Sonic Youth, Murray Street

Als Übernahme aus meinem (eingestellten) Blog Monnier Beach eine Besprechung des Albums Murray Street von Sonic Youth – im Gedenken an meinen verstorbenen Freund Jürgen Behet (1957-2015), der allerdings mehr ein Jazzer war.

images.duckduckgo.comGut rockende Postrock-Platte, die erste, bei der Jim O’Rourke als offizielles fünftes Bandmitglied mit dabei ist.

Nach dem flotten, euphorisierenden und zu großer Form auflaufenden Einstieg The Empty Page schalten die Musiker im zweiten Stück, Disconnection Notice, einen Gang zurück und überraschen mit einem satten, majestätischen, in die Knie zwingenden Sound. Zweifellos ein (früher) Höhepunkt des Albums.
Das nachfolgende, weitgehend nur instrumentale, Rain On Tin hat einen interessanten Aufbau:
Nach einer etwa einminütigen Intro, die durch die vereinten machtvollen Schläge von Gitarren, Bass und Schlagzeug und den Gesang Thurston Moores gekennzeichnet ist, geht es filigran, und nun textlos, weiter; Steve Shelleys weit nach vorn geholtes Schlagzeug unterstützt mit seinem gleichmäßigen, langsam sich ändernden, zunehmend dichter gerührten Rhythmus die repetitiven, einander überlagernden, plinkernden Gitarrenmuster von Moore, Ranaldo und O’Rourke, die Schläge des Anfangs werden wieder aufgenommen, und so geht’s crescendo, decrescendo, weiter einen Weg, der immer nur bis zur nächsten Kurve einsehbar bleibt.
Ein faszinierendes Spiel mit der Neugier des Hörers, das sich in Karen revisited (der Titel bezieht sich auf den Song Karen aus dem Goo-Album von 1990) auf ganz andere Weise fortsetzt.
Das Stück – Herz und Fluchtpunkt des Albums – bricht nach drei ziemlich straight rockenden Minuten plötzlich weg und wird ganz von einer neutralisierenden, fiependen und blinkenden Klang-Ursuppe zugeschüttet, in der als schwebende Mikroorganismen zahllose small sounds vor sich hin pluckern, die erst nach und nach pulsierende Gestalt annehmen und sich zu einem Pochen steigern, das dann wieder zerschleiert. – Spannend zu verfolgen, wie das zunächst frei wabernde, tanzende Klang-Plankton mit langsam und sicher geschwenkter Reuse wieder eingefangen und zuletzt als runde Sache an Bord geholt wird. Die klassische Songstruktur wird hier flachgelegt wie ein Zelt, andere Formen der (auch Zeit-) Organisation treten an ihre Stelle, die die nun gesanglose, echoreiche, submarin wirkende Musik problemlos über sieben äußerst faszinierende Minuten tragen. Das Ganze ist so etwas wie die Sonic Youth-Version von „Revolution 9“ und könnte unter dem Motto „Deconstructing Karen“ laufen. Sehr gutes Teil.

Nach dem kontemplativen Ausklang von Karen revisited schlägt das Pendel im nachfolgenden, von einem Mords-Gitarrenriff angetriebenen, Radical Adults Lick Godhead Style wieder eher in Richtung hard & heavy aus; der eigentlich unschnelle Track bekommt durch die Mitwirkung der beiden energy play-Saxophonisten Jim Sauter und Don Dietrich, die das Rhythmus-Gerüst mit rasend-roter Farbe überpinseln, eine abgefahrene brötzmannsche Note: ein schöner Spaß!
Kurz vor der Zielgeraden ist in der up-tempo-Nummer Plastic Sun dann zum ersten Mal Kim Gordon zu hören, die auch im exquisiten, abgeklärt-abgehangenen Sympathy for the Strawberry das Singen hat. (Natürlich denkt man sofort an „Strawberry Fields“, wie ja auch der Albumname auf die Beatles verweist [Abbey Road]. Offensichtliche stilistische Referenzen gibt’s aber keine. NB: Das Coverfoto von Monique Voorhout, „Stella and Coco in Hoofdplaat, 2001“, zeigt zwei kleine Mädchen beim Erdbeerpflücken.)

So endet Murray Street, eine feine Platte, die einmal mehr die Klasse von Sonic Youth beweist, der seit 1981 bestehenden New Yorker Band, die mit Recht stolz darauf ist, daß sich ihr Publikum immer noch zum größten Teil aus Teenagern und Twens zusammensetzt.

Sonic Youth Murray Street. Geffen Records, New York (N.Y.) 2002.

2 Kommentare zu „Sonic Youth, Murray Street“

  1. Na ja, das war vielleicht übertrieben … Natürlich lasse ich mir’s gern gefallen, es freut mich! Ich finde den Artikel übrigens sehr gut. MB setzt sich ernsthaft und fair mit MG auseinander (und kundig, um die Vokabel einmal auf ihn selbst zu münzen, der es viel mehr verdient), zieht trotzdem auch halb belustigt, halb skeptisch eine Augenbraue hoch, scheint mir, mit Sympathie aber.
    Die Rezeption von Literatur, die ein bisschen ungesichert und merkwürdig in der Landschaft steht, ist total interessant.

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