imaginär

Ich weiß nicht warum, aber als ich neulich im Konferenzraum einer Notarin saß, die beglaubigen sollte, dass ich eine Urkunde unterschrieben habe, da kam mir in den Sinn, unter welchen Umständen ich das Wort „imaginär” gelernt habe. Es war zu Schulzeiten, im ersten Jahr meiner Teilnahme an der Theater-AG. Wir probten Unsere kleine Stadt von Thornton Wilder, ich war der Zeitungsjunge, der morgens durch den Ort ging und die Zeitungen vor die Haustüren schleuderte, wo wahrscheinlich schon Milchflaschen und Brötchentüten standen und lagen. In der Regieanweisung stand: „wirft die imaginären Zeitungen in die imaginären Hauseingänge”, oder so ähnlich. In der Szene kam auch ein Knie vor, das das Wetter vorhersagte, und ein Doktor Gibbs, der einzige Arzt des Ortes, der vermutlich nicht nur seine Patienten, sondern auch deren Familien mit ihren Krankengeschichten rückwärts bis in die Zeiten von George Washington und seiner Martha kannte, kann ja sein. Ich konnte mir nie merken, ob sich der Name Dschibbs oder Gibbs sprach, war aber sonst textsicher. Das Wort „imaginär” kannte ich allerdings nicht, und ich fragte einen oder eine von den Großen. Mir wurde gesagt: Imaginär heißt: nur eingebildet, nur in der Vorstellung vorhanden. Das habe ich dann ein für alle Mal gewusst.
Im Konferenzraum stand ein großer Ficus, eigentlich zwei. Im Juli/August habe ich hin und wieder für eine verreiste Freundin Pflanzen gegossen, zu denen auch ein Ficus gehörte, deswegen entwickelte ich gleich ein brüderliches Gefühl und sah, während ich wartete, in seine Ecke hinüber wie vielleicht zu einem Hund, der dort hätte liegen können, mit zappelnden Pfoten im Schlaf.
Statt mir das Geld herauszugeben, sagte die Notarin fröhlich: „Den einen Cent behalte ich – für’s Glück!”
Ich widme dieses kleine Stück dem Epizentriker, der neulich etwas vorwurfsvoll reagierte, weil ich im Denkmuff nicht die Geschichte von dem Weißrussen in der S-Bahn aufgeschrieben habe, der – glänzenden Auges vor Bewunderung für den Führer – P. und mir seine Hakenkreuztätowierung gezeigt hatte, indem er seinen schlabbrigen Pullover am Kragen weit herunterzog und sich weit zu uns vorbeugte, wie zum Pinkeln oder Kotzen. Wir sprachen bei der Gelegenheit beiläufig über das Bloggen, wie ich es betreibe: Könnte ich drüber schreiben, aber … nein.
Und in diesem Fall: Wozu das Hässliche verdoppeln?

4 Kommentare zu „imaginär“

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