W. Shorter A. Cotten Y. Bonnefoy

„Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg.”
(Sigmund Freud an Albert Einstein)
Daran halte ich mich.
In dem Punkt bin ich gewissermaßen meine Eltern in Personalunion, die mit dem Argument „Das ist für die Bildung” immer großzügig waren mit allem, was uns weiterbringen konnte.
Also bevorrate ich mich (immer maßvoll!) mit Musik und Büchern, erwerbe zudem hin und wieder eine Berliner Zeitung, das macht mir gute Laune.
Zuletzt habe ich mir eine 5-CD-Box von Wayne Shorter gekauft, mit Aufnahmen, die er zwischen 1964 und 1967 für Blue Note eingespielt hat und die, teilweise erst Jahre nach ihrer Entstehung, auf den Alben Night Dreamer, The Soothsayer, Et cetera, Adam’s Apple und Schizophrenia erschienen sind.
„Weird like Wayne” war in den 60ern unter den jungen Jazzfreunden New Yorks eine Redewendung, habe ich irgendwo gelesen, aber vielleicht waren sie auch nur ein einziger Mensch namens LeRoi Jones, nachmals Amiri Baraka. Egal.
Übrigens hat Wayne Shorter einen Trompete spielenden Bruder namens Alan, den man zum Beispiel auf Archie Shepps Four For Trane hören kann. Eine musikalische Familie.
Am Ende landen die Leute beim Jazz, wie mein Freund Walter ganz zutreffend sagte.

Die neuest hinzugekommenen Bücher sind von Ann Cotten und Yves Bonnefoy, denen ich beiden eine Treue bewahre. Anders als hier in der Abbildung zu sehen, weist mein Exemplar von Was geht allerdings kein Fragezeichen auf.

Die Wiener Dichterin widmet sich in ihren Vorlesungen unter dem Vorzeichen des Spazierengehens Fragen der Poetik. „Silly Walks” kommen vor, „Verzerrung”, „Vertrauen”, „Kommunismus als Werkphase” und vieles andere mehr, alles schön flott dargeboten, so dass niemand in Versuchung kommt, einzuschlafen.
Aber das schreibe ich hier nur superpauschal, denn viel lesen können habe ich noch nicht.
„Flaneusen sind (und natürlich Flaneure) ein großes Ärgernis, nicht nur für die Putztrupps, denen sie in die frisch gewischten Strandpromenaden tappen, sondern vor allem auch für die anderen Flaneursen.”
So launig geht es los, und AC mutet dem wohlgemuten Leser hier schon zu, was auf der nächsten Seite als „Polnisches Gendern” namhaft und wie folgt beschrieben wird: „alle für alle Geschlechter notwendigen Buchstaben in beliebiger Reihenfolge ans Wortende.”
Hoffentlich macht es nicht Schule.
AC schreibt: „Mündlich ein bisschen schwieriger als schriftlich, aber es wird sich schon nach und nach durchsetzen, beim Automobil haben sie auch gesagt, so ein Schwachsinn.”

Der rote Schal ist das letzte Buch von Yves Bonnefoy. Elisabeth Edl und Wolfgang Matz haben es übersetzt. Ich war überrascht, dass es überhaupt ein letztes Bonnefoy-Buch gab – eines nach Die lange Ankerkette -, aber als ich neulich Montag meine einwöchige Vertretung in der Wilmersdorfer Buchhandlung antrat, in der ich seit bald fünf Jahren arbeite, lag es auf dem Neuheitentisch, mit diesem prächtigen Max-Ernst-Buchumschlag.
Der alte Dichter, am Ende seines Lebensweges angekommen, erzählt darin von einem liegengebliebenen Gedichtfragment, das seinerzeit wie unter Diktat entstanden war, und an das er später nicht mehr anknüpfen konnte.
„Tatsächlich wollte ich mich nicht damit abfinden, dass ‚Der rote Schal’ unvollendet, und genauso wenig, dass dieses Rätsel der plötzlich versiegten Eingebung unlösbar blieb.”
Bonnefoy wird also Detektiv in eigener Sache, und davon handelt das Buch – ein Buch über ein Gedicht, aber als Erzählung.
NB. Wer die rauhe Haptik der Edition Akzente schätzt, sollte – bei Interesse – ein Exemplar der ersten Auflage kaufen. Die nächste Auflage wird als Print on Demand erscheinen, pottenhässlich, aber zum gleichen Preis. 😦

Es war mir nicht bewusst, dass ich eine besondere Sehnsucht nach poetologischen Fragen habe, aber wie sonst soll ich mir erklären, dass die genannten Bücher eben solche über das Dichten sind und die nächsten zwei ebenso: Poetisch denken von Christian Metz und Aus Mangel an Beweisen von Michael Braun und Hans Thill? – Aller guten Dinge sind drei: Auch Dickicht mit Reden und Augen von Steffen Popp steht bei Shakespeare and Company für mich bereit.
Dieser Tage muss man kookbooks nach Kräften unterstützen. Das eifrige Finanzamt hat dem 2003 gegründeten Verlag eine Forderung ins Haus geschickt, die ihn in seiner Existenz bedroht.

