PJ Harvey, Uh Huh Her

„Wenn Sie einen Schriftsteller lesen, der keine Nachtseite hat, so handelt es sich um leichte Kost”

hat Giorgio Manganelli gesagt. Das lässt sich natürlich auch auf Musik übertragen. Die britische Rocksängerin und -gitarristin P(olly) J(ean) Harvey, geboren am 9. Oktober 1969, hat mit Problemen sicher kein Problem; allein Songtitel wie „Shame”, „The desperate kingdom of love” oder „The darker days of me & him” zeugen davon, dass ihr Gutdraufität und Surferhimmelblau eines Jack Johnson abgehen.

14 Tracks hat Polly Jean auf das Nachfolgeralbum vom 2000er Stories from the city, stories from the sea gepackt, eingespielt und produziert in Eigenregie, unter Mithilfe nur des Drummers Rob Ellis.
War jene Platte vergleichsweise poppig ausgefallen, zeigt sich Harvey auf Uh Huh Her wieder sperriger, streng, auch punkig-aggressiv („Who the fuck?”), ohne indes auf Zärtlichkeit und Schönheit zu verzichten. Die Musik ist – bei der Minibesetzung kein Wunder – reduktionistisch angelegt, manche Stücke besitzen eine wunderbare Initimität und Verletzlichkeit („Slow Drug”), andere sind vor allem laut („Cat on the wall”), doch überwiegt das introvertierte Moment bei weitem.

Von Antonin Artaud stammt der Ausspruch – wie Ralph Zimmermann, Held von Sibylle Lewitscharoffs jüngstem Roman, Consummatus, ist der Rezensent ein „Krückendenker”, hat „immer Text um sich geschart”, braucht Gewährsmänner & -frauen, die ihn „einen Gedanken weit” begleiten -:

„Theater machen heißt, die Sprache zerbrechen, um auf das Leben zu stoßen.”

Ich weiß nicht, was PJ Harvey zerbricht; feststeht, dass auch sie auf „das Leben” stößt. Das gilt für alle Songs dieses hervorragenden Albums, seien es die nur mit Gitarre und Perkussion instrumentierten, zugleich labil und stark wirkenden „You come through” und „Pocket Knife”, das bereits erwähnte, von Möwenkreischen vorbereitete „The darker days of me & him” oder das düstere, inständige „It’s you”, eine wahre Schmerzensmusik, die mit einer schleppenden, kreisenden, resignativ-absteigenden Klavierfigur beginnt, die dreimal wiederholt wird – begleitet von Beckenschlag und Trommel -, ehe sich der E-Bass einschaltet und der Anfangsphrase lapidar/killermäßig in die Kniekehlen tritt … Später öffnet sich dann doch so etwas wie ein Fenster, das Klavier setzt mit größerer Energie wieder ein, die Stimme schwingt sich auf, wird drängender – ein schöner, starker Moment; dann sind der Bass, das müde Schlagzeug wieder da, der Gesang sinkt in sich zusammen, und das Stück ist aus.

Am Rande sei erwähnt, dass in den Credits Don Van Vliet „very special thanks” entrichtet werden, d. i. niemand anderes als Captain Beefheart, Pate aller Independent Music, der mit seiner 1964 gegründeten Magic Band, von den Plattenbossen beargwöhnt, großartige Platten eingespielt hat, darunter das radikale, aufwühlende Werk Trout Mask Replica. Es ist schön, dass anno 2004 jemand an das Genie Van Vliet erinnert, und dass dieser jemand PJ Harvey ist. Graham Bookish

[Wiederveröffentlichung aus dem (eingestellten) Blog Monnier Beach, 8.3.2007]

2 Kommentare zu „PJ Harvey, Uh Huh Her“

    1. Ja, so hat er geschrieben, Graham Bookish, der Musik-Mann von Monnier Beach. Ich war immer für die Lyrik zuständig und hatte einen förmlicheren Stil. Hab ich ja immer noch!

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