22. open mike

Einen Tag nach Ende des open mike komme ich zum Schluss, dass den Autorinnen und Autoren Ununterscheidbarkeit nicht nachgesagt werden kann, auch wenn sie auf mich den Eindruck machten,
als Person auf keinen Fall herausragen oder auffallen zu wollen. Ich schiebe das aber auf den Anpassungsdruck, der in unserer Gesellschaft herrscht, und mit dem sich jeder auf eigene Weise herumzuschlagen hat. Niemand wurde laut oder provozierte, nur einer von 22 ‚riss‘ die Beschränkung von 15 Minuten Vortragsdauer. Störend war das Johlen, immer mal wieder, der mitgebrachten Fanbase, das zu einem gesitteten Lesewettbewerb, bei dem es nur um Texte und ihren Vortrag geht, ohnehin nicht gut passt.

Mir gefielen die knappen Gedichte der Eva Maria Leuenberger aus Bern und das Kawuppdich der Prosa von Nora Linnemann; auch die Geschichte von Gerasimos Bekas, der den taz-Publikumspreis gewann, sagte mir zu – offenkundig, dass Bekas sein Schreiben aus dem Leben schöpft und nicht aus den Papierhaufen anderer Schreibender. (Viel lesen kann ja nicht schaden, schon um zu sehen, was Sprache kann, und was in ihr möglich ist, aber es ist nur eine Trockenübung. Leben muss auch sein, mindestens Beobachtung des Lebens, oder Erinnerung daran, mag man sich inzwischen auch tot fühlen oder unlebendig, das ist egal.)
Überflüssig fand ich wenig. Die Texte von Michael Wolf, von René Weisel – kann man in der Kneipe lesen, wenn schon alle besoffen sind und es eh wurscht ist.

Die Gedichte von Kathrin Bach hatten was. Die teils kühnen Bilder schienen mir aber
zu groß oder zu schwer für sie; da muss sie erst noch hin, überzeugend schreiben zu können, dass der Himmel wie ein Kran zwischen die Häuser ragt und in die Erde fährt. Diese Art aber, die äußere Wirklichkeit als eines zu nehmen, von dem die Wirklichkeit der Sprache deutlich zu unterscheiden ist (trotz beider Berührungspunkte), begrüße ich und halte ich für fruchtbar für die Erfindung tollster Metaphern.
Nur ihre Dichterinnenattitüde, ihr feierliches Übersblattgeducktsein … schwer zu ertragen.

Als schrecklich (von der Claque bejohlt) verbuche ich den Auftritt von Walter Fabian Schmid,
was auch mit Überempfindlichkeiten meinerseits zu tun hat: Abneigung gegen Mützen, gegen Vollbärte, gegen nerdige Brillen, gegen exzessiven Gebrauch des Englischen, gegen Künstlermittelnamen.
Schmid trat auf wie ein Bilderbuch-Hipster. Aber was ist spießiger als Hipness?

Arnold Maxwills etwas monotoner Vortrag seiner Gedichte bot für mich dann einen versöhnlichen Schluss. Dieser Dichter kommt vom Niederrhein, und es war schön, nach vielerlei Wortfertigkeit (gegen die nichts zu sagen ist, die aber auf Dauer öde ist wie ein blitzblauer Himmel) plötzlich Sprödheit und krähenschwarze Stoppelfeldernacktheit in einer Sprache aufgehoben zu finden, die nichts Auftrumpfendes hatte – so wenig wie Maxwill selbst -, nichts Geschmeidiges und Poliertes.
Maxwill ging bei der Preisvergabe leer aus, aber das soll ihn nicht verdrießen. Mit eigenem Ton in der Tasche kann ihm nichts passieren. Gegen die, die nur ein Schema und eine Masche drauf haben, wird er sich behaupten können, à la longue. Und das meinte ich, als ich schrieb, dass ich an die zähe Unzulänglichkeit glaube.

Litradio hat alle Lesungen mitgeschnitten.

11 Kommentare zu „22. open mike“

  1. Meinolf, ja, Kathrin Bach hörte (und sah) i kürzlich in München lesen; ihre Texte packten mich auf eine Art sehr, wow, Potenz(ial) ist da, ein Zugriff; aber auch ein Weg noch zu gehen … LG

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  2. Dann haben wir also eine ähnliche Einschätzung, was mich geneigt macht zu glauben, dass wir Recht haben.
    Ja, Lyrikpreis München, daher kannte ich ihren Namen, hatte aber weder von ihr noch vom (Haupt-) Preisträger Markus Hallinger etwas gelesen, auf den ich neugierig bin (nach dieser Beschreibung: http://bit.ly/1zjkFQ3). Nur Konstantin Ames, über dessen ersten beiden Gedichtbände ich geschrieben habe (siehe http://bit.ly/U5AISp und http://bit.ly/1B7TY5A [4. Ausgabe, nicht online]), war mir ein Begriff, und es freut mich, dass auch er ausgezeichnet wurde.
    Liebe Grüße zurück

