Gelbe Haare

Die Kette ging ab („Everything okay?” fragte eine Zehlendorfer Anwohnerin und sah mir eine Weile zu, sagte dann mit einer Handbewegung auf das nächststehende Haus: „My son has tools -”) und ich kam zu spät, nicht viel, eine Viertelstunde, aber Yvette hatte einen Auswärtstermin, sie ließ mich mit ihrer Französischen Bulldogge allein, sagte noch, wo ich den Kaffee finde, und weg war sie. Bruno sprang auf den bereitstehenden Frisierstuhl, stellte die Ohren auf. Ich hörte ihn seufzen, er hatte seine Schnauze auf die Armlehne gelegt.
Später fuhr ich nach Tiergarten. Das Café war zu dieser Mittagsstunde fast leer. Die Bedienung hatte gelbe Haare, trug weite schwarze Hosen und einen schwarzen Kimono. Sie hatte ein Karamellplätzchen auf die Untertasse gelegt, nur an die Milch hatte sie nicht gedacht. Inzwischen war ein kleiner Lieferwagen vorgefahren, ein Mann kam mit einem Sack Kartoffeln über der Schulter herein, die linke Hand in die Hüfte gestemmt. Ein zweiter hob eine Karre über die Stufe, die so hoch gepackt war, dass er nicht bemerkte, dass ein Tütchen mit Kräutern heruntergefallen war, da war schon der dritte mit einer Holzkiste da.
Aber lesen kann ich in so einer Umgebung nicht.
Eine Portion Marmelade war noch übrig. Anstandslos wurde mir ein Körbchen mit Baguettebrot gebracht: „Wenn du mehr brauchst, sag einfach Bescheid.”

Neulich war ich bei der Lesung einer New Yorker Schriftstellerin, die aus ihrem auf Deutsch geschriebenen Debütroman vorlas. Die Moderatorin der Veranstaltung und Gesprächspartnerin auf dem Podium – so gut vorbereitet und kompetent, wie man es sich nur wünschen kann – stellte eingangs fest, die Schriftstellerin lebe jetzt so lange schon in dieser Stadt, nämlich seit ihrem 21. Lebensjahr (sie ist Jahrgang 1973), dass sie sogar schon einen Berliner Akzent habe. Die Angesprochene ging etwas näher ans Mikrophon und sagte: „Sächsisch” – und schmunzelte. Die Textproben, die sie gab, lassen einen echten Roman erahnen, ein Sprachkunstwerk alter Schule, sehr gut recherchiert, atmosphärisch dicht. Aber vor Ende August nächsten Jahres werde ich doch nicht anfangen ihn zu lesen.

2 Kommentare zu „Gelbe Haare“

  1. „mit einem Sack Kartoffeln über der Schulter herein, die linke Hand in die Hüfte gestemmt“ ich mag so archaische Verrichtungen, denke gleich an alte Holzschnitte oder an Brueghel. – Und – – verrätst Du den Namen der Autorin?

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  2. Die Schriftstellerin ist Isabel Fargo Cole. Ihr Roman Die grüne Grenze ist in der Edition Nautilus erschienen. Antje Rávic Strubel hat den Abend moderiert.

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