  • Wayne Shorter, 5 Original Albums with full original artwork. Blue Note Records, New York, New York, 2016. ca. 18,00 Euro
  • Ann Cotten, Was geht. Salzburger Stefan Zweig Poetikvorlesung. 180 Seiten, broschiert. Sonderzahl Verlag, Wien 2018. 18,00 Euro
  • Yves Bonnefoy, Der rote Schal. Deutsch von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. 224 Seiten, Klappenbroschur. Hanser Verlag, München 2018. 24,00 Euro

7 Kommentare zu „W. Shorter A. Cotten Y. Bonnefoy“

  1. “ mit diesem prächtigen Max-Ernst-Buchumschlag“ – allerdings, fiel mir auch sofort ins Auge.

    „NB. Wer die rauhe Haptik der Edition Akzente schätzt, sollte – bei Interesse – ein Exemplar der ersten Auflage kaufen. Die nächste Auflage wird als Print on Demand erscheinen, pottenhässlich, aber zum gleichen Preis. 😦“
    Da muß ich mich einfach einklinken, weil mich diese Erscheinungsform unserer Zeit auch jedesmal auf die Palme treibt! Immerhin muß man eingestehen, daß meinetwegen Suhrkamp die Form ausdrücklich bei ihren Reprints der stw-s erwähnt, aber warum man den nämlichen Preis leisten soll, ist mir ein Rätsel. Ich habe auch zwei, drei Akzente-Bände und liebe die Gestaltung und den Griff.

    Der Bonnefoy Inhalt macht neugierig – vielleicht lese ich es mal irgendwann …

    Dir und allen einen friedvollen Tag der Deutschen Einheit, über alles Nationale hinaus.
    ach, daß es doch mit der Bildung hilft … seufz …..

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  2. Das Finanzamt – Hilfe! Manchmal frage ich mich aufbrausend, ob es wohl die heimliche Aufgabe dieser Einrichtung ist, Wirtschaftsexistenzen, die weniger als 3000 Mitarbeiter beschäftigen, herauszufiltern und wegen irgendwas bankrottzubescheiden, als hätte man im Amt nun endlich die Nase voll von diesem ganzen Kleinvieh, das so viel Verwaltungsarbeit macht. Und dann frage ich mich, wann ich eigentlich ein so paranoider Mensch geworden bin. Und dann suche ich doch weiter nach einem neuen, nichtselbstständigen Job.

    Ann Cotton habe ich bislang vernachlässigt; ich sollte mich mal ranmachen, glaube ich nämlich. Womit anfangen?

    Herbstgrüße,
    Sonja

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  3. Liebe Sonja,
    vielleicht fängst Du mit Fremdwörterbuchsonette an? Ann Cottens Geniestreich.
    Du kannst Dir aber auch erst einmal die Glossarattrappen ansehen (Internet), oder mit etwas anderm starten – wie Du Lust hast. Ein hedonistischer Leseansatz ist in jedem Fall richtig.
    Herbstgrüße zurück, mit Goldumrandung und Gelbtupfern,
    Meinolf

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  4. Lieber Meinolf,
    am Wochenende hole ich meine bestellten „Fremdwörterbuchsonette“ ab, bin gespannt. Vielleicht helfen die? Hab einen seltsamen Hunger, oder auch bloß Hunger auf Seltsames, jedenfalls: Ich baumle geistig so im Leerlauf. Ich glaube, ich muss mal wieder umziehen.
    Heute ein leider nicht so lichtprächtiger Tag, kommt aus dem Nebelteppich nicht so recht emporgestiegen; die Goldumrandung und die Gelbtupfer denke Dir bitte nochmals dazu, weil’s so schön war,
    Sonja

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  5. Liebe Sonja,
    hervorragend! Du wirst auf viel Merkenswertes stoßen, wie zum Beispiel:
    „ich box mal in den Dunst, es wird schon jemand treffen. / Jeder verdients, doch, dass es hilft, kann ich nur hoffen.” (Aus dem Gedicht Numero 49: „Sechzehn und zu wütend um zu bluffen”)
    Nicht zu viel umziehen, zwischendurch auch ankommen, bleiben!
    Na ja, das sagt der Richtige ..
    Viele Grüße jedenfalls!
    Meinolf

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  6. Lieber Meinolf,
    ich muss, was die Fremdwörterbuchsonette angeht erst einmal „uitbuiken“ – ein Wort, das man den Niederländern einfach klauen muss, weil’s schöner ist, als unser „sacken lassen“ mit seiner Schwere. Kann aber auch zum uitbuiken noch zu früh sein, ich glaub, genau genommen bin ich wohl mit dem Kauen noch gar nicht fertig… Nur so viel: Ich fühl mich zurückversetzt. Cotten ist Jahrgang ’82, ich auch – wer ich 2007 war, habe ich inzwischen großflächig vergessen, bilde mir aber ein, in Cottens 2007er Gedichten einen gewissen Zugang zum alten Spaß an Wankelmut und Sprunghaftigkeit wiederzufinden.
    Später mehr. Es grüßt Dich herzlich
    Sonja

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