahn von 19% auf 7% zu senken – vielleicht kommt er auch noch auf die Idee, die bislang mehrwertsteuerfreien Flugreisen zu verteuern; das Land Bayern macht den Insektenschutz zum Gesetz; in Berlin wird die Forderung nach einer Enteignung von Wohnungskonzernen laut; jedes Jahr wird anlässlich der Grünen Woche für eine Abkehr von der industriellen Landwirtschaft demonstriert, und schon heute kann man im Supermarkt sogenannte Bruderhahn-Initiative-Eier kaufen; nicht zu vergessen die Europäische Bürgerinitiative zur Einführung einer Ökozid-Richtlinie.
Das alles sind gute Nachrichten.
Jetzt freue ich mich am schönen Wetter, kann aber doch den Gedanken nicht verdrängen, dass die vierzehn Stunden Sonnenschein der Vorbote für ein weiteres Dürrejahr sein könnten.
Wer weiß, ob nicht eines Tages die Leute anfangen werden, die versiegelte Landschaft zu renaturieren und Straßen abzureißen, damit das bisschen an Niederschlag, das kommen mag, in den Boden gelangt – oder die sintflutartigen Regenfälle, die jetzt wenig nützen. Es ist Zeit für radikale Entscheidungen.
Céline Minard, Das große Spiel [Le Grand Jeu]. Roman. Aus dem Französischen von Nathalie Mälzer. 192 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag. Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2018. 20,00 Euro – Das Buch auf der Verlagswebsite: hier.
Ebenfalls zur Lektüre empfohlen: Lukas Zdrzalek und Christian Kirchner, Das könnte die größte Blase der Welt sein
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Ich habe übrigens vor, demnächst die Rebloggen / Gefällt mir-Option zu deaktivieren, da sie, so meine ich, überflüssig ist. In der WordPress-Logik (und WordPress arbeitet eng mit „Be evil”-Datensammler Google zusammen) ergibt sie zwar Sinn, da über sie Verknüpfungen festzustellen sind – wie allerdings auch über die Kommentarfunktion, die ich inkonsequenterweise beibehalten möchte. Für mich selbst aber weiß ich ja, dass Jürgen, Pega, Dritti, Tobias und die Wolkenbeobachterin, und manchmal auch der Räuber und ein paar andere, meine Posts verfolgen und dies durch ein Like zum Ausdruck bringen. Das freut mich auch.
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… und wenn pega, was immer mal wieder vorkommt, tagelang nicht den laptop öffnen kann, dann guckt sie, sobald die chronophagischen strudel der analogen welt sich wieder beruhigt haben, ins digitale dickicht und liest allesalles nach … 🙂
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