Die schöne Stofflichkeit

A. brachte mir eine Schreibmaschine mit, eine Triumph „Gabriele”. Ich habe die ersten Sätze getippt,
die ersten nach vielen Jahren. Das leise Klingeln am Zeilenende hatte ich schon vergessen gehabt.
Ich habe den Widerstand beim Tippen unterschätzt, die Langsamkeit eines solchen Schreibens: Die Typenhebel, die sich in die Quere kommen, der schwache Abdruck mancher Buchstaben, der es erforderlich macht, die Schreibwalze zurückzubewegen und die jeweilige Taste noch einmal, mit mehr Kraft, niederzudrücken.
Und doch ergibt sich ein schmächtiges Schriftbild.
Es war komisch, im Hobbyladen nach Schreibmaschinenpapier zu fragen.
Muss sich auch mit Papiergewicht beschäftigen: das Papier zu 80 g/m², das zu 90 g/m² oder das zu 120 g/m²? Fasziniert von Materialität und Schwere, wählte ich das dicke Papier.
Der Computer hat vieles an den Rand gedrängt, aber es ist noch alles da, was es vor der Computerisierung gab, das ganze alte Schreibmaterial: Bleistifte, Füller, Kulis, Anspitzer, Radiergummis, Tinte …
Nicht, dass ich nicht immer Bleistifte gehabt hätte. Aber jetzt wusste ich nicht mehr, welcher Härtegrad der für meine Zwecke geeignete wäre (in Bücher schreiben, Anstreichungen machen).
Das Buch, das ich las, war 1978 aus der Druckerpresse gekommen – das Impressum gab genau an:
„le 16 janvier 1978”, denn französische Bücher haben ein Geburtsdatum … und einen Geburtsort, was sie gleichsam in den Stand von Wesen erhebt, mit Anspruch auf sorgliche Behandlung –, die Buchstaben saßen auf weichem, etwas sprödem Papier, das im Laufe der Zeit nachgedunkelt war.
H war zu hart. Ebenso gut hätte ich mit einer Nadel schreiben können, dass „tourbe” Torf heißt.
Dann kaufte ich einen 2B, und heute noch einen B. Die Minen waren so spitz zulaufend, dass ich nicht glaube, sie selber in dieser Weise anspitzen zu können.
(Meine koreanische Mitbewohnerin sagte, sie könne mir zeigen, wie man Farbband herstellt.
Das hat mich erstaunt. Sie studiert Mediengestaltung, so etwas Konkretes hatte ich mir aber nicht darunter vorgestellt.
„I’m addicted to technology”, sagte sie.
Diese Widersprüchlichkeit habe ich wohl auch.)

5 Kommentare zu „Die schöne Stofflichkeit“

  1. Das gefällt mir ganz und gar, die Reise in die Welt der Dinge und wie man mit ihnen umgeht. Feine Sache! Ich bevorzuge auch Bleistiftstärke B. Sie ist weich genug, hat aber noch Kante. Das mit dem Geburtsdatum (auf den Tag genau) von französischen Büchern war mir noch nicht bewußt gewesen.
    Es ist gut so.

    Gräfin von Maltzahn, die in der Nazizeit verdonnert war, im Postamt Nazi-Kritiker zu erspitzeln und immer gefährliche Briefe einfach aufaß, ärgerte sich über von Keyserling (Hermann), der in seinen Briefen gefährlich zu plaudern liebte. Er schrieb immer auf schwerem Büttenpapier.

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  2. Büttenpapier essen, das würde mir auch nicht schmecken, und die Zeitumstände, die es nötig machten, würden es noch weniger. Ich habe u. a. Vergé-Papier – sicher auch schwer zu schlucken. Die gummierten Umschläge erst!
    Indes schwächelt mächtig das Farbband, und ich muss doch einmal zur Gneisenaustraße fahren, um neues zu kaufen (und einzusetzen: ein weiterer ausgestorben geglaubter Handgriff … wie das Entsperren der Walze mittels eines Umschalthebels).
    Das einzige Schreib- und Löschwerkzeug, das ich vielleicht noch in seiner vergleichsweise geringen Komplexität ‚verstehen‘ könnte, wären Tafel, Kreide und Schwämmchen. Ein Bleistift ist schon zu kompliziert. So viel zum Stichwort „die Technik beherrschen”.

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  3. Heute war ich im Papierhaus in Schöneberg und habe eine Geburtstagskarte und eine Dose Klebstoff gekauft, Marke Coccoina (aus dem Hause Balma, Capoduri & C.). Das schöne Design hat meine Entscheidung bestimmt, aber als ich den Deckel abschraubte, fand ich einen Kindheitsduft wieder – den von Bittermandeln (oder Marzipan).
    Ich habe auch neue Briefmarken gekauft. Ich nehme immer fünf, damit niemand auf die Idee kommt,
    mir die Zehnerbriefchen mit den selbstklebenden hinzulegen. Das Motiv ehrt Max Weber aus Anlass der 150. Wiederkehr seines Geburtstages mit einem stirnrunzelnden Konterfei im Halbprofil und dem Zitat: „Der Einfall ersetzt nicht die Arbeit”.

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  4. In Kanada, als ich nach nassklebenden Marken fragte, schaute mich die Post-Dame groß an und fragte: „Do you lick them?!”. J., der mich begleitet hatte, zitiert dies gern bei passenden Gelegenheiten.

    Auf der Seite einer gewissen Internet-Enzyklopädie findet sich übrigens diese Information zu Pelikanol:
    „Nach Angaben der Pelikan AG führten rückläufige Absatzzahlen und neue gesetzliche Bestimmungen, die den typischen Marzipanduft nicht mehr erlaubten, zur Einstellung des Produkts.”

    Oh Duft von Pelikanol! Ich hätte ihn im Kommentar erwähnen können: My Desert Island Smells …

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  5. Der Duft für die einsame Insel … hm, was nehme ich da? Ich rieche gern an Kaffee, an der Krume frisch gebackener Schrippen, an Rosen (wenn sie denn duften) und an Kuchen, ich mag Vanille, Nelken und Anis; auch Trinkschokolade: nicht zu verachten. – Bienenwachs!
    Versteht sich, dass ich an Büchern schnuppre, aber nicht, weil sie unbedingt gut riechen würden, sondern weil es zum Lesen und Begreifen dazugehört, für mich und, glaube ich, für die meisten.
    In diesen Herbsttagen habe ich, wie alle Leute, Laubduft in der Nase (à propos „leaf-cakes in the sandbox in misty autumn”). Dieser ist mir besonders in der Verbindung mit den Laubfarben lieb; glücklicherweise treten sie immer zusammen auf, die beiden.
    Als ich die Spree lang radelte, holten meine Augen ein Blatt heran (unter den Tausenden von Blättern, die den Weg bedeckten) – ich war schon weitergefahren, kehrte wieder um und fand es leicht -, das hob ich auf und nahm es mit nach Haus, ein Ahornblatt. Form und Färbung gefielen mir, und dass es stolz und ganz aussah. Formen duften als solche natürlich gar nicht, sind aber auch was Feines.

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