Theater im Alltag

„Ich wünsche dir noch einen wunderschönen Tag!”, sagte bestgelaunt der Mann vom Fahrradladen
und zeigte eine blitzende Zahnlücke.
„Wünsch‘ ich dir auch!”, sagte ich und nahm mein Fahrrad an die Hand.
(Im Weggehen sah ich, wie er seine beiden Kollegen, die zum Rauchen vor die Tür getreten waren,
an die Arbeit zurückzuscheuchen versuchte. Sie wichen etwas schwankend zur Seite, um nicht
von seinem Elan getroffen zu werden.)

Auf der Kreuzung beim Humana stand ein Polizist neben seiner Maschine, machte gebieterische Armbewegungen, die noch die Spitzen seiner weißen Handschuhe strafften, und blies rhythmisch
in eine Trillerpfeife.
Als ich weiter oben die Stromstraße überqueren wollte, warteten da ein paar Leute, aber die Ampel
war außer Betrieb. Polizisten auf bewimpelten Motorrädern flippten die Straße auf und ab, und da
wehte auch schon das schwarze Wölkchen Prominenz vorbei, drei, vier Politikerautos, eskortiert
von einer Motorradstaffel in Formation, vorne und hinten, wie französische Anführungszeichen,
oder Wildgänse.
Sie waren jetzt vor der Brücke nach Wedding, perspektivisch verkleinert und lautlos und (dort in
der Entfernung) in ihrer soeben noch knapp und prall behaupteten Wichtigkeit nicht mehr zu begreifen,
wenn überhaupt je.

1 Kommentar zu „Theater im Alltag“

  1. Ab und zu ist es aufschlußreich, die Nachbarschaft als Samoa Häuptling zu betrachten, eh? Besonders gefällt mir das Prominenzstück. Gut gesagt! Eine sonderbare Form von Würde, diese Protokolle. Sie muten mich immer von Gestern an. Soeben bei der Zeitungslektüre der letzten Woche fiel mir auf, dass die Nachfahren der Maori, wie sie auf der Zeremonie zur Einweihung der Ausstellung teilnahmen, selbst gar keine Tätowierungen trugen. Das war mir beim Fernsehreport gar nicht bewußt geworden, weil ihre Gesichter und Haltung soviel wirkliche Würde ausstrahlten.

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