„So – hasse mal Stoff, gehse mal zu ‚Knopf Paul’ in Berlin. Mekka!” schrieb mir in Großbuchstaben und phonetischer Schreibung mein Bruder, auf einem undatierten Beipackzettel zur Gewebeprobe (sozusagen), die neulich in meinem Briefkasten lag.
„[…] brauchst Du
3 Schließknöpfe
8 Ärmelknöpfe + je 1 Ersatzknopf
und könntest dann auch gleich
5 identische Westenknöpfe + 1 Ersatz kaufen. Das ist so ein Zwischenformat, 15“ […].
Es scheint also Stoff für ’ne Weste übrigzusein und da denken wir doch in die Zukunft, oder?”
Gestern war wieder was im Kasten, die jüngste Lieferung von Tom Bresemanns Mail Art-Projekt (nicht nur, aber auch: Mail Art) von jeglichem wort. In einem großen weißen, an den Ecken etwas verknickten, Briefcouvert („Klein-Machnow”, dit fiel mir uff), steckte ein kleinerer, schwer zu öffnender, Umschlag aus pinkfarbener Folie, mit einem 24-seitigen Heft, dem zweiten von vier geplanten.
Ein paar vorläufige Bemerkungen zur ersten Sendung:
Sie hat den Umfang von 32 Seiten und ist auf der hinteren Umschlagseite, unter dem Hashtag #vonjeglichemwort, mit dem Stempel versehen: Sachlich richtig u. festgestellt.
Weil die Druckerpatrone leer war (mutmaßlich; vielleicht wurde der Effekt auch durch Manipulation erzeugt), ist das Heft, als text-bildliche Entsprechung weißen Rauschens, in weiten Teilen unlesbar, mit Ausnahme des Deckblatts:
man atmet schwer in solchen häusern / denken wir nur an eins
ein einziges an dem nicht zu rütteln ist das gleiche / der ärgste Friede ist
niemals endgültig
– und der Zwischentitel, die diesen Text versweise wörtlich wiederaufnehmen (S. 3, S. 9, S. 26).
Unlesbar sind die Seiten 4 bis 7, 10 bis 25 und (mit Ausnahme der Überschrift) 26 bis 30, also die eigentlichen Textseiten; deren oberes Drittel nimmt ein Fries aus photographierten, vergrößerten, unscharfen Augenpaaren ein, die ein unregelmäßiges Liniengitter teilweise durchkreuzt; drei Seiten sind weiß (S. 2, S. 8, S. 31). Am Ende der drei Kapitel steht jeweils ein QR-Code. Die Codes führen (vermutlich) zu dieser Soundcloud-Seite: https://soundcloud.com/vonjeglichemwort. Den dort zu hörenden, mehrfach aufgespaltenen, irrsinnigen Chor mechanischer Stimmen muss man allerdings aushalten können, was bei der ersten Audiodatei [3:22] noch angehen mag; bei der zweiten [11:50] und dritten [6:17] scheint dies nur gegen starken inneren Widerstand möglich (der sich gleich bei der ersten Hörsekunde einstellt). – Bleibt zu erwähnen, dass dem Heft ein quadratischer Aufkleber beiliegt, mit der s/w-Photographie dreier identisch gekleideter junger Frauen in weihevoller Pose (eine Aufnahme aus den 40er Jahren?) und der Bildüberschrift
etwas unheimliches / ist mir // von dieser nacht her / gegenwärtig geblieben
Tom Bresemanns Interesse für „[m]ögliche Sprachräume, Undefiniertes, Unentschiedenes, Diskutables – alles, was eine Öffentlichkeit offen macht” ist sicherlich (auch) politisch motiviert und in unserer Zeit, die jeden Tag mehr ‚zumacht‘, sich abschottet und das Gespräch verweigert, von hoher Aktualität und Bedeutung.
Nähere Informationen zu von jeglichem wort unter https://vonjeglichemwort.tumblr.com/
Im Zusammenhang mit Tom Bresemanns von jeglichem wort denke ich auch an Roland Barthes‘ Chronik (s. hier).
Von einer Verwandtschaft wird man kaum sprechen können, und doch: die Assoziation ist da.
Vielleicht hat sie ihre Berechtigung.
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