Lesenotiz: Leben

Das Buch Leben von David Wagner erzählt die Geschichte und Vorgeschichte einer Lebertransplantation. Der Autor erhielt im vergangenen Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse, und ich bin nicht sicher, ob er (nur) für sein Werk ausgezeichnet wurde, oder (auch) dafür, dass er seine Erkrankung überlebt hat. Die von mir (nicht nur in diesem Fall) vermutete Vermischung literarischer Kriterien und persönlicher Belange ist meines Erachtens falsch. Damit ist nicht gesagt, dass Leben kein gutes Buch wäre.

Nicht so sehr die Dinge, sondern die Wörter, nicht der Plot, sondern die Sprache interessen mich an Texten. Wagner schreibt gut, keine Frage, aber auf die Länge von knapp 300 Seiten liest sich sein Bericht etwas fad.
Die Proportionen des Buchs könnten also, meine ich, verbessert werden. Was an Textumfang verloren ginge, würde der Form zugute kommen: sie wäre konzentrierter.

Mehr Verdichtung hätte ich mir auch für die Frauenfiguren gewünscht. Dazu wäre es aber nötig gewesen, den Protokollmodus zu verlassen und ins kalte Romanwasser zu springen, eine stärker fiktionalisierte Geschichte zu schreiben, d. h. Wagner hätte, statt alle Frauen, mit denen ihn oder sein Alter ego je etwas verband, auftreten zu lassen, nur eine einzige zaubern und sie nur hinreichend komplex gestalten müssen. So bleibt es beim Anekdotischen, das, indem es zu nah an der (mutmaßlichen) biographischen Wahrheit bleibt, keine rechte literarische Lebendigkeit hat.

Trotz dieser Einwände halte ich Leben für ein lesenswertes Buch, wie übrigens alle Bücher Wagners, soweit ich sie kenne. Abgründig das Gedankenspiel, dem Toten, dem das Spenderorgan, die Leber, entnommen wurde – in der Pionierphase der Organverpflanzungen sprach man vom „Ernten” – könnten auch weitere Organe entnommen worden sein, und die Transplantierten, in denen sie nun fortlebten, die Leber, die Nieren, die Bauchspeicheldrüse etc., würden sich an einem Ort treffen, ohne von ihrer Gemeinsamkeit zu wissen.
Und es kann auch nicht schaden, an dies erinnert zu werden: „Das Krankenhaus befreit von vielen Dingen, die sonst so ungeheuer wichtig scheinen.”

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