Der erste Schnee

Schön, dass es heute geschneit hat. Es könnte noch ein bisschen doller sein für meinen Geschmack (es hat auch bald wieder aufgehört und alles ist geschmolzen), aber immerhin. – Stundenlanger Schneefall: das wär’s! Ich schätze es, wenn Menschen maßvoll und zurückhaltend sind, aber die Natur wünsche ich mir maßlos! Das ist noch nicht ausbalanciert.
Schon gestern hatte ich mir verschiedene Aufnahmen von Debussys Klavierstück „Des pas sur la neige” (Schritte im Schnee, 1909/10) angehört. Am besten gefällt mir die verwunschene, unerhört zarte, zögernde Interpretation von Marcelle Meyer, 1956 aufgenommen; sie lässt sich alle Zeit (#1). Arturo Benedetti Michelangeli, gegürteter Ritter im cremefarbenen Rollkragenpullover (#2), schlägt ein noch langsameres Tempo an, aber seinem Spiel fehlt die – vielleicht auch der Monoaufnahme geschuldete – wattige Qualität von Meyers Darbietung und erscheint mir vergleichsweise zu robust, zumal im Hinblick auf den forsch angeschlagenen Schlussakkord, dessen unwirkliches, jenseitiges Leuchten von Marcelle Meyer auf unübertreffliche Weise wiedergegeben wird; da hilft Benedetti Michelangeli dann auch die Langsamkeit nichts – wobei die Tempowahl gewiss kein Qualitätsmerkmal an sich ist, trotz der Spielanweisung „triste et lent” (traurig und langsam). Walter Gieseking (1953, #3) nimmt sich z. B. nur knapp dreieinhalb Minuten Zeit, erfasst aber auch den Charakter der Musik, wie übrigens auch der schnellste der vier, Alfred Cortot, dessen Aufnahme aus dem Jahr 1930 stammt (#4), einer Zeit, da die Aufnahmetechnik noch nicht weit fortgeschritten war, was der Musik aber entgegen kommt, da die Töne, denen ein eifriges Knistern den Teppich ausrollt, wie von einem Schimmer umhüllt klingen … und auch bei Cortot ist der schillernde Schlussakkord wunderbar.

Heiligabend und den ersten Weihnachtstag habe ich, entspannt und heiter, im Kreis nahverwandter Familien verbracht. Meine kleine Nichte hielt mich für ihren Opa (aber das war schon vor ein paar Tagen) … Gestern packte ich die Geschenke aus, eine DVD („Tee mit Mussolini”) von A., mit einer sehr schönen, akkuratest geschriebenen Karte aus Florenz nebst zwei Tütchen Englischen Tees; ein Kistchen mit Gebäck von J., hergestellt in ihrer Biobäckerei – toll! Außerdem gab’s, von A., Lakritztee, feine Schokolade und Plätzchen, und, paar Wochen vorher schon, als es zum ersten Mal kalt war, Handschuhe. Mein Chef in der Buchhandlung überreichte mir seine, gemeinsam mit dem Berenberg Verlag veranstaltete, Jahresgabe (Jeffrey Yang, Yennecott) und eine Flasche Grauburgunder. Pit Engstler danke ich für das Büchlein I Am The Zoo von Nele Brönner und Monika Rinck – halb Geschenk, halb Rezensionsauftrag -: hübsches Teil! … Besonders beglückend auch der Dual-Schallplattenspieler von B., den er schon zum 3. Advent herbeitrug, nebst Platten von Jacques Brel, Erik Satie, Ideal und Little Feat – eine wilde Mischung – – und wie erst in Verbindung mit denen, die P. gekauft hatte (Iwan Rebroff, Barry White, Explosion Party)!
Ich freue mich auch über eine Einladung nach Warschau.
Auf Reisen gehen, das wäre sowieso mal ein Ziel.

10 Kommentare zu „Der erste Schnee“

  1. Lieber Meinolf, du Frühaufsteher, hier is ooch der erste Schnee … Ein Päckchen, das ja nicht ‚Jahres-Endzeit-festlich‘ festgelegt sein muss, bring ich dann mal selber nach Bärlin, vlt. ein paar Kilo Klassik-Vinyl oder Weinbergkäse oder ‚Hassenichtgesehen‘ – apropos nochmal gesehen: Oskar Roehlers „Quellen des Lebens” – er lässt ja kein Klischee aus – wo man (nicht?) drauf rumkloppen könnte – naja … Guck dass die Füße warm bleiben und der Kopf kühl … Gruessle vom Niederrhein
    Tobias

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  2. Lieber Tobias, ach, seit ich nicht mehr bei Landgard arbeite, stehe ich auch nicht mehr so früh auf. Mit oder ohne Käse und Vinyl – eine Schlafgelegenheit ist für Dich (und die niederrheinischen Freunde en général) immer vorhanden! Also komm Du gerne nach Berlin, das übrigens weniger ein Bärlin als ein Fuchslin ist, wie berichtet wird. Ich habe noch keinen Fuchs gesichtet, aber A. sagte, neulich sei einer neben ihr her „gelatscht”. Mindestens im März, vielleicht auch (zusätzlich) früher, fahre ich meinerseits westwärts, mein zweitältester Bruder wird dann sechzig und wird in K. feiern.
    Gestern rief Esther an, und wir sprachen auch von „Quellen des Lebens” und traumatisierten 68er-Kindern (neben Oskar Roehler wäre Michel Houellebecq zu nennen). Sie empfahl mir bei der Gelegenheit „Melancholia” von Lars von Trier. Kennst Du den?
    Liebe Grüße, auch an die Mischpoche, M.

