Wiederbelebung am toten Blog

Der brillante Dr. B, den ich einmal in der Woche sehe – und wenn nicht, mache ich mir Sorgen, denn er lebt nicht gesund und ist auch nun in einem Alter, in dem man sterben kann (gut, wer ist das nicht? Aber ich meine: sterben – und man würde sagen: zu früh, sicher, aber -), der zitierte neulich einen mir nicht bekannten großen Mann mit den Worten, hier nur sinngemäß: Es gibt Autoren, bei denen weiß man, man wird alles von ihnen lesen; und Autoren, und so weiter.
Er hätte das auch so sagen können, ohne Zitat, und ich hätte ihm Recht gegeben.
Obwohl – werde ich alles von Uwe Johnson lesen? Mal sehen. Jedenfalls kam vor einigen Tagen der zweite Band der Jahrestage zu mir zurück, den ich letztes Jahr dabei gehabt hatte, als ich einen Monat lang in einer schummerig kühlen Halbkellerwohnung vor der römischen Hitze floh; aber da hatte ich nur den ersten Band geschafft, und der zweite war liegengeblieben, das Gepäck war schwer genug. Jetzt ist er also wieder da, und wie das so ist, wenn was Johnsonsches auf dem Tisch liegt: man fängt an zu lesen, das ist unumgänglich.
Dass sich dieser Tage die erzählte New Yorker Zeit des Romans zum fünfzigsten Mal jährt – nach einem Prolog geht’s mit dem 21.8.1967 los – daran hatte ich gar nicht gedacht.

Die Jahrestage mit ihren ungefähr 1900 Seiten sind eine Zumutung auch in dem freundlichen Sinne, dass sie dem Leser Mut unterstellen, wo er vielleicht nur kalte Füße hat. Sie sind leserfreundlich eingerichtet, geradezu entgegenkommend. Man könnte das Buch über ein Jahr gestreckt hin lesen und käme mit fünf bis sechs Seiten am Tag aus. Oder man liest Romantag für Romantag. Da müsste man, legte man es auf Parallelität an, zu Anfang allerdings ein bisschen fudeln und die ersten sieben Jahrestage-Tage auf einen Lesetag zusammenlegen. Wenn man heute anfängt. Wer länger trödelt, muss nachsitzen.

Ich meine, der Verlag hätte dem Buch Gutes getan, wenn er sich zu einem großzügigeren Schriftbild durchgerungen hätte, so wie es sich Johnson, glaube ich mich zu erinnern, gewünscht hatte. Aber die Suhrkampschen haben gegeizt, und so gibt’s nun eben diese Bleiwüste, die gleich nach Arbeit aussieht. Man sollte sich davon nicht abschrecken lassen. Überhaupt denke ich: Johnson hat knapp zwanzig Jahre an dem Buch gearbeitet, da kann ich schön gemächlich vorgehen.

5 Kommentare zu „Wiederbelebung am toten Blog“

  1. Lieber Meinolf,
    dass Du den Denkmuff-Faden wieder aufnimmst, das geschieht ja knapp (ein, zwei Tage hin oder her) zum Jahrestag Deines zuletzt verfassten Eintrags… Hast gefehlt!
    Johnsons Jahrestage: Da bin ich Nachsitzerin. Auch schön. Ich find’s angenehm, von einem Werk begleitet zu werden, das mir Schnittchen anbietet; das nicht nachtragend ist, wenn ich es aus dem Blickfeld verliere; das mir nicht zwingend abverlangt, mich heillos daran zu überheben.
    Es grüßt Dich
    Dritti

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  2. Liebe Dritti,
    Du bist ja reizend! – Ja, hätte ich nur drei Tage noch gewartet, würde es einem zufällig hereinstolpernden Besucher vielleicht gar nicht sofort aufgefallen sein, dass der Denkmuff ein ganzes Jahr geschlafen hat. So habe ich mich gleich verraten! Macht aber nix, es war eben heute der Tag, wo es an der Reihe war, mal wieder Laut zu geben. Zum Glück ist es nicht groß aufgefallen, nur Du, Luchsauge, bist mir gleich auf die Schliche gekommen – und ein paar Spurlose (ich glaube, fünf waren’s).
    Was Du schreibst, trifft gut das diskrete Benehmen bestimmter Bücher. Nur sone möchte ich lesen.
    Schöne Grüße
    Meinolf

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  3. lieber meinolf,
    hab dich auch bemerkt (mit uwe johnson unterm arm, sozusagen) und mich sehr gefreut über die wiederbelebung am denkmuff. immer lese ich deine beiträge mit genuss und gewinn – ja, das sollst du wissen!
    herzlichen gruß:
    pega

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  4. Liebe Pega und lieber Jürgen,
    entschuldigt, dass ich so spät antworte, ich war ein paar Tage schachmatt gesetzt – und habe es deshalb auch nicht früher als heute geschafft, die Jahrestage bis zum 2.9.1967 zu lesen. Jetzt bin ich im Takt.
    Ich habe versucht, einen Buchhändler, von dem ich weiß, dass er (privat) Johnsonianer ist, dazu zu bringen, die Mutmassungen über Jakob in sein Programm zu nehmen; er sah mich skeptisch an.
    Heute abend gehe ich zum Sommerfest im Literarischen Colloquium, das der Suhrkamp Verlag ausrichtet und das besser Herbstfest heißen sollte, so wankelmütig wie das Wetter ist. Ich kann viele Leute auf einem Fleck schwer ertragen, deswegen ist es wahrscheinlich ein Fehler, aber eine Freundin wird da sein, dann geht****

    *************************************++*********************************Ä+*

    ’s.
    Oh, mein Computer ist elf Jahre alt, er wollte nicht so schnell mit dem Apostroph herausrücken.
    Ich nehme Schmerztabletten mit, dann kann nichts schiefgehen.
    Herzlich,
    Meinolf

    PS Jürgen: Grüß den Niederrhein, vor allem die Kühe.

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