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  3. Kann sein, ich bin nicht die Sprachpolizei. Mir schien es ein passendes Wort; wenn es aus Versehen
    19. Jahrhundert ist … Übrigens behaupte ich nicht, im Falle Walter (Fabian) Schmids richtig zu liegen, zumal ich mich hier auch deutlich nur auf seinen Auftritt und kaum auf seine Texte beziehe, abgesehen von meiner Kritik am überstrapazierten Gebrauch des Englischen: eine Manier, oder eine schlechte Angewohnheit, die mich akut langweilt.
    Mein spontaner Höreindruck war, dass Schmid solcherart Gedichte nach Belieben und in beliebiger Anzahl herstellen kann, und das macht mich misstrauisch. – Gedichte dürfen von mir aus gerne wortreich sein, aber wenn sie es auf glatte Weise sind, wenn kein Witz darin ist, dann finde ich sie uninteressant, und ich erdreiste mich zu sagen: dann sind sie uninteressant.
    Ich müsste noch mal nachhören, was Hans Jürgen Balmes in seinen einleitenden Worten gesagt hat, um mein negatives Urteil mit seinem positiven Urteil zu konfrontieren.

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  4. Wieso Fabian in Klammern? Das ist sein bürgerlicher Name …
    Was Balmes gesagt hat, können wir uns schenken. Das hat bei keinem der Lyriker einen wirklichen Mehrwert gehabt. Ebenso Ihre Äußerungen, ob lobend oder abwertend. Dichterinnenattitüde, weil man übergebeugt liest? Wie soll man so etwas vernünftig begründen?
    Sie beleidigen hier jemanden, weil Ihnen sein Aussehen nicht passt und nennen es Kritik, das ist doch lächerlich. Als würde ich sagen, Sie haben eine weiße Afrofrisur und deshalb keine Ahnung!
    Und wenn Sie Schmids Gedichte als „glatt” und „ohne Witz” bezeichnen, sollten Sie wirklich dringend nochmal nachlesen. Ich kann mich wirklich nicht erinnern, wann ich zuletzt derart hanebüchene, aus der Hüfte (oder tiefer?) geschossene Kommentare über Autoren gelesen habe.

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  5. Selbstverständlich bieten meine Äußerungen keinen Mehrwert. Darum geht es doch gar nicht.
    Und darf ich nicht ein bisschen polemisch sein, und vielleicht sogar beleidigend? Wäre es besser, ich schriebe, alle hätten ihre Texte supertoll gelesen? Auch das ließe sich als Beleidigung auffassen – allerdings in der Wirkung schwerwiegender als meine (wie ich finde) harmlose Bosheit, weil sich keine Auseinandersetzung daran anknüpfen lässt.
    Mein Interesse ist es allerdings nicht, jemanden zu beleidigen. Mir geht es um die Literatur.
    Daher ist unser Disput einigermaßen unsinnig, denn ich habe die fraglichen Gedichte nicht zur Hand;
    Sie haben mit der Ermahnung, sie noch einmal nachzulesen, absolut Recht. Ohne dies kann ich in der Tat nicht nachprüfen, ob sie z. B. Witz haben oder nicht, oder ob sie tatsächlich einen so hohen englischsprachigen Anteil aufweisen, wie ich es in Erinnerung habe.
    Vielleicht ist im Post und im Kommentarthread (sic) nicht klar geworden, dass allein die Lesungen Grundlage meiner Kritik sind, und nicht das gleichzeitige oder nachträgliche eigene Lesen der dargebotenen Beiträge – dann hätte ich mich genauer fassen können und vielleicht meine Eindrücke revidiert.
    Beispielsweise sind mir Robert Striplings Gedichte, als ich sie ganz zu Beginn des Wettbewerbs hörte, nicht besonders aufgefallen; als er eines davon bei der Preisverleihung noch einmal vortrug, hat sich meine Einschätzung gewandelt.
    Von Ihnen, die Sie offenbar eine bessere Kenntnis der Schmid’schen Gedichte haben, ist aber, nebenbei, auch noch nicht viel Sachdienliches gekommen. Erzählen Sie doch mal: worum geht’s?
    Übrigens: „weißer Afro” trifft’s sehr gut!

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  6. Jetzt wird’s absurd. Wenn es Ihnen nicht um Mehrwert geht, wozu dann das Ganze? Selbstdarstellerei? Zeit totschlagen?
    Ich will gar nicht mit Ihnen über Schmids Gedichte diskutieren, weil es mir ehrlich gesagt egal ist, ob sie Ihnen gefallen oder nicht. Mich brachte nur die Art und Weise Ihrer ins Nichts führenden Polemik auf die Palme. Sie haben es ja selbst zugegeben … mit Dreck werfen für nichts und wieder nichts.

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  7. Um mein Gefallen oder Missfallen an den Gedichten geht es an dieser Stelle unseres Wortwechsels nicht (aus dem genannten Grund: mir fehlen für eine eingehendere Kritik die Texte). Um Ihre Wertschätzung könnte es aber gehen, und die interessiert mich auch – wenn Sie denn mitspielen wollten. Aber gut, bleibt der Streit Fragment. Danke bis hierher. Beste Grüße

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  8. „Mehrwert“ interessiert mich. – By that way: Jemand, der an Überempfindlichkeit leidet, wirft doch nicht mit Dreck, wenn er einen „bejohlten“ Auftritt eines vielleicht “Bilderbuch-Hipster“ als „schrecklich“ verbucht. Es gibt nun einmal Aversionen, die kommen nicht von ungefähr; sie können sich gebildet haben. Doch, was kümmern mich die Befindlichkeiten der Kritiker.

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