„Kannzet nich finden?” pflegte meine Mutter zu sagen, wenn mich als Kind Stunden oder Momente der Verlorenheit plagten und keine Beschäftigung geeignet schien, um, ja was?
Nichts half, die Leere musste ausgehalten werden, still, rastlos.
Ich dachte heute daran, als eine Kundin die Neuerscheinungen durchsah, sie in die Hand nahm und wieder zurücklegte, sie durchsah, durch sie hindurchsah. Zuletzt sagte sie: „Ich kann mich nicht entscheiden” und ging fort.
Es war, als hätte sie mir eine Pantomime ihres Lebens gegeben.
Jemand anders freute sich darauf, Fussball zu gucken. „Ein bisschen muss man haben”, sagte der im Hinausgehen und wünschte mir einen schönen Tag, mit dem einen Zahn, der ihm noch geblieben war.
Einmal, bei einer kleinen Feier in der Buchhandlung, als die Anwesenden kurz vorgestellt wurden, hatte er sich zu mir gewandt, der ich auf der Treppe saß, noch eben am Rande seines Blickfelds, und mich gefragt, ob ich denn auch Heines „Die Wallfahrt nach Kevlaar” kennte?
Ich bestand die Prüfung, indem ich zitierte: „Am Fenster stand die Mutter, / Im Bette lag der Sohn. / ‚Willst du nicht aufstehn, Wilhelm, / Zu schaun die Prozession?’ – // ‚Ich bin so krank, o Mutter, / Dass ich nicht hör‘ und seh‘; / Ich denk an das tote Gretchen, / Da tut das Herz mir weh.’”
Bis dahin, weiter hätte ich nicht gewusst, aber er war schon zufrieden, und es hat ihn gefreut.
Ich erinnere mich an etwas anderes, das er gesagt hat, wieder so beiläufig: „Jede große Liebe stirbt – vor der Ehe oder in der Ehe.”
Das Adjektiv scheint hier wichtig zu sein. Ich würde mich dieser Auffassung nicht anschließen, aber mit Leuten, die eine Schwärze in sich haben, kann ich was anfangen.
Eines Tages werde ich eine Postkarte von meiner Zeichnung drucken lassen, die ich vor dreißig Jahren zu diesem Heine-Gedicht angefertigt habe, und die seit langem in der Sammlung zur Geschichte der Wallfahrt im Kevelaerer Museum hängt.
Schoen, dass es Dich und Deine Worte noch gibt.
Liebe Grüße
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Danke. In sechzehn Jahren gehe ich in Rente (oder: erreiche das Rentenalter), dann schreibe ich auch wieder mehr.
Liebe Grüße zurück
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Dann werden wir endlich die handgeschriebenen Briefe bekommen, die uns seit 26 Jahren in Aussicht gestellt werden.
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Haha! Ja, das könnte sein. Wenn ich Pech hab, verstauche ich mir zwischendurch auch mal die Hachse, da kommt man auch zum Schreiben (und Lesen). Hab ich denn Deine Adresse?
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