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  3. Ah, ich liebe es, Musik beschrieben zu bekommen. Das hat so eine ganz eigene Prosa, und obwohl ich so schnell „Des pas sur la neige” nicht anhören werde, habe ich doch schon die Klänge im Ohr, so ungefähr, als ein Zwischending zwischen Note und Wort.

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    1. Na ja, der Winter ist ja gerade mal eine Woche alt, da bleibt noch hinreichend Gelegenheit, Debussy zu hören. Und sonst im nächsten Winter. Jedenfalls kann ich die Musik nur empfehlen! (Wann gibt das Leben schon Ruhe – zum Musikhören, Lesen … -, wenn nicht in den dunklen Monaten!?)

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  4. Danke, liebe PegaMund, Grüße zurück! Hier ist der Zauber – vorläufig – schon wieder vorbei, aber dafür sind die Temperaturen winterlich geworden. – Schade, dass ich das Büchlein aus der Friedenauer Presse nicht hier hab, mit Gedichten und Prosa von Anna Achmatowa (Vor den Fenstern Frost), das wäre jetzt die passende Lektüre. Einzelne Verse, Versfetzen eher, sind mir hängengeblieben: „… eine himbeerrote Sonne über dicken Nebelschwaden … Ruhe in dem weiten Zimmer, vor den Fenstern Frost … Ach, wie sieht der Hausherr schweigend jetzt genau auf mich! Er hat Augen, die sind so, dass sie keiner mehr vergisst – besser ist’s, wie ich mich kenne, gar nicht erst hineinzusehen … Und erinnern werd ich mich: Reden, Nebel, Sonntagmittag in dem Haus, das grau und groß am Meerestor der Newa steht.” … Da hat sie über einen Besuch bei Alexander Blok geschrieben, ganz eindrücklich. – Ich will nur sagen: das hätte ich als Gruß herübergeschickt, wenn ich den Wortlaut zusammenbekommen hätte. Hol ich nach.

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  5. Ach ja, der Schnee, ein paar Flöckchen waren es auch bei uns hier in L. am zweiten Weihnachtstag. Aber trotzdem sehr schön. Eine gern entgegengenommene Entschädigung für die klirrende Kälte und ein Beweis für die Sanftheit und Milde des Himmels. Vielen Dank für die Hinweise mit Links zu den Debussy Aufnahmen. Ich habe nur minimale Kenntnisse in diesem Bereich und freue mich über jede Empfehlung. Außerdem lese ich hier etwas über Melancholia von Lars von Trier. Ein Meisterwerk und m. E. ein gutes homöopathisches Mittel zur nachhaltigen Beseitigung winterlicher Depressionen.

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  6. Diese Nacht fiel hier Neuschnee, und es kommt mir so vor, als wäre ich um zwanzig vor zwei nur deswegen aufgewacht, um mindestens eine halbe Stunde lang vom Fenster aus dem Schneien zuzusehen. Diesmal waren es dünne, flirrende Flocken; ausdauernd. „Beweis für die Sanftheit und Milde des Himmels” – das ist schön gesagt. Ich mag den Schnee, und überhaupt wilde Wetterlagen, weil die Welt dann undeutlicher, unschärfer wird, und das entspricht ein bisschen der Weise, wie ich mein Leben wahrnehme. Ich blicke nämlich überhaupt nicht durch, mir ist der Sinn der Veranstaltung (die mich immerhin nicht langweilt) schleierhaft … Ich mache etwas, wie alle Leute, klar, aber es ist vielleicht beliebig, und vielleicht verfehlt es den Sinn.
    Na ja, gut, ich muss jetzt erst mein Fahrrad zur Reparatur bringen (in Berlin sind Straßen und Radwege traditionell verglast) und dann sehe ich mal in der Bibliothek, ob sie den Film da haben. Aber wahrscheinlich sitzt die Bibliothek diese Woche zu Hause und trinkt Kaffee.
    Weitere Links sind übrigens unter der Rubrik „Klassische Musik” zu finden: der Anfang einer subjektiven Auswahl, Fortsetzung folgt.

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  7. Ah, „The snow is dancing” – diese Musik ist natürlich auch zauberhaft! – und von Cortot mit äußerster Delikatheit gespielt, sehr fein! … mit „puderzuckerleichter Hand” (M. Rinck